Einigen Lesern wird der Name Udo Vetter ein Begriff sein, hier ist ein 2 Teiliges Interview, welches dass Internetportal Netzwelt mit ihm geführt hat. Äußerst interessant, wie ich finde, ich habe es der Einfachheit halber, zu einem einzigen Artikel zusammengefasst. Ich habe heute vor etwas auszuspannen und mir dass wunderbare Wetter, im Freien zu “geben”.
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Im Gespräch mit einem der wenigen deutschen Alpha-Blogger
Udo Vetter im Interview: „Das Lawblog ist vor einem Verkauf nicht sicher“
Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter schreibt bereits seit dem Jahr 2003 in seinem Lawblog über den Alltag als Strafverteidiger, lustige Rechtsfälle und die täglichen Aufreger durch eine überbordende Netzregulierung oder Internetsperren. In den deutschen Blogcharts rangiert seine Webseite stetig unter den Top Ten, auch in sozialen Netzwerke wie Twitter klebt eine große Anhängerschaft an Udo Vetters Lippen. Er gilt nicht nur als einer der exponiertesten Gegner von Internetsperren oder der Vorratsdatenspeicherung, sondern ist auch unbestreitbar einer der wenigen deutschen Alpha-Blogger, die eine breite Leserschaft erreichen
Im Interview mit Netzwelt erklärt er, warum er sich überhaupt die Mühe macht, zu bloggen und wie der dazu während des Irak-Kriegs gekommen ist. Herr Vetter würde sein Blog auch verkaufen, wie er verrät.
Netzwelt: Herr Vetter, schön dass Sie sich Zeit für ein Gespräch mit netzwelt nehmen. Ich habe ein Problem, wie ich Sie anreden soll. Sind sie ein bloggender Jurist, oder doch schon ein juristischer Blogger?
Udo Vetter: Das ist eine sehr gute Frage (lacht). Ich denke, zunächst bin ich einmal Strafverteidiger -das ist mein Job. Vielleicht bin ich dann auch der bloggende Jurist, was ich aber am wenigstens bin ist der bloggende Journalist. Da wäre ich meinem ursprünglichen Berufsziel treu geblieben, das ich bis zum Studium hatte – nämlich Journalist zu werden. Ich würde also sagen, der bloggende Jurist ist schon die treffendste Beschreibung.
Netzwelt: Haben Sie eigentlich schon einmal überlegt, vom Strafrecht auf Medienrecht umzusatteln? Immerhin sind Sie in Themen rund um Netzpolitik sehr exponiert und erheben dazu regelmäßig Ihre Stimme.
Udo Vetter: Naja, wie das halt immer so ist – man erkennt im Studium und insbesondere dann in der ersten anwaltlichen Praxis direkt diejenigen Rechtsgebiete, die einem am meisten Spaß machen. Das war für mich schon von vornherein eben das Strafrecht, weil es nicht nur eine besondere sondern auch herausfordernde Materie ist. Ich würde mich jetzt nicht als einen Anwalt einschätzen, der im Hinterzimmer sitzt und dort riesige Verträge möglicherweise noch in einem großen Team ausarbeitet. Für mich ist der Job des Strafverteidigers dann schon etwas spannender, weil er eben nicht nur mit Paragraphen zu tun hat sondern auch viel mit Psychologie. Wie ist die Stimmung, was kann man erreichen? Wie argumentiert man?
Warum nicht Medienrecht? Ich bin inzwischen ja auch Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Düsseldorf und übernehme natürlich auch medienrechtliche Mandate, sofern mich diese interessieren.
Netzwelt: Ist der Reiz an der Psychologie auch ein Grund, warum Sie bloggen? Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, ein Blog zu betreiben? Die Blogosphäre ist ja seit jeher ein sehr schwieriges Umfeld.
Udo Vetter: Es ist ja so, dass ich – ohne mich jetzt besonders loben zu wollen – praktisch ein Blog-Pionier bin. Wenn Sie das Archiv des Lawblog durchsehen werden Sie feststellen, dass die ersten Beiträge aus dem März 2003 stammen. Zum Bloggen selbst bin ich gekommen während des zweiten Irak-Kriegs, George W. Bush marschierte damals nach Bagdad. Damals habe ich von einem Blogger aus der Stadt gelesen, der auf seiner Webseite direkt aus Bagdad berichtet hat – damals habe ich zum ersten Mal von Blogs gehört. Ich bin dann auf den Dienst Blogger.com von Google gestoßen, den es damals schon gab und habe mir gedacht: Mensch, das ist doch auch etwas für dich. Mich reizte am Bloggen, dass ich meine publizistische Ader mit meiner beruflichen Tätigkeit gut verbinden konnte.
Der Irak-Krieg war also sozusagen der Auslöser, den Lawblog zu starten. Wenn Sie jetzt die Stimmungen in der Blogosphäre ansprechen muss man wissen, dass ich mit nur zwölf Besuchern am Tag auf dem Blog angefangen habe – und von denen kamen acht Besuche von mir selbst, weil ich ständig auf meine Seite geschaut habe. Es ist ja nicht so, dass das Blog von null auf hundert so viele Leser hatte wie heute, ich bin mit der Bloggersphäre sozusagen groß geworden. Dabei bin ich aber nie besonders abhängig gewesen – heute sieht man ja, dass diese Selbstreferenzialität (Verlinkungen der Blogs untereinander zum Zweck, mehr Besucher anzusprechen; Anmerkung der Redaktion) der Szene so garnicht mehr existiert. Es gibt einige extrem bekannte Blogs und dann wieder andere Blogs – den Effekt, dass sich jeder Blogger mit dem anderen sofort solidarisiert, gibt es praktisch überhaupt nicht mehr.
Für mich selbst zwar Selbstreferenzialität nie ein großes Thema, ich habe meine Themen immer unabhängig gesetzt. Das ist aber natürlich für ein Blog, dass aus dem juristischen Bereich kommt und aus dem Alltag eines Anwalts berichten soll, auch ziemlich einfach.
Netzwelt: Was glauben Sie, was die Verlinkungen und Solidarität der Blogger untereinander kaputt gemacht hat? Haben Dienste wie Twitter, Facebook und Co. eine Art Niedergang verursacht?
Udo Vetter: Das ist eine schwierige Frage. Ich merke eigentlich nur, dass viele Leute jetzt auf sich selbst fixiert sind. Meiner Erfahrung nach hat es einfach nachgelassen, sich untereinander zu verlinken. Das mag natürlich auch meine subjektive Wahrnehmung sein, dass die Blogosphäre in Auflösung begriffen ist oder sich etwas zerfasert. Mein Gefühl ist, dass sich Blogger untereinander weniger beobachten, was aber wie gesagt nicht unbedingt stimmen muss. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Blog-Szene eine gewissen Eigenentwicklung durchgemacht hat: Das gesamte soziale Netz wächst ja irgendwie zusammen.
Das ist auch das, was Sie im Kern ansprechen – neben Twitter, Facebook und Co. kommen noch die Online-Ausgaben der etablierten Medien zusammen, sodass die Grenzen zwischen Blog und klassischem Online-Medium verschwimmen. Man weiß teilweise nicht mehr, ob es sich bei einer Webseite nun um ein Blog handelt oder ein klassisches Nachrichten-Angebot. Dazu kommt, dass immer mehr Journalisten auch eigene Blogs außerhalb der Redaktion betreiben, z.B. Redakteure der FAZ. Im Grunde wächst da also eher etwas zusammen, als dass es auseinander driftet. Das Internet ist sozusagen so etwas wie ein schwarzes Loch, in dem alle Medienangebote nicht eliminiert, sondern integriert werden.
Seine journalistische Ader gibt Udo Vetter ganz offen zu. (Bild: Udo Vetter)
Netzwelt: Ihr Lawblog ist ja selbst ein sogenannter Alpha-Blog, der eine breite Leserschaft erreicht. Wie lebt es sich damit? Kommt es vor, dass Sie auf der Straße schon direkt erkannt werden?
Udo Vetter: Es kommt tatsächlich durchaus vor, dass ich auf der Straße erkannt werde – das kann hoffentlich aber auch daran liegen, dass man neben seiner Rolle als Alpha-Blogger, im positiven Sinne, auch als einigermaßen geschäftstätiger Strafverteidiger auch andere Medienpräsenz hat, z.B. im Fernsehen und Rundfunk. Es kommt also schon mal vor, dass ich angesprochen werde – und das freut mich dann auch immer sehr. Allerdings ist es noch nicht soweit, dass ich Autogrammkarten drucken lassen muss. Da hätte ich aber auch kein Problem damit. (lacht)
Netzwelt: Glauben Sie, dass Ihr Blog auch ein bisschen das Geschäft als Strafverteidiger fördert?
Udo Vetter: Naja – also wenn ich jetzt sagen würde, durch das Blog kämen keinerlei neue Mandate, müsste ich lügen und Sie würden mir das auch nicht glauben. Drei, vier Jahre lang habe ich wirklich am Blog gearbeitet und enorm viel Spaß gehabt, ohne dass ich aber einen wirtschaftlichen Effekt gemerkt hätte. Seit dem Jahr 2005 oder 2006, als das Blog ein bisschen aus der Nische herauskam und sich zu den A-Blogs gesellte, ist das natürlich schon spürbar, dass auch Mandate aus dieser Schiene kommen. Manche Leute sagen: Bevor ich jetzt zu einem mir unbekannten Anwalt um die Ecke gehe, rufe ich lieber den Rechtsanwalt Vetter an, weil ich den ja gefühlt viel besser kenne als den Anwalt um die Ecke. Dieses Feedback erhalte ich schon. Das Blog hat durchaus wirtschaftliche Relevanz, obwohl ich mich bemühe, es nicht zu einem Marketing-Instrument verkommen zu lassen.
Ich scheue mich nicht davor, auch mal kontroverse Dinge zu schreiben, bei denen sofort Häme von den Kommentatoren kommt und es sofort heißt, was für ein schlechter Anwalt der Vetter doch sei. An der Fokussierung auf das Marketing scheitern meiner Meinung nach auch viele Firmen-Blogs: Denen ist das Marketing eben so auf die Stirn geschrieben, dass der Leser sofort gelangweilt nach dem dritten Beitrag das kleine Kreuzchen oben recht im Browser anklickt.
Netzwelt: Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihr Blog zu verkaufen, ähnlich wie Robert Basic mit Basic Thinking? Kommt es für Sie in Frage, irgendwann aufzuhören, wenn das Blog zu viel Zeit kostet?
Udo Vetter: Ich habe ehrlich gesagt nie daran gedacht, den Blog aufzugeben. Wenn ich immer gefragt werde, wie ich das zeitlich schaffe, sage ich immer: Andere Anwälte gehen auf den Golfplatz, ich schreibe ganz gerne etwas. Bei mir kommt noch dazu, dass das Blog nicht soviel Arbeit macht, wie es aussieht. Ich habe das Glück, durch meine freiberufliche Tätigkeit als Journalist während der Schule und der Studienzeit recht schnell schreiben zu können. Ich habe hier eine gewisse Routine entwickelt.
Was in der Tat sicher eine Sache ist, über die ich öfter nachdenke, ist eine mögliche – wie soll man das am besten ausdrücken – vielleicht Kommerzialisierung des Blogs auf Grund seiner Reichweite. Die Kommerzialisierung ist dahingehend angedacht, dass das Blog eben Erträge abwirft, was ohne Probleme möglich wäre auf Grund der hohen Reichweite. Das wäre dann aber mit dem Ziel verbunden, entweder von mir oder anderen Beteiligten mehr Zeit in das Blog zu investieren. Es geht nicht primär ums Geld verdienen, sondern um die qualitative Aufwertung der Inhalte. Also: Es ist nicht gesagt, dass mein Lawblog immer eine werbefreie Unternehmung sein muss – garantiert wird es aber nicht zu einem Bannerfriedhof verkommen. Ich muss ehrlich sagen, dass jedwede Planungen in diesem Bereich bisher daran gescheitert sind, dass man meistens ja wichtigere Dinge zu tun hat.
Im Moment verdiene ich nicht an dem Blog mit Ausnahme der Flattr-Einnahmen. Der beste Monat war bisher der Dezember 2010, in dem glaube ich 670 Euro über Flattr eingenommen wurden. Allerdings Brutto, da muss die Umsatzsteuer noch abgerechnet werden. Durchschnittlich liegt das Blog ansonsten bei 300 bis 400 Euro – das ist also nicht das, was ich unter Kommerzialisierung verstehen würde, sondern eher ein Beitrag zur Kostendeckung für Server und andere Dinge.
Netzwelt: Ein Verkauf nach dem Vorbild von Basic Thinking auf eBay kommt also keinesfalls in Frage?
Udo Vetter: Ich gehöre zu den Menschen, die erklärtermaßen schon immer gesagt haben: Meine Arbeit ist nicht mein Leben. Ich würde auch gerne einmal andere Dinge machen, insbesondere habe ich noch immer den Jugendtraum, gute Romane zu schreiben. Wenn es mir jemand ermöglichen würde, durch Zahlung eines bestimmten Geldbetrages diesem Ziel ein wenig näher zu kommen, ist das Lawblog natürlich auch nicht sicher. Aber das müsste dann natürlich eine Summe sein, die mir meine Ideen wirklich ermöglicht. Bisher wollte unter den Interessenten, die sich durchaus immer wieder melden, niemand in diese finanziellen Spähren vorstoßen. Kurz gesagt: Wenn jemand einen hohen Betrag bieten will, wäre ich mir wahrscheinlich selbst der nächste und würde sagen „Okay“. Ich halte die ganze Idee aber insgesamt nicht für realistisch. Den vorgezogenen Ruhestand kann man auch mit einem Alpha-Blog, wie Sie es nennen, nicht finanzieren.
Ich denke daher nicht ernsthaft ans Verkaufen. Insbesondere würde ich auch nicht zu einem solchen Betrag verkaufen, wie ihn der Robert Basic damals erzielt hat – dazu ist mir das Blog auch persönlich einfach viel zu wichtig. Für das Geld würde ich es nicht abgeben, obwohl es doch eine stattliche Summe war.
Netzwelt: Wo sehen Sie die größten juristischen Gefahren für den Normalverbraucher im Internet, Herr Vetter? Früher waren es gestohlene Straßenkarten, die man sich auf seine Webseite gezogen und eine Abmahnung kassiert hat. Danach kamen Musik und Film, der ganze Komplott um die Tauschbörsen. Wo tappen Nutzer heute am schnellsten in juristische Fallen?
Udo Vetter: Da muss man zwei Seiten unterscheiden. Es gibt einmal den Bereich der Konsumenten -also Leute die nur Inhalte abrufen. Da würde ich schon sagen, dass immer noch die Tauschbörsen die größte Fallen sind, wobei Kinder und Jugendliche hier sehr arglos herangehen. Sie hören von Torrent und Co. und tappen hier durchaus schnell in die Falle. Bei Dingen wie den berühmten Abofallen, hat sich ja inzwischen herumgesprochen, dass diese nicht bezahlt werden müssen – und hier geht es ja auch „nur“ um 96 Euro.
Relevanter als die Konsumenten-Seite ist eher der Bereich, in dem man selbst Inhalte generiert, also StudiVZ und andere soziale Netzwerke oder auch Blogs. Man muss hier aufpassen, dass man die Privatsphäre nicht vollständig aufgibt und indirekte Schäden dadurch erleidet, dass man zu viele Informationen über sein Privatleben offenlegt. Die Geschichte mit den Partybildern, auf denen betrunkene Jugendliche bei Facebook und Co. zu sehen sind, hört sich an wie eine Plattitüde – aber letztendlich ist sie Teil der Realität. Künftige Schulleiter und Personalchefs wissen, was da läuft.
Ansonsten bin ich ja schon relativ lange im Internet unterwegs. Ich kann nicht bestätigen, dass es ein rechtsfreier Raum ist und alles machbar wäre, wie manche Politiker gerne meinen. Zu 99,9 Prozent besteht es aus legalen und sozial begrüßenswerten Aktivitäten. Stichwort soziales Netz: Das hat den Menschen ja geradezu eine Art zweiten Lebensraum beschert, in dem man sich wie in der realen Welt bewegen kann und die Tendenz eindeutig dahin geht, seinen Klarnamen zu verwenden. Die beiden Lebensräume vermischen sich nicht nur, sondern ergänzen sich prächtig.
Ich meine: Wer mit einem gewissen Augenmaß im Internet unterwegs ist und sich überlegt, ob er bei einer Sache in eine Falle hineintappt oder nicht, kann mit ganz ruhigem Gewissen unterwegs sein. Die Risiken sind längst nicht so groß, wie sie dargestellt werden. Dabei muss man aber immer – Stichwort Jugendschutz – auch auf eine vernünftige Medienerziehung achten. Kinder und Jugendliche kann man nicht einfach auf das Netz loslassen. Es bedarf kompetenter Eltern und Schulen, die den Kindern den Umgang mit dem Medium beibringen. Im echten Leben gibt es ja auch Gefahren.
Netzwelt: Sie sprechen die Politik an. Sehen Sie eine Chance, dass wir jemals zu einem gesellschaftlichen Konsens kommen, der die Regulierungsbestrebungen der Politik und das Freiheits-Denken der Netz-Szene unter einen Hut bringt? Im Moment sieht es doch eher danach aus, als ginge der Kampf endlos weiter.
Udo Vetter: Ich tendiere eher dazu, dass die Auseinandersetzung noch lange anhalten wird. Das liegt aber nicht nur daran, dass das Internet ein neuer zweiter Lebensraum geworden ist, sondern auch eine soziologische Revolution in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht ausgelöst hat. Ich glaube, Sascha Lobo hat das einmal sehr schön gesagt: Das Internet ist gleich nach dem Buchdruck das eindrucksvollste revolutionäre Element, das die Welt bisher überhaupt erlebt hat, weil es die Demokratie globalisiert.
Jeder Mensch hat plötzlich eine Stimme, die er frei und direkt äußern kann. Das führt in demokratischen Gesellschaften wie bei uns zu einer Reibung mit den, ich sage es mal vorsichtig, etablierten Machthabern, die aber natürlich demokratisch legitimiert sind. Oftmals finden sie es schwierig, die Stimme des Volkes ständig im Nacken zu haben und im besten Fall nicht nur die Stimme, sondern auch den Atem des Volkes zu spüren.
Deswegen glaube ich, dass auch in demokratischen Gesellschaften die Grundtendenz immer dahin gehen wird, das Internet erst einmal skeptisch zu sehen und es mit Sprüchen wie „das Netz ist ein anarchistischer Raum“ oder „dort verkehren nur Kriminelle“ zu diffamieren, um diesen Atem nicht zu heftig zu spüren und die Stimmen nicht zu laut werden zu lassen. Das ist meiner Meinung nach aber der grundlegend falsche Ansatz: Jeder Politiker müsste sich eigentlich darüber freuen, dass jetzt jeder Bürger etwas in das Internet hineinschreiben kann, seine Stimme mit denkbar geringstem Aufwand erheben kann. Im Netz erhalten die weitaus meisten Stimmen – da bleibe ich dabei – ja keine Hetze, Verleumdung oder Propaganda, sondern durchaus kritische und sachliche Äußerungen zur Verbesserung der Gesellschaft.
