„Im Juni 2014 hat der Programmbeirat im Rückblick eine ganze Reihe von Beiträgen über die Krise in der Ukraine beobachtet, die seit Ende 2013 im Ersten ausgestrahlt worden waren. Zu diesem methodisch ungewöhnlichen Vorgehen sah er sich veranlaßt, nachdem einige Rundfunkräte sowie zahlreiche Zuschauer Kritik an der Ukraine-Berichterstattung im Ersten geübt und dabei vor allem Einseitigkeit zu Lasten Rußlands, mangelnde Differenziertheit sowie Lückenhaftigkeit beklagt hatten.
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Der Programmbeirat kam aufgrund seiner Beobachtungen zu dem Schluß, daß die Berichterstattung im Ersten über die Krise in der Ukraine teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt hat und tendenziell gegen Rußland und die russischen Positionen gerichtet war. Engagement und Einsatz der Reporter vor Ort sind in hohem Maße anzuerkennen. Jedoch sind in der Recherche – die vor Ort meist nur unzureichend geleistet werden könne – wichtige und wesentliche Aspekte nicht oder nur unzureichend beleuchtet worden, obwohl sie für ein Urteil über die Situation essentiell gewesen wären. An vielen Stellen wurde nicht ausreichend differenziert. Doch gerade in solch schwierigen Gemengelagen muß – soweit wie möglich und um ein ausgewogenes Urteil zu ermöglichen – auf möglichst hohe Vollständigkeit geachtet werden. Soweit dies in der aktuellen Berichterstattung nicht sofort geleistet werden kann, muß es in den Formaten der Hintergrundberichterstattung, in den »Tagesthemen«, in den Magazinen und in speziellen Features, aber auch mit geeigneten Gesprächspartnern und Experten in den Talkformaten nachgeholt werden. Folgende grundlegende Punkte, die für die Einschätzung und das Verständnis der Ursachen und der Eskalation der Krise wichtig gewesen wären, fehlten in der Ukraine-Berichterstattung im Ersten jedoch oder wurden nur unzureichend behandelt:
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Bei den Talkshows fiel auf, daß die Titel häufig antirussische Tendenzen erkennen ließen bzw. den Konflikt auf die Person Putin fokussierten und weder eine mögliche westliche Mitverantwortung am Entstehen der Krise thematisierten noch beispielsweise die demokratische Legitimation der Übergangsregierung oder der Maidan-Bewegung in der Ukraine in Frage stellten. (…)
Insgesamt hält der Programmbeirat aufgrund seiner Beobachtung der genannten Sendungen fest: In der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine überwog anfangs eine Schwarzweißzeichnung zugunsten der Maidan-Bewegung, obwohl hier auch das rechte, extrem nationalistische Lager beteiligt war, und zu Lasten der russischen und der abgesetzten ukrainischen Regierung, denen nahezu die gesamte Verantwortung zugeschoben wurde. (…) Das heißt, die Berichterstattung in einer Vielzahl von Medien folgte anscheinend einem gewissen Mainstream, dem sich auch Das Erste anschloß. Mit Fortschreiten der Krise war jedoch eine Änderung in der Farbe der Berichterstattung des Ersten zu registrieren: Sie erschien – vielleicht in Reaktion auf die Zuschauerkritik – etwas objektiver. Eine ganze Reihe von Punkten aber, die für das Verständnis der Ursachen und der Entwicklung der Krise und somit als Basis für eine sachliche Bewertung im Grunde unabdingbar sind, fehlte, wie erwähnt, in den beobachteten Formaten.
Quelle und gesamter Text: http://www.jungewelt.de/2014/09-19/028.php