Überzeugungstäter

Von Stefan Sasse
Der Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, setzt in einem Beitrag Axel Weber ein Denkmal. Weber habe sich in den letzten Jahren aus politischen Gründen bis zur Selbstverleugnung getrieben, indem er den geldpolitischen Kurs der EU mitgemacht habe, indem er sich nicht entschieden gegen die Inflationspolitik gestellt habe:
Weber ist einer der letzten prominenten Verfechter der reinen Lehre der Anti-Inflationspolitik. Die ehernen ordnungspolitischen Wahrheiten schweißen die Spitzen der Deutschen Bundesbank zu einem elitären Zirkel von Überzeugungstätern zusammen. Für diese Ökonomen sind die strikten Regeln der Geldpolitik unantastbar und nicht verhandelbar.
Nun ist es sicher ehrenwert, dass gegen Inflation angegangen wird - denn wirklich haben will die keiner. Allein, in ihrer Überzeugungstäterschaft, die bei Tichy als große Tugend daherkommt, tun Weber und die anderen Bundesbanker niemandem einen Gefallen. 
Möglich, dass sie Recht haben. Möglich, dass Inflation durch die Euro-Rettung entstehen wird, dass große Kosten nicht nur, aber hauptsächlich für Deutschland entstehen. Mag alles sein. Nur, wissen kann es niemand. Stellen wir uns für einen Moment vor, dass Weber EZB-Chef wird und dann, aus irgendeinem Grund in einem politischen Vakuum operierend nicht mehr zu Kompromissen gezwungen seine reine Lehre aus Überzeugung durchsetzen kann. Wenn es klappt, ist ihm der Ruhm der Nachwelt sicher. Wenn es nicht klappt - dann bricht Europa mit einem Schlag zusammen, der 1929 wie ein laues Lüftchen aussehen lassen wird. Die Konsequenzen eines Zusammenbruchs der Euro-Zone sind potentiell verheerend.
Seit fast über 50 Jahren fußt der Friede in Europa auch auf der Verflechtung der einst so streitsüchtigen nationalen Streithähne, in ihrem beständigen Zwang zur Kooperation, in dem sich die Großen - ganz besonders die BRD - stets zurücknehmen und Kompromisse mit den Interessen der Kleinen schließen mussten. Dieser Konsens wird von Merkel in einem wahren Hasardeursspiel nationaler Großmannspolitik bereits aufs Spiel gesetzt, doch würde sich diese Linie nun auch finanzpolitisch für alle EU-Länder verbindlich durchsetzen, so gäbe es für viele keine Möglichkeit mehr, in der EU zu verbleiben. Der südliche Rand der EU wäre wohl der erste, der ginge und sich in einen Hort der Instabilität verwandeln würde. Ein katatrophaler wirtschaftlicher und sozialer Abstieg  in diesen Ländern, der dort einzig und allein der EU angelastet würde, würde sie auf lange Zeit zu erbitterten Feinden der Union machen und vermutlich entsprechende Politiker an die Macht bringen. Die Streitereien mit Frankreich würden sich ebenfalls häufen, eine Kooperation mit Paris wäre kaum mehr vorstellbar. Die EU fußt aber letztlich auf der Einigkeit seiner beiden wichtigsten Schrittmacherstaaten. Würde der Kompromiss dieser beiden Länder zugunsten einer Konkurrenz aufgekündigt, würde die EU zu funktionieren aufhören. Auch die Euro-Währungszone würde das nicht überleben. Innerhalb weniger Jahre würden so große Teile der EU ins Chaos trudeln. 
Noch einmal: gesichert ist das nicht. Weber könnte auch Recht behalten. Aber die Bedrohung ist eine reale. Nur um der Aufrechterhaltung einiger monetärer Prinzipien willen, deren Richtigkeit genauso in Frage steht wie das beschriebene Szenario, die vollständige Katastrophe zu riskieren - das ist unverantwortlich und falsch. Die Alternative kostet uns Geld, sicherlich. Sie belastet die Haushalte. Aber letztlich handelt es sich dabei um ein politisches Problem, das politisch lösbar bleibt - und das in seinen Dimensionen nicht annähernd mit dem Problem vergleichbar ist, das die obige Schilderung hervorrufen würde. Es ist deswegen zu begrüßen, wenn Dogmatiker wie Weber nicht an Positionen sitzen, die demokratisch ohnehin nicht legitimiert, dafür aber mit weitreichendem Einfluss ausgestattet sind. Lieber soll er an einer Universität oder in irgendwelchen Gremien sitzen und alternative Gutachten verfassen, nach denen Entscheider dann entscheiden können - oder auch nicht.

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