In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir es mit ganz intensiven Restriktionsbemühungen zu tun haben – Stichwort Vorratsdatenspeicherung oder Vorschläge von Politikern, die sagen, man solle gar nicht mehr anonym ins Internet dürfen. Wie in Italien, wo man die Ausweispflicht in Internetcafés kennt. Solche Diskussionen werden geführt werden. Ich hoffe aber darauf, dass die nachrückende Generation von Politikern eher versteht, dass man diese mächtige technologische Revolution nicht bremsen kann und das Rad nicht zurückdrehen kann. Allenfalls kann man sehen, dass sich das Rad eben in die richtige Richtung dreht. Es besteht die Gefahr, dass das Internet neben dem internationalen Terrorismus und der internationalen Kinderporno-Industrie, die angeblich Milliarden verdient, als Sündenbock herhalten muss.
Als Dozenz für Medienrecht lehrt er an der Fachhochschule Düsseldorf. (Bild: Udo Vetter)
Netzwelt: Liegt das wirklich am Alter der Politiker? Löst sich das Problem also sozusagen von selbst?
Udo Vetter: Man darf die ältere Generation jetzt auch nicht verunglimpfen. Ich habe kürzlich gelesen, dass ein Großteil der bundesdeutschen Senioren sich gerade nach Eintritt in den Ruhestand mit dem Internet beschäftigt – die Entwicklung kann man also jetzt sicher nicht an Geburtsjahrgängen festmachen. Ich kann für meinen Teil aber ein Beispiel bringen, das ich im juristischen Bereich sehe: Vor zehn oder zwölf Jahren war es ein richtiges Vabanquespiel, einen Prozess mit einem Thema aus dem Online-Bereich zu führen, weil sich Richter eben gerade erst mit dem Faxgerät vertraut gemacht haben und keine Ahnung hatten, was eine E-Mail oder das Internet ist.
Im Laufe der Jahre sind aber natürlich junge Richter nachgewachsen und die älteren haben sich das Wissen angeeignet, die Kompetenz ist also durch den täglichen Umgang damit gestiegen. Eigentlich sollten also sowohl junge, als auch ältere Politiker zu der Erkenntnis kommen können, dass man das Internet nicht stoppen kann – es sei denn, man möchte sich auf Tagungen mit Nordkorea, dem Iran oder China treffen.
Netzwelt: Ihre optimistische Sicht auf die Verständnisfähigkeit der Politiker ist lobenswert – im Moment sieht die politische Realität aber anders aus. Was sagen Sie zu den aktuellen Bestrebungen der Europäischen Union, Deutschland eine Regelung zur Vorratsdatenspeicherung beziehungsweise Netzregulierung vorzugeben?
Udo Vetter: Das ist ja immer so gewesen, dass wenn etwas auf nationaler Ebene nicht geht, es eben über die EU-Schiene versucht wird. Ich denke, das Mittel der EU-Richtlinie wird damit aber komplett falsch verstanden. Bei den mahnenden Worten, die jetzt aus Brüssel kommen, würde ich behaupten: Diese sind aus Berliner Kreisen angestoßen worden. Das, was die zuständige EU-Kommissarin in Brüssel erklärt hat, ist doch letztendlich das Echo dessen, was ihr von enttäuschten Berliner Politikern eingeflößt worden ist. Ich halte es durchaus nicht für ausgemacht, dass die Bundesrepublik überhaupt dazu verpflichtet ist, derartiges EU-Recht umzusetzen. Insbesondere ja schon deshalb nicht, weil unser Bundesverfassungsgericht, das auf die Einhaltung des Grundgesetzes achten muss, schon ein recht eindeutiges Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt hat.
Man muss ja nur einmal das Urteil lesen.
Dann stellt man fest, dass es jetzt nicht einfach auf den Punkt Null zurückgehen kann und man sagt, wir machen jetzt mal wieder ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Im Urteil aus Karlsruhe steht exakt, unter welchen Voraussetzungen eine Vorratsdatenspeicherung allenfalls zulässig ist – etwa wenn es um die Bekämpfung schwerster Kriminalität, Gefahr für Leib und Leben oder die demokratische Grundordnung geht. Brüssel kann ja nicht sagen, dass ihnen egal ist, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Das EU-Recht findet letztendlich auch seine Schranken in den Vorgaben unseres Grundgesetzes. Ich möchte Politikern in der Debatte einfach mal empfehlen, das Urteil aus Karlsruhe im Wortlaut nachzulesen. Wenn wieder eine Regelung gemacht wird, die genau wie das alte Gesetz oder ähnlich ausgestaltet ist, kommt das Bundesverfassungsgericht nicht um eine weitere negative Entscheidung herum.
Die Richter haben der Politik den Rechtsrahmen schon einmal aufgeschrieben, sie werden es auch gerne auch ein zweites Mal tun. Ich halte es juristisch für ausgeschlossen, dass aus Brüssel die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgehebelt werden kann. Ein ähnliches Beispiel haben wir ja übrigens auch beim europäischen Haftbefehl erlebt, der in seiner ersten Form auch grandios gescheitert ist.
Netzwelt: Das heißt, das Grundgesetz schützt uns also relativ gut vor weiterer Netzregulierung?
Udo Vetter: Was die Vorratsdatenspeicherung angeht, sehe ich wie gesagt ein eindeutiges und gut begründetes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Eine EU-Richtlinie ist ja kein deutsches Recht, sondern muss in Landesrecht umgesetzt werden. Spätestens bei dieser Umsetzung muss die Bundesregierung und auch der Bundestag die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts natürlich vollständig beachten. Das bedeutet dann, dass man zum Beispiel sagen kann, dass statt einer maximalen eben eine minimale Umsetzung der Richtlinie gemacht wird oder gleich klar gesagt wird, dass die Vorgaben in Deutschland eben nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind und wir das ganze Zeug nicht wollen. Ich denke, letzteres wäre auch die richtige Reaktion.
In weiten Teilen der Bevölkerung war der Schrecken ja recht groß, was Vorratsdatenspeicherung eigentlich bedeutet. Nichts hat zum Beispiel meine Mutter oder auch Großmutter so entsetzt wie die Befürchtung, dass jetzt ihre Telefonverbindungsdaten aufgezeichnet werden. Ich glaube, die Politik unterschätzt die Bevölkerung, die sich nicht bespitzeln lassen will – das gilt gerade auch in Ostdeutschland.
Netzwelt: Zum Schluss eine Frage. Kann Sie ein netzwelt-Leser eigentlich auch über den E-Postbrief erreichen, wenn er Sie nach dem Gespräch jetzt sympathisch findet und sofort als Anwalt beauftragen will?
Udo Vetter: Nein. Ich habe mich zum E-Postbrief ja schon mehrfach geäußert. Ich halte das für eine Mogelpackung und für sehr riskant, sich daran zu beteiligen. Für den Bürger überwiegen die Nachteile klar die Vorteile – man ist plötzlich verpflichtet, täglich in sein Postfach zu schauen und hier werden auch Beweislasten komplett umgekehrt. Im Prinzip ist das System ja auch eine ganz normale E-Mail nur in einer anderen Verpackung, obwohl die normale E-Mail schon seit Jahrzehnten zuverlässig funktioniert. Bitte also keinen E-Postbrief schicken, belassen wir es bei der normalen E-Mail.
Netzwelt: Danke für das Gespräch, Herr Vetter. Wir wünschen Ihnen alles Gute.
(Das Gespräch wurde am 20.04.2011 geführt.)
Originalquelle des Artikels: http://www.netzwelt.de/news/86386-udo-vetter-interview-lawblog-verkauf-sicher.html