Lisz Hirn
Immer mehr österreichische Philosophen wollen ihre Kenntnisse der Öffentlichkeit nicht nur in Analysen oder mit akademischen Veröffentlichungen zur Verfügung stellen. Sie wollen Menschen helfen, alltägliche Konfliktsituationen zu bewältigen. Der Verein für philosophische Lebensberatung bereitet in Wien und Graz einige Dutzend auf diese Aufgabe vor. Und hilft der Philosophie, wieder an die Öffentlichkeit zu treten.Philosophie und Alltag? In der öffentlichen Meinung in Österreich einander immer und überall ausschließende Begriffe. Dessen ist sich auch Lisz Hirn bewusst. Die Philosophin und Künstlerin ist Mitglied der Gesellschaft für angewandte Philosophie (GAP) und Obfrau des Vereins für philosophische Lebensberatung. »Die akademische Philosophie hat ihre Meriten, aber viele Vertreter glauben, dass man es nicht nötig hat, mit dem was man tut, an die Öffentlichkeit zu gehen«, sagt sie im Gespräch mit dem hpd. Der Bereich praktische Philosophie werde hierzulande kaum wahrgenommen.
Das mag auch daran liegen, dass praktische Philosophen vieles tun können. Nur keine Lösungen anbieten. »Wir helfen unseren Klienten, die Situation und die eigene ethische oder moralische Position zu hinterfragen«, erklärt Hirn die Vorgangsweise in der so genannten philosophischen Lebensberatung. »Wir wollen damit Klienten helfen, für sich eine Lösung zu finden, mit sie umgehen können und die nicht mehr dysfunktional ist.« Als Beispiel nennt sie Mitarbeiter, die in einen Konflikte zwischen der Loyalität mit der Firma und ihren eigenen Überzeugungen geraten sind.
»Es sind sehr unterschiedliche Konflikte, mit denen die Menschen zu uns kommen. Die dahinter liegenden Probleme kommen großteils aus dem Privatbereich, zum Beispiel mit Spuren von religiösen Denksystemen.«
Weiterbildung dauert 4 Semester
In solchen Situationen zu helfen, erfordert profunde Ausbildung. Die versucht der Verein für philosophische Lebensberatung seinen Mitgliedern auf gemeinnütziger Basis anzubieten.
Vier Semester dauern die Weiterbildungskurse, die in Wien und Graz angeboten werden. Zielgruppe sind Menschen mit philosophischer Ausbildung. Sie haben viele verschiedene Lebenswege hinter sich. »Viele haben eine auch psychologische Ausbildung, sind Lehrer oder sind enttäuscht von der Theorielastigkeit der akademischen Philosophie«, schildert Hirn. »Vielen geht es im Bildungsideen und -Projekte. Und natürlich ist auch das Bedürfnis nach öffentlicher Kommunikation da, was Philosophie leistet.«
Um die 25 Philosophen haben sich seit Vereinsgründung 2011 in diese Richtung weitergebildet. Dazu kommen noch einmal so viele Sympathisanten, die zu Arbeitskreisen und Diskussionsrunden gestoßen sind. Ärzte, Techniker, Juristen. »Die bemühen sich, die Praxis zum Beispiel in Familien und Firmen weiterzutragen.«
Rechtliche Rahmenbedingungen schwierig
Philosophische Beratungen anzubieten erfordert einiges an Idealismus. Leben kann man nicht davon in Österreich. Das liegt zum Teil an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Bezeichnung »Lebensberater« ist tabu. Die Lebens- und Sozialberater haben eine eigene Fachgruppe in der Wirtschaftskammer und achten penibel darauf, dass jeder, der sich Lebensberater nennt, bei ihr einen entsprechenden Gewerbeschein gelöst hat.
Das macht es für philosophische Berater zweifellos nicht einfacher. Die penible Abgrenzung kann gleichzeitig als Vorteil gesehen werden. Die offiziellen Lebensberater haben seit Jahren mit den esoterischen Praktiken zu kämpfen, die sich in der Branche breit gemacht haben. Zahlreiche Vertreter führen etwa »Familienaufstellungen nach Hellinger« durch – eine irrationale Praxis, die Experten wie der deutsche Psychotherapeut und Esoterikkritiker Colin Goldner als potentiell gefährlich und politisch bedenklich einstufen.
Mit der philosophischen Lebensberatung, die sich humanistischen Idealen und dem rationalen Denken verpflichtet sieht, passt das schlecht zusammen. Dass man sich nicht Lebensberater nennen darf, verhindert, dass man mit den schwarzen Schafen der Branche in einen Topf geworfen werden kann.
Lisz Hirn sieht das etwas entspannter. »Wir sind keine Konkurrenz aber eine Ergänzung. Was wir machen, ist kein Vollzeit-Brotberuf, daher gibt es auch kein Problem mit den offiziellen Lebensberatern.«
»Sind keine Seelsorger oder Tröster«
Mitunter zeigen sich auch Religionsvertreter skeptisch. Umgekehrt ist der Verein bemüht, nicht als eine Variante von Seelsorge wahrgenommen zu werden. Man versteht sich als explizit areligiös. »Wir arbeiten um Gegensatz etwa zu den Seelsorgern mit rationalen Begründungen. Wir sind keine Seelsorger oder Tröster«, erklärt Vereinsobfrau Lisz Hirn.
In religiösen Fragen bemüht man sich um Wertneutralität. »Wir haben lange gekiefelt, wie wir damit umgehen sollