Ulf Poschart kürzt im Sumpf die Mails der Virologen an Joe Biden - Vermischtes 12.05.2020

Here's how that shift has happened. [...9] But while this hard to prove conclusively, anti-Trump conservatives are arguably way overrepresented in elite media, at least compared to their numbers in the general population. [...] How did this happen? Well, from the media perspective, the prominence of "Never Trump" conservatives makes perfect sense. The readers and watchers of The Post, The Times and MSNBC in particular are disproportionately left-leaning. So these audiences probably don't want too much explicitly pro-Trump commentary. At the same time, news outlets usually like to present themselves as both offering a diverse set of voices and not too closely aligned with one party or the other. So by featuring, for example, George Conway, a conservative lawyer turned "Never Trump" leader who sharply criticizes the president in his cable news appearances and columns in The Washington Post, the press can essentially suggest, "It's not just the 'liberal media,' even Republicans were angry when Trump did X." But it's not simply as if the media has hired every Republican who says that they don't like Trump. Many of the conservatives in high-profile media slots (like Brooks) were there before Trump's rise. Robert Saldin, a political science professor at the University of Montana and co-author of a new book on anti-Trump conservatives, said the kind of conservatives who get jobs at places like CNN were predisposed to dislike a Trump-style GOP politician. [...] Faced with these complicated questions in 2017 and 2018, Democrats took an approach that was broadly similar to the "Never Trumpers" - attacking Trump as a uniquely dangerous threat to American democracy while resisting more liberal policy ideas and recruiting fairly centrist candidates in key congressional races. This approach led some "Never Trumpers" to get behind Democrats in the midterms - moving beyond simply opposing Trump to fighting the Republican Party more broadly. [...] In response, many of the "Never Trumpers" decided to get even deeper into Democratic politics, injecting themselves into the party's fractious presidential primary. [...] Those exiled Republicans are already mobilizing behind Biden in the general election. They are urging fellow conservatives not to support Rep. Justin Amash, who left the GOP in 2019 and last week announced an exploratory committee for a presidential run as the Libertarian candidate. They argue Amash's candidacy might increase Trump's chances of reelection. So "Never Trump" conservatives can probably make some demands of Biden, just like any other constituency in the party, and he might feel some need to court them. (Perry Bacon Jr., 538)

Die Never-Trumpers waren ja schon vor ihrem Umschwung im Endeffekt eine im Journalismus gut vernetzte Elite, häufig selbst Journalisten. Anders hätten sie ja den Effekt nie gehabt. Wen interessieren schließlich irgendwelche Never-Bidens aus Sanders Gefolgschaft, die keiner kennt? Die reine Zahl der Leute ist nicht entscheidend, sondern deren Reichweite. Und Leute wie Max Boot, Rick Wilson, Tom Nichols und David Frum haben eine Reichweite, die sich gewaschen hat. Deswegen ist es auch irrelevant, ob sie viele sind, wenn es um ihren Einfluss in der demokratischen Partei geht. Denn was der unschätzbar wertvolle Effekt der Never-Trumper sein kann ist, das Wählen der Democrats für bestimmte republikanische Wählerschichten akzeptabel zu machen. Wenn die Joe Biden ihr seal of approval geben, gibt es einige andere Leute, die dann statt Drittkandidaten oder Wahlenthaltung Joe Biden als Ausdruck ihrer Trump-Gegnerschaft nehmen. Das ist der Preis einer breiten Koalition.

Es ist erst 25 Jahre her, dass das vollständige Genom eines ganzen Organismus erstmals komplett ausgelesen wurde (es war ein Bakterium). Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass das komplette Genom des Covid-19-Virus bereits seit März vollständig sequenziert ist, eigentlich eine Sensation. Der Politik aber geht alles immer noch viel zu langsam. Das hat mit drei Faktoren zu tun, die für viele Missverständnisse sorgen:
    Dem rasanten, wachsenden Tempo der wissenschaftlichen Entwicklung (auch wenn ihre Abläufe für Außenstehende trotz allem oft träge wirken)
    Einem dadurch immer weiter wachsenden Abstand zwischen dem, was die Allgemeinheit so über die Welt weiß und denkt, und dem, was Fachleute über ihre jeweiligen Spezialgebiete wissen und denken
    Der Tatsache, dass Wissenslücken und institutionalisierter Zweifel eben nicht lästige Stolpersteine auf dem Weg zur Wahrheit sind, sondern das Grundprinzip wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns
Diese Faktoren erzeugen das Spannungsfeld zwischen dem, was Politik von Wissenschaft erwartet, und dem, was Wissenschaft liefern kann. Meist fällt das kaum auf, weil wissenschaftliche Erkenntnisse von der vordersten Front nur in seltenen Fällen einen unmittelbaren Einfluss auf die Tagespolitik haben. Und das ist auch gut so, denn von der vordersten Front gibt es meist mehr Fragen als klare Ansagen. Eine augenfällige Ausnahme ist die Klimakrise: Da gibt es sehr klare Ansagen (seit über 30 Jahren), aber hier geht es der Politik dann doch zu schnell. Bei der Coronakrise ist es umgekehrt: Plötzlich kann der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt Teilen der politischen Klasse nicht schnell genug gehen. Als beruhten Zweifel auf Inkompetenz oder bösem Willen. Plötzlich ist all die Hinterfragerei nicht mehr willkommen, sondern lästig. Exemplarisch führte das ein Kandidat für den CDU-Vorsitz vergangenen Sonntag in einer Talkshow vor. Armin Laschet beschwerte sich, dass Virologen seiner Meinung nach keine ausreichend eindeutigen Aussagen träfen und zuletzt "alle paar Tage" ihre "Meinung geändert" hätten. Laschet ist nicht der Einzige: Virologenschelte ist gerade in. Bei, zum Beispiel, Journalisten, Theaterregisseuren, und FDP-Vorsitzenden. Wenig überraschend ist, dass es längst Morddrohungen gegen Virologen gibt. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)

Es ist ein absolutes Paradox, dass Politiker wie Kubicki und Laschet wortreich über die mangelnde Geschwindigkeit und Einigkeit der Wissenschaftler klagen, aber eben diese Einigkeit und jahrzehntelange empirische Unterfütterung beim Klimawandel gekonnt ignorieren. Ebenso unverständlich ist für mich, ob Laschet oder Kubicki - die beide beinahe wortgleiche Statements abgegeben haben, die Bedeutung der R0-Ziffer nicht zu verstehen - dieses Unverständnis nur vortäuschen, um populistisch Stimmen am normalitären Rand abzuräumen, oder ob sie wirklich intellektuell nicht durchdrungen haben, was die Reproduktionsrate ist und warum sie für politische Entscheidungen bedeutend ist. Ich würde ja gerne meine Erklärung hernehmen, dass es einfach nur zynisches Taktieren ist, ein Spiel mit dem Feuer, das man von den Verantwortungslosen inzwischen gewohnt ist. Aber in der Ära eines Trump oder Johnson ist nicht mehr auszuschließen, dass sie es tatsächlich nicht verstehen. Es ist ein Trauerspiel.

3) American individualism is a suicide pact

Americans like to see their "don't tread on me" ethic as one of the country's most admirable traits. And maybe in some contexts and historical moments it is. But during a pandemic it is idiocy to cry tyranny at efforts to mitigate the spread of the pathogen. In such circumstances, our incorrigible individualism can become lethal - a suicide pact that threatens individuals as well as the political community as a whole. That makes it a public menace. [...] It may be inapt and somewhat tendentious to compare the struggle against COVID-19 to a war, but there is at least one respect in which the comparison holds. A war and a pandemic both threaten the political community. Not just the good of atomistic individuals within the community but the good of the nation as a whole is at stake. That requires a national response, one that calls out for and requires restrictions on personal freedom for the sake of the entire polity. How long those restrictions need to remain in place isn't a function of how annoying, frustrating, or even economically painful they are for individuals. It's a function of the need to contain the deadly virus - just as the duration of the hardships of war is determined by the shape of the battle and the imperative of victory. In both cases, neglecting to do what is necessary to prevail deserves to be judged a gravely serious failure of responsibility. Countries in which citizens are inculcated with a sense of the common good will respond responsibly to coronavirus threat - by, for example, setting up, paying for, implementing, and accepting the hassles involved in a rigorous testing and tracing program. That's the one thing that could have allowed us to begin easing lockdowns without risking a serious spike in new infections and deaths. But that's not the American, individualistic way. We value personal freedom too highly - and for that we are likely to pay a very steep price over the weeks and months to come. (Damon Linker, The Week)

Das ist kein amerikanisches Problem. Auch wenn Damon Linker hier typisch amerikanisch sofort wieder den Exzeptionalismus als Erklärungsansatz herzieht - mit rauen Pioniertypen und der Individualität, die ihnen angeblich zu eigen ist - denn Idioten, die angesichts dringend notwendiger Hygiene- und Distanzierungsmaßnahmen von Diktatur und Tyrannei sprechen und Demonstrationen veranstalten, auf den Leute bewusst versuchen, die Krankheit zu verbreiten, haben wir hier auch. Hier braucht es bessere Erklärungsansätze als die, dass die Amerikaner halt ganz besondere Schneeflocken sind. Die typisch amerikanischen Eigenheiten sind sicherlich nicht sonderlich hilfreich, aber beileibe keine notwendige Bedingung für diese Art von Idiotie.

4) How Uncertainty Became a Weapon in the Tara Reade Story

The response was both carefully worded and blithely misleading: The Times' investigation into Reade's account was by no means an exoneration of Biden. But his campaign's impulse toward absolutism was revealing-not only of the campaign itself, but also of the way Reade's allegation has been metabolized by the American public. [...] The Times' story was comprehensive but not definitive; it recognized, implicitly, that there is more reporting to be done on the matter. But the campaign's talking points took the result of that effort and turned it into something strident: Case closed. [...] Automatically believe women. The summation makes a straw man of certitude itself. The slogan that arose with the expansion of the #MeToo movement is "Believe women." It was meant not as an imperative but as a corrective-to centuries' worth of assumptions about women as unreliable narrators of their own lives. Thephrase was not, and is not, "Believe all women"; no reasonable person would claim that every single woman is so morally pure that she is incapable of telling a lie. "Believe women" is a slogan that was never meant to be a standard-which is to say, it was never meant to double as a demand for dogmatism. And yet, the Wikipedia entry explaining the slogan currently begins: "'Believe women,' sometimes expressed as 'Believe all women.'" Repeat the absolutist version of the phrase enough times, and before long it becomes the default. (Meghan Garber, The Atlantic)

Die Leute haben einfach nichts gelernt, weder aus 2016 noch aus 2018. Die Leitmedien landauf, landab ließen sich auf einen völlig überdrehten Nicht-Skandal ein und berichteten tagaus, tagein über "Hillarys Emails". Da war zwar nichts dran - letztes Jahr ließ auch das von einem beinharten Trump-Loyalisten geführte US-Justizministerium jegliche Vorwürfe fallen und gab zu, dass nichts unrechtes passiert - aber zu dem Zeitpunkt war der Schaden längst angerichtet. Und jetzt machen sie den gleichen Blödsinn bei Trump. Mit von Bothsiderismus gestählter Seriosität gehen sie den Ukraine-Verschwörungstheorien Trumps nach und plappern jetzt mit Grabesstimme von der Notwendigkeit, Reades Vorwürfen nachzugehen. Das Gleiche in grün. Und zuletzt wurde nichts aus den letzten Jahren gelernt. Wie oft haben mir Kritiker von links wie rechts in diesem Blog vorgeworfen, es zu übertreiben? Dass wir das Moralisieren lassen sollen, dass die Unschuldsvermutung gilt? Die gleichen Leute, die sich aufgeplustert haben, man müsse bei einem Kavanaugh schon aufpassen, dass man den Ruf nicht ruiniere, haben nun keinerlei Probleme damit, hier tiefer gehende Nachforschungen zu fordern. Dabei hat Joe Biden eine seeeeehr lange und gut dokumentierte Geschichte in diese Richtung. Kollektiv wurde beschlossen, dass das nicht zählt, nicht zählen darf. Jetzt plötzlich die Tugendwächter zu spielen und voller zynischer Heuchelei so zu tun, als sorge man sich darum, dass jemand mit einem Vorwurf sexueller Belästigung ins Weiße Haus einziehen könnte, während DONALD TRUMP dort sitzt, weil man beschlossen hat, dass diese Vorwürfe nichts wert sind - ich spucke auf diese Heuchelei. Es ist einfach nur widerlich.

5) Trump was the disaster we should have seen coming

This disaster was foreseen. You probably think I'm talking about the coronavirus pandemic - and if so, well, you're half-right. Each week brings us new evidence that President Trump failed to heed warnings that the COVID-19 virus could bring disaster, missing an opportunity to prepare for an outbreak that has claimed nearly 70,000 American lives. But I'm also referring to the president's botched leadership in this crisis. Long before he won his shocking Electoral College victory in 2016, it was obvious that Trump would falter disastrously when faced with an emergency. "Just imagine Donald Trump in the Oval Office facing a real crisis," Hillary Clinton, his Democratic opponent in that election, tweeted in August of that year. "We can't afford that kind of risk." She was right. [...] Even in hindsight, it is shocking to remember how utterly and nakedly cynical, even suicidal, the pro-Trump position was even before he became president. [...] So while Americans deal with sickness, death, and the loss of income, the president spends his days obsessing about his poll numbers and insulting rivals. There is little evidence he understands the pandemic's human toll, except in terms of how it affects him and his future. We can't say we weren't warned. We have another chance in November to heed those warnings. Let's hope we've learned from our 2016 mistakes. (Joel Mathis, The Week)

Kleine Frage: Who the fuck is we? Ich weiß nämlich, dass ich in schärfsten Tönen von Anfang genau davor gewarnt habe. Meine Einschätzung, wer die Wahl gewinnen würde, war vielleicht falsch. Aber meine Einschätzung von Trumps kommender Präsidentschaft lag richtiger als bei mindestens 80% der anderen Beobachter. Ich kann aber nicht erkennen, dass die deswegen in Sack und Asche gegen und etwas mehr Bescheidenheit an den Tag legen würden. Das führt mich zu einer generellen Stilkritik. Ich hasse dieses journalistische Stilmittel der ersten Person Plural. In den amerikanischen Medien ist es ubiquitär, aber auch in deutschen Artikeln kommt es wesentlich zu häufiger vor. Es wird aus zwei Gründen verwendet, und beide sind scheiße. Entweder versucht der/die AutorIn, die eigene Meinung hinter einem behaupteten Konsens zu verstecken, à la "Wir wissen ja alle", wenn es in Wirklichkeit nur um die eigene Meinung geht. Oder aber es ist nicht die eigene Meinung, aber man ist zu feige, die Kritik entsprechend zu formulieren, und nutzt deswegen das anbiedernde "wir". So nach dem Motto "wir haben ja alle nicht ahnen können, dass es soweit kommt". Doch, haben wir. Wenn "wir" wollten, konnten "wir". Nur wenige Stilmittel gehören an den Journalistenschulen so konsequent ungelernt wie dieses. Ich will dafür ein kurzes Beispiel geben, völlig zufällig aus meinem heutigen Feedreader, die erste Überschrift über die ich stolperte (man muss nicht lange suchen): " Justice Alito reminds us how to argue". Entweder glaubt der Autor des Artikels, selbst eine wichtige Lektion von Alito gelernt zu haben, oder aber er glaubt, diese bereits verinnerlicht zu haben und dass die Adressaten in Wahrheit andere sind. So oder so ist die erste Person Plural völlig deplatziert.

Vielleicht sollte man öfter auf das letzte große runde Jubiläum, den 50. Jahrestag des Endes des Nationalsozialismus zurückzuschauen, um zu sehen, was das Besondere am Heute ist. Das war 1995, die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Helmut Kohl war Kanzler, Handys hatten eher nur Leute wie Uli Hoeneß und unter sozialen Netzwerken stellte man sich sowas wie einen Jugendchor vor. [...] Dabei hätte man schon damals in den Neunzigern den aufkeimenden rechten Wahn sehen können. Aber irgendwie kam es in Deutschland nicht recht an. [...] In jener Zeit mussten viele Teenager vor Nazibanden auf der Hut sein, die während der Baseballschlägerjahre durch die Straßen zogen und töteten, aber der Schriftsteller Botho Strauß schrieb im Spiegel seinen unter Rechten heute noch gefeierten Essay vom deutschen "Selbsthaß", der "die Fremden willkommen heißt" und dazu führe, dass "Horden von Unbehausbaren, Unbewirtbaren" ins Land gelassen würden. Damals löste ein solcher Text noch Aufruhr aus. Heute sind Meinungsführer, die in der Pose des Tabubrechers rassistische oder sozialdarwinistische Ausgrenzungsfantasien niederschreiben, nichts Ungewöhnliches mehr. Auch weil Sensibilitäten abgeschliffen, Ohren taub geworden sind. Ähnlich wie die vielen Millionen Werbebotschaften im öffentlichen Raum haben die vielen politischen Hassbotschaften, die uns jeden Tag erreichen, wohl zu einer Abstumpfung geführt. Deswegen haben Aussagen von AfD-Politikern, die in Duktus und Niedertracht an die Nationalsozialisten erinnern, heute kaum noch echte Konsequenzen. Das ist einer der wichtigsten Unterschiede zwischen 1995 und, das Schlimme ist: Genau das war das Ziel der Rechtsradikalen. (Christian Bangel, Zeit)

Wir hatten die Diskussion ja bereits, als das große Kanzlerranking bei Kohl angekommen war, aber es lohnt sich, sie an geeigneter Stelle noch einmal aufs Tablett zu bringen. Rechtsextremismus in Deutschland ist genauso wenig erst 2015 als Reaktion auf Merkels Flüchtlingspolitik entstanden wie es erst Nazis gab, als die Arbeitslosenzahl in Weimar sechs Millionen erreicht hatte. Solche Sachen kommen nicht aus dem Nichts. Die Selbstradikalisierung des Bürgertums, das Wegschauen gegen rechten Terror und rechte Gewalt, die auf dem rechten Auge blinde Justiz, all das gab es schon lange vorher. Dass es nicht einen parlamentarischen Arm fand heißt nicht, dass die Grundströmungen nicht existiert hätten.

Die Normalisierung des Extremismus geht nicht von heute auf morgen. Genauso wie in linken Kreisen 20 Jahre lang große Theoriedebatten über die Notwendigkeit politischer Gewalt gehalten wurden, bevor man bereit war, der RAF das eigene Wohnzimmer zu öffnen, genauso normalisiert das deutsche Bürgertum seit mittlerweile deutlich über zwei Jahrzehnten rechte Gewalt. In den USA sehen wir das gleiche Phänomen. Trump kam nicht aus dem Nichts, sondern ist der vorläufige Höhepunkt einer mittlerweile über 40 Jahre alten Entwicklung. Das anzuerkennen ist notwendige Bedingung, um an Lösungen zu arbeiten.

Franz Mayer, an influential German jurist, makes the powerful case for the nuclear option in Verfassungsblog. He argues that Karlsruhe's challenge to the ECJ's supremacy is a blatant breach of EU law. If it continues, Brussels has little option but to embark on a "calm and civilised" infringement process as laid out under EU law, he says. [...] For Mr Mayer, if the commission does not defend the EU's rule of law, the system risks descending to a "judicial rule of thumb" where the interpretation of the strongest national judges wins. "This will be based on the parameters of size, power, political influence and economic weight of the respective member state," he warns. For this reason, expect Ms Von der Leyen to keep repeating Brussels' willingness to take action - including at a hearing with MEPs later this week. [...] But is legal action the best tool for that job? In practice, it will mean the commission suing the German government for the actions of its independent court in a case where Berlin is not the offender. During the Karlsruhe hearing the government defended the ECB's bond-buying against the litigants, and last week Olaf Scholz was trying to reassure his fellow finance ministers that a way would be found to keep the Bundesbank involved in bond-buying. A case would create an invidious situation where Angela Merkel's government is thrown on the defensive and pose fresh legal difficulties about the separation of powers - another EU fundamental right - in Germany. Berlin would not be in a position to issue instructions to Karlsruhe following the infringement given the court's independence. The result, said one EU expert, would be an "absurd situation" legally. (Mehreen Khan/Sam Fleming, Financial Times)

Für all die Kommentatoren, die angesichts meines Artikels zum Karlsruher Erdbeben meinten, dass hier halt einfach nur Vertragsbrüche festgestellt würden und die Schuld nur bei den EU-Institutionen liegt, sei hier diese Sicht da gelassen, nach der Deutschland gegen die Verträge verstößt. Und das sind nicht nur ausländische Verfassungsexperten, bevor das jemand denkt. Welche der beiden Seiten Recht hat - oder ob vielleicht sogar beide Recht haben - kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Verfassungsjurist. Offensichtlich aber ist, dass es ein Verfassungskonflikt ist, der leicht in eine offene Verfassungskrise umschlagen kann. Und dieser Gefahr sollte man sich wenigstens bewusst sein und etwas lösungsorientierter geben, statt nur gegen den verlotterten Süden zu moralisieren und Andersdenkenden Vaterlandsverrat vorzuwerfen.

wenn wir einen teil des randes jetzt wieder den demagogen, irren und wirren überlassen, wiederholen wir den fehler von 2015ff. es geht um (re)integration der verunsicherten in einen mündigen, pragmatischen diskurs mit größtmöglicher meinungsvielfalt.

