Überlegungen zum Erschöpfungszustand von Müttern nach der Erledigung der Hausaufgaben durch Kinder: eine Analyse.

Von Berit Andersen

Nach einem Sonntag Nachmittag voller Hausaufgaben bin ich unendlich fertig. „Aha!“, höre ich sofort eine imaginäre Stimme flüstern, „selber schuld! Warum lässt du deine Kinder ihre Hausaufgaben nicht alleine machen?“

Im Grunde denke ich das auch. Manchmal fühle ich mich auch nahezu erpresst. Dann aber sehe ich wirklich eine gewisse Not in den Kinderaugen. Und heute kam in mir eine leise Ahnung auf, woher meine Erschöpfung stammt. Der Versuch einer Analyse:

Erste Quelle der Erschöpfung: Die Bummelei. 

Bis die mal ihre Sachen auf dem Tisch haben. Bis die mal „kurz“ ihren Bleistift gesucht haben. Bis die mal die richtige Seite aufgeschlagen haben. Bis die mal den Stift in der Hand halten. Bis die mal noch „schnell“ „ein bisschen“ Lego gespielt haben … man kann meine grauen Haare direkt stöhnen hören.

Zweite Quelle der Erschöpfung: Unendliche Diskussionen.

Da gibt es die noch harmlosen Diskussionen, quasi vorbereitende. Bevor man Hausaufgaben macht, muss man für einen sauberen Platz sorgen. Und vorher muss man auch noch Mittagessen. Und davor muss ja auch jemand noch den Tisch decken. Um Himmels Willen!

„Diesen Fleck wische ich nicht weg! Daran ist Sohni schuld!“ – „WAS??? GAR NICHT! Das ist nicht mal mein Platz! Ich mache den ganz bestimmt nicht weg! Lieber sterbe ich!“

„Wieso muss IMMER ICH den Tischdecken!? Ich decke schon mein halbes Leben den Tisch! NIE muss mein Bruder den Tisch decken! Immer nur ICH!“

„Diese Socke hebe ich nicht auf! Niemals! Das ist nicht meine Socke! Außerdem habe ich vor zwei Jahren SCHON MAL eine Socke aufgehoben!“

„Mama, es ist doch gar nicht SICHER, dass ich übermorgen die Klassenarbeit schreibe! Ich lerne doch nicht für eine Klassenarbeit, die ich nur vielleicht schreibe!“

Mein besonderer Liebling sind die Grundsatz-Diskussionen:

„Wieso müssen wir eigentlich Hausaufgaben machen? Wer hat eigentlich die Schulpflicht erfunden? Mama, in welchem Land gibt es keine Schulpflicht? Warum wohnen wir nicht dort? Warum ist Deutsch keine Weltsprache? Hausaufgaben sind Folter! Kinderarbeit ist verboten! Kinder haben Rechte! Kinder haben ein Recht auf Freizeit und Spielen und auf eine GEWALTFREIE Erziehung!“

Dritte Quelle der Erschöpfung: Die Hausaufgaben selbst.

Und da kam mir heute die Erleuchtung! Die lernen gar nicht nur Vokabeln, Konjunktionen und die Funktion der Regenbogenhaut! Die lernen so viel mehr!

Maxe beispielsweise sollte einen Bericht über Buntspechte überarbeiten. Der imaginäre Deutschbuch-Kevin hatte ihn geschrieben, und die vierte Klasse sollte herausfinden, weshalb der Text so grottenlangweilig war und wie man ihn besser schreiben könnte. Die Analyse fiel ihm schwer. Aber als ich ihm erlaubte, die Sätze direkt „richtig“ bzw. in ihrer besseren Version hinzuschreiben, ging es plötzlich doch. Aber die Reihenfolge!

„Mama, die Reihenfolge stimmt nicht! Erst gründet er eine Familie und dann baut er die Höhle und dann bekommt er Kinder und dann pickt er sich Insekten aus der Rinde und dann will er die Frau beeindrucken? Ohne Frau kriegt er doch keine Kinder? Womit will der die denn beeindrucken? Mit den Insekten? Das glaube ich nicht!“

Wir schauen also auf einem bekannten Video-Kanal nach, wie zum Kuckuck der Buntspecht die Damenwelt für sich gewinnt. Hättet ihr es gewusst? Er trommelt! Er hämmert wie blöd gegen den Baum, und dieses Trommeln genannte Geräusch macht die Buntspechtdamen offensichtlich ganz wuschig. Maxe konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass der Specht erst trommelt, um das Weibchen anzulocken, und danach erst die Höhle baut.

„Dann muss die erst zwei Wochen warten, oder was?“ – das hat er auch in dem Video gelernt: zwei Wochen dauert der Höhlenbau – „oder hat Papa dich erst gefragt, ob du heiratest, und dann warst du erstmal zwei Wochen obdachlos?“

Außerdem haben meine Kinder gelernt, was Nazis sind, wann der Holocaust stattfand, dass Israel nur so groß wie Hessen ist, dass Israel noch gar nicht so alt ist, dass auch männliche Tiere Brustwarzen haben, dass Asien der größte Kontinent der Erde ist und zusammen mit Europa Eurasien bildet, was eigentlich Russlanddeutsche sind, woher sie kommen, weshalb sie anders sind als Deutsch-Deutsche, was dominant-rezessive Vererbung ist, dass rezessive Merkmale eine Generation überspringen können, dass die Hornhaut vorne am Auge einen kleinen Hügel bildet, den man spüren kann (warum das so ist, wissen wir immer noch nicht) und was Melanin ist; außerdem haben sie auch noch gelernt, dass man an einem Tag der Mutter ca. 100.000 Fragen stellen kann, ohne dass diese tot umfällt, und dass diese Mutter sich dann erstaunlicherweise weigert, ab 8 Uhr auch nur daran zu denken, mit der Wimper zu zucken.

„Mama, wenn du ‚ja‘ meinst, dann hebe den Zeigefinger, wenn du ’nein‘ meinst, dann bewege den kleinen Finger. Mama, hast du mich gehört? Mama!!? Mama, ich habe da noch eine Frage …!“