Es wirkt ein wenig wie die österreichische Variante des Hobbits. Wo Peter Jackson ursprünglich mit einem filmischen Zweiteiler nach Mittelerde zurückkehren wollte um der Verfilmung des Fantasyromans „Der kleine Hobbit“ gerecht zu werden, entwickelte sich sein Vorhaben zu einer erneuten Trilogie, ganz im Geiste seiner „Herr der Ringe“-Filme. Scheinbar werden Filmemacher in jüngster Zeit von ihren ausschweifenden Ideen geplagt, so auch der Österreicher Ulrich Seidl, dessen Stil oftmals zwischen Spielfilm und Dokumentation festzumachen ist, immer eine gewisse Authentizität in seinen Werken mitschwingt. Dieser Mann wollte nun eigentlich einen Spielfilm mit drei Handlungssträngen drehen, er nannte es sein „Paradies“-Projekt. Im Verlauf der Postproduktion weitete sich dieses – ähnlich wie „Der Hobbit“ – immer mehr aus und wurde schlussendlich zu einer Trilogie umfunktioniert. Der erste Teil („Paradies: Liebe“) feierte seine Premiere im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes, der zweite Teil („Paradies: Glaube“) lief auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig und Teil 3 („Paradies: Hoffnung“) wird auf der Berlinale 2013 uraufgeführt. Damit allein legt der Regisseur schon einen beeindruckenden Hattrick hin. Darüber hinaus muss man auf sein Komplettwerk nicht so lange warten, wie auf die „Der Hobbit“-Nachfolger. Mit „Paradies: Liebe“ nun in den Kinos, folgt bereits zwei Monate später „Paradies: Glaube“ (21.März) bevor mit „Paradies: Hoffnung“ dann am 16. Mai die Erzählung beendet wird.
Nun aber erst einmal „Paradies: Liebe“, mit Margarete Tiesel als Teresa, eine 50jährige alleinerziehende Mutter, deren Körper nicht mehr sonderlich gut in Schuss ist. Irgendwie hängt überall alles nach unten – Po, Bauch, Busen. Daraus resultiert ihr Schicksal: kein Spaß mehr im Bett, ein Sexualleben ist nicht vorhanden, sie findet sich in einem abenteuerlosen Lebensabend wieder, muss sich mit einem unselbständigen Kind herumschlagen. Das Gefühl, begehrt zu werden, jegliche Hoffnung hierauf scheint für immer verloren zu sein. Von diesem Alltag möchte Teresa sich zumindest zeitweise erholen, macht ohne Tochter einen wohl verdienten Urlaub in Kenia, wo sich an weißen Stränden die afrikanische Männerwelt zahlreich anbietet. Ihre Freundinnen haben das System bereits verstanden: Sie sind Sugarmamas, die sich von den Liebesdiensten junger schwarzer Beachboys nähren, die sich durch ihre Gefälligkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen. Und so wird auch Teresa zur Sextouristin. Im exotischen Paradies kann sie sich der Illusion der Liebe hingeben.
Das mag anfangs noch ganz amüsant wirken, irgendwie auch surreal, wenn der Zuschauer Teresa an den Strand folgt, wo das Touristenvolk in Reih und Glied auf ihren Bänken liegt, sich sonnt. Vor ihnen stehen nun die Afrikaner, stumm und still, bis einer der Touristen dass gespannte Trennband überschreitet, das die Entspannungs- von der Spaßzone unterscheidet und an dem ein eifriger Wachmann auf und ab geht. Dann aber, sobald ein Fuß über dieses Band gesetzt wurde, stürzen die Afrikaner sich auf die Menschen, versuchen sich ihnen anzubieten. Ganz charmant, mal auch etwas abgedroschen, aufdringlich, zurückhaltend – für jeden Geschmack sollte hier der richtige Afrikaner dabei sein. Sie brauchen das Geld, für ihre Familien, die ernährt werden wollen. Die Touristen sind dumm genug um auf ihre Maschen herein zu fallen, immer wieder, oder aber sie finden sich schlicht damit ab, dass diese Form der Liebe, rein körperlich im Austausch für finanzielle Gefälligkeiten, ihre letzte Chance auf ein menschliches Miteinander ist.
Das könnte jetzt einfühlsam und traurig geschildert werden, doch Ulrich Seidl hält es offenbar für interessanter, den Zuschauer mit einer Figur zu konfrontieren, der man Dummheit, vielleicht ein wenig Verzweiflung, aber größtenteils nur beste deutsche Unterschicht bescheinigen möchte. Teresa lässt sich nach ihrer Ankunft schon von den heimischen Äffchen verulken, die sich begierig die Bananenhäppchen von der Urlauberin geben lassen. Das erwünschte Foto, das Teresa so gerne im Gegenzug machen würde, erhält sie nicht, zu schnell flüchten die Affen vom Balkon wieder in ihre Bäume. Ähnlich wird es ihr später mit ihren Afrikanern ergehen, die ihr zwar die körperliche Nähe, den Sex bieten, sich aber nach erbrachter Gegenleistung – dem wirklich vielen Geld – auch schnellst wieder verabschieden. Nun mag das anfangs noch eine gewisse Schaulust beinhalten, ein Hauch von Mitgefühl ist auch zu verspüren, aber wenn sich Teresa dann nach vollendeter Ausnutzung direkt vom nächsten Afrikaner um die Finger wickeln lässt, beginnt die Figur samt Erzählung zu bröckeln.
Interessant ist es derweil mit anzusehen, wie die Sextouristinnen glauben die Oberhand zu haben, sich nicht im Geringsten ausgenutzt fühlen. Gerade deswegen mag man sich oftmals mit der Hand gegen die Stirn klatschen. Mit übermäßig viel Doku-Soap-Charme begehen diese Damen eine Widerlichkeit nach der anderen und bemerken nicht einmal, wie sie sich selbst zu Sklaven machen lassen. Sie zahlen bereitwillig für einen Afrikanerpenis, suhlen in den fremdländischen Körpern und schmeißen ihre heimische Existenz, ihr erspartes Geld, den Sexobjekten vor die Füße, beklagen sich zugleich aber auch über die mangelnde Liebe, die ihnen entgegen gebracht wird. Wenn dann nicht einmal mehr der Afrikaner eine Erektion bekommt, wird er kurzerhand des Hotelzimmers verwiesen, bevor man sich in den eigenen Tränen verliert. Das ist dann überhaupt nicht mehr traurig, sondern eine wohlverdiente Strafe. Ein Problem für den Film, baut man als Zuschauer doch nirgendwo Sympathien auf, wünscht sich nur das Teresa noch viel mehr Leid wiederfährt, so unfassbar abstoßend bewegt sich diese Figur durch den Film.
„Paradies: Liebe“ mag den Anspruch haben, einen realitätsnahen Blick auf den Sextourismus zu werfen, dies durch die Augen der Hauptprotagonistin Teresa schildern, verwickelt sich aber in seiner Langatmigkeit. Was wie ein kleiner Spaß beginnt, endet in abstoßenden Bildern, Verhaltensmustern und Kopfschütteln und –abwenden. Ein früheres Ende hätte dem Film sichtlich gut getan.
Denis Sasse
“Paradies: Liebe“
Originaltitel: Paradies: Liebe
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Produktionsland, Jahr: A / D / F, 2012
Länge: ca. 120 Minuten
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Margarete Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Gabriel Mwarua, Carlos Mkutano
Deutschlandstart: 3. Januar 2013
Offizielle Homepage: paradies-trilogie.de