Ich stehe auf, versorge die Kinder. Dann gehe ich auf den Balkon. Ich blinzele in den aufhellenden Tag, atme die frische, reine Luft ein.
Meine Nachbarin fährt zur Arbeit. Ich schaue ihr nach und schüttele bedauernd den Kopf. Sie wird mit dem Bus abgeholt, der Sie nach draußen, weit vor die Stadt bringt. Eine Stunde Fahrt hat sie jetzt vor sich. Und warum? Weil sie dumm und schwach ist, aber das ist nicht mein Problem.
Heute habe ich frei, aber Morgen werde ich auch zur Arbeit fahren, 15 Minuten von hier.
Werde meinen tollen, aufregenden Job machen, während meine Nachbarin weit vor den Toren der Stadt in der Fabrik schuften muss. Umgeben von industriellen Abgasen, aber nun, das dürfte sie kaum stören, oder?
Und sie wird glücklich sein, wenn sie in der Gewerbezone angekommen ist, aus dem Bus steigt, und dann endlich ihre erste Zigarette rauchen kann.
Wieder schüttele ich den Kopf über so viel Dummheit.
Ich sehe sie quasi vor mir – sie und die acht Anderen aus unserem Dorf – wie sie dann den ganzen Tag am Fließband schuftet, die Augen müde, der Rücken schmerzhaft gebeugt. Aber gut, sie hat sich das ja so ausgesucht, nicht wahr?
Und alle 2 Stunden wird das Signal erklingen. Die Fließbänder werden für 5 Minuten angehalten und die Arbeiter werden zu Hunderten ins Freie strömen. Von allen Seiten werden sie kommen, aus hunderten Fabriken, und sich in die Raucherkuppel begeben. Werden sich dort selbst vergiften und aus irgendeinem merkwürdigen Grund werden sie sich darüber freuen. Dann werden sie wieder an die Arbeit gehen.
Ich bringe die Kinder in die Schule und fahre dann in die Stadt. Am äußeren Rand reicht noch mein Nichtraucherausweis aus: Die Kontrollen alle paar Monate sind lästig und teuer, aber das ist es mir wert, wenn ich hier nicht erst anstehen muss.
Ich stelle mein Auto ab und schlendere durch die wunderbare, autofreie saubere Stadt, Richtung Inneres.
Um durch den zweiten Ring zu kommen, muss ich jetzt allerdings durch die Atemkontrolle: Bei wem zu viel Kohlenmonoxid nachgewiesen wird, der muss draußen bleiben. Hier darf nur durch, wer seit etwa 3 Tagen nicht mehr geraucht hat und nicht nach Alkohol oder Essen riecht.
Die Geschäfte hier sind kleiner, exklusiver, die Preise höher. Insofern halte ich die Kontrolle hier fast schon für übertrieben: Wo sollte ein Raucher auch das Geld für solche Luxusgüter herhaben? In den Fabriken draußen ist nicht viel zu verdienen.
Ich tätige meine Einkäfe und bummele dann noch zum innersten Kreis, der gerade erst frisch angelegt worden ist: Hier finden sich neben Geschäften, Restaurant und Wellnessbetrieben vor Allem Wohnhäuser. Schön ist es hier, mein Mann und ich haben uns schon auf die Warteliste setzen lassen.
Aber der Grund für meine Neugier ist ein anderer: Hier wird derzeit eine ganz neue Art Kontrolle gebaut, wie sie schon seit Jahren in den größeren Städten erfolgreich ist; der Stadtrat und die ansässigen Einwohner haben sich einstimmig dafür ausgesprochen: Hier, in das Innerste, Sauberste und Schönste werden demnächst nur noch Menschen gelassen, die nicht nur Nichtraucher sind, sondern auch frische Kleidung tragen, hygienisch gewaschen sind und deren Körperfettanteil einen gewissen Prozentsatz nicht übersteigt.
Ich freue mich schon sehr darauf, hier wohnen zu können!
Abends sehe ich meine Nachbarin nach Hause kommen. Sie sieht müde und abgekämpft aus und ist eine Stunde zu spät dran.
Ich zucke mit den Schultern, da habe ich kein Mitleid für, ich weiß doch ganz genau, was passiert ist: Sie hat wohl wieder in der Abendpause ein paar Leute aus der Spätschicht getroffen und konnte es nicht lassen, sich mit denen eine zu rauchen. Selbst Schuld, oder? Schließlich weiß sie doch, dass sie erst wieder aus dem Gewerbebezirkt rauskommt, wenn man seit 3 Stunden nicht geraucht hat.
Ich gehe wieder rein, in mein sauberes, hygienisches, gesundes, wunderbares Heim. Manche Leute haben es wirklich nicht anders verdient.
Und nächste Woche gehe ich wählen: Wird endlich Zeit, dass die Raucher ihre eigenen Dörfer draußen in der Gewerbezone kriegen. Ist doch auch in deren Interesse, oder? Dann haben sie es nicht mehr so weit zur Arbeit, können mehr rauchen und belästigen uns normale Menschen nicht.
Das wäre doch eine echte win-win-Situation!
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