- Ulf Poschardt (@ulfposh) May 11, 2020

Ich weiß, dass es eine Dauerdebatte ist. Aber vielleicht können wir uns darauf einigen, dass die Frage ob Impfen hilft oder ob Abstand halten in einer Pandemie sinnvoll ist keine ist, die kontrovers diskutiert werden muss. Denn der eklatante Nachteil von Poschardts Strategie ist, dass ein Bothsiderismus entsteht. In einer Debatte gibt es notwendigerweise zwei Seiten, aber wenn eine aus lauter Verschwörungstheoretikern und Idioten besteht und die andere nicht, werden in einer öffentlichen Debatte im "mündigen, pragmatischen Diskurs" diese Meinungen als gleichberechtigt gegenübergestellt. Das sind sie aber nicht. Es braucht eine klare Ansage, dass Fakten existieren. Ein pragmatischer Diskurs ist nicht möglich, wenn wir grundsätzlich jede Meinungsäußerung als gleich ansehen. Wenn eine Person behauptet, Schwerkraft existiert, und die andere sagt dass nicht, entsteht darauf kein pragmatischer Diskurs. Das sollte hoffentlich einleuchtend sein.

9) Boris Johnson's irresponsible government is rapidly losing authority

The root cause of this mess is not hard to divine. Caught between those cabinet hawks and party donors who want to reopen the economy as fast as possible, and the doves who stress the need to save lives, Johnson has produced a muddled compromise that has pleased neither camp. For all his Churchillian pretensions, he has sought the path of least resistance. [...] Johnson has come far by avoiding scrutiny. He won December's general election through a vacuous campaign of gimmicky photo-ops, and by studiously avoiding tough interviewers such as Andrew Neil. As Politico's London Playbook points out, before today he had made not a single statement to the House of Commons on the coronavirus pandemic, and had given just one press conference since 25 March. He will answer questions from the public tonight, but only pre-recorded ones. That is starting to change. Labour's new leader, Keir Starmer, will subject him to far tougher interrogations than Jeremy Corbyn ever did. There are signs of restiveness within his cabinet. The press is no longer quite as sycophantic - the Daily Telegraph, long Johnson's mouthpiece, splashed on a Starmer op-ed last Friday ("We owe it to VE Day generation to protect them from virus in care homes") and ran a piece by Sturgeon criticising Johnson's "Stay Alert" slogan this morning. Even the public seems to be paying the Prime Minister less heed, less respect. In many ways his Sunday address was merely an acknowledgement of what is already happening on the ground. Traffic is increasing. The streets are busier. People have been sunbathing and taking unlimited exercise. Construction workers are back building. Friends are discreetly meeting friends, and grandparents are surreptitiously seeing their grandchildren. With or without Johnson's approval, and for better or worse, the lockdown was easing anyway. (Martin Fletcher, The New Statesman)

Gleiches Thema wie in Fundstück 4 und 8 auch schon. Krasse Doppelstandards in der Berichterstattung auf der einen Seite und die zwanghafte Neigung zum Bothsiderismus auf der anderen Seite führten dazu, dass ein grotesk ungeeigneter Clown zum Regierungschef eines Landes wird. Und solange es nur darum geht, außer Rand und Band geratene Identitätspolitik zu bedienen, scheint das ja auch alles kein Problem zu sein. Aber wenn eine echte Krise kommt, trennt sich halt schnell die Spreu vom Weizen. Praktisch nur noch albern ist auch die britische Obsession mit Churchill. Der wird mittlerweile beschworen wie ein Heiliger, als ob allein die Nennung seines Namens bösen Einfluss bannen könnte. Gleiches gilt für den Zweiten Weltkrieg, auch so eine Obsession, die dieses Land nicht los wird. Da kriegen wir dann solche Perlen wie die des "Historikers" Adam Roberts, der Covid-19 für eine "Nazi-Seuche" hält weil Juden und das UK höhere Infektionszahlen aufweisen als Deutschland. Der Mann hat, natürlich, eine Churchill-Biographie geschrieben, die er gerade heftig vermarktet.

Ganz faszinierend ist auch die hohe Identifikation von vielen Journalisten mit Leuten, die auf krudeste Scheiße reinfallen, sich aber von „der Regierung" / „den Behörden" nicht informiert fühlen, obwohl (weil?) man sich auf zig Regierungswebseiten zB. top gut informieren kann. pic.twitter.com/ceD8QWMwoJ

- Christina Dongowski (@TiniDo) May 12, 2020

Das ist echt so eine Form der Wohlstandsverwahrlosung. Es gibt eine Tonne an Informationen. Die Regierung erklärt ihre Strategie ständig in den PKs. Aber die Leitmedien geben das in ihren Berichten nicht wieder (ist ja auch eher langweilig), und dann beschweren sie sich darüber, dass sie in den Medien, die sie selbst machen, nicht lesen, was sie nicht schreiben. Das ist völlig absurd! Diese komplette Verweigerung der Medien, die eigene Rolle im politischen System anzuerkennen, ist seit längerem sichtbar, und sie ist gefährlich. Offizielle Stellen, ob es die Öffentlichkeitsarbeitsabteilungen in Unternehmen sind oder Behörden, haben nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Breitenwirkung in der Kommunikation zu erreichen. Sie müssen darauf hoffen, dass die Presse das aufgreift. Deswegen versuchen Unternehmen ja auch mit allen Mitteln "viral" zu gehen, versenden Pressemitteilungen, etc. Die einzige Alternative ist Werbung, aber den Aufschrei will ich hören wenn die Behörden anfangen TV-Spots zu den neusten Corona-Regeln zu schalten. Es ist Aufgabe der Medien, zu berichten. Dafür haben sie die Privilegien, die sie haben. Das ist immer ein Abwägungsprozess; der Tag hat ja nur 24 Stunden, und 99,9% aller Informationen werden nie berichtet werden. Das liegt in der Natur der Dinge, und das ist völlig okay. Aber sich hinstellen und darüber klagen, dass die eigene Zunft nicht ihrer Aufgabe nachkommt, die Verantwortung dafür aber jemand anderem zuzuschieben, das ist schon echt dreist.

11) GOP Rekindles Deficit Concerns, Adding Snag to Talks on Aid

The flood of pandemic-relief spending from Washington has rekindled deficit concerns among Republican lawmakers, one of several hurdles facing the next round of stimulus many economists say is needed to pull the U.S. out of its downward spiral. After backing almost $3 trillion to offset the economic impact of the coronavirus pandemic, Senate Majority Leader Mitch McConnell and other Republicans now have begun raising alarms about the deficit and characterizing a new relief package as an if, not when, proposition. President Donald Trump is also tapping the brakes on the idea of swift action on any new aid package, saying he's in "no rush" for a new stimulus even after Friday's Labor Department report showing an unprecedented 20 million jobs were lost in April. With Democrats pressing for another package of relief that will likely carry a trillion-dollar price tag, Republicans like Florida Senator Rick Scott are already contemplating how to stem the red ink that's pushed 2020 deficit projection to almost $4 trillion from $1 trillion at the start of the year. "We've got to figure out now how we're going to pay for it," Scott said in an interview. Otherwise, "we're going to ruin this economy." (Steven T. Dennis, Bloomberg)

Die Heuchelei der Republicans ist immer wieder beeindruckend. Das muss man erst mal ohne das Gesicht zu verziehen laut aussprechen können. Im Endeffekt bereiten die sich auf die Sabotage einer kommenden Biden-Präsidentschaft vor. Nachdem sie Trillionen während Trumps Legislatur rausgeblasen haben, entdecken sie urplötzlich wieder die Tugend eines ausgeglichenen Haushalts. Vor zwei Wochen haben sie noch eine gewaltige Steuersenkung gefordert, als Corona-Maßnahme (wie sie das für alles fordern, etwas anderes fällt denen ja gar nicht ein). Und wenn Trump die Wahl gewinnt, werden sie vergessen, das je gesagt zu haben. Woher weiß ich, dass das passieren wird? Weil sie es immer so machen. Paul Ryan, der Papst des schlanken Staates, hat jedes noch so hohe Ausgabenprogramm der Bush-Regierung, angefangen bei Medicare D, abgenickt, genauso wie der Rest seiner Partei. Unter Obama haben sie alles erbittert bekämpft, selbst Versuche Obamas, Staatsausgaben zu kürzen. Und nun unter Trump nicken sie wieder alles ab. Und ich meine, klar, das ist irgendwie ihr Job. Es ist gute Politik. Was mich ärgert ist, dass es nur gute Politik ist, weil dieser Blödsinn ständig von den Medien für bare Münze genommen wird.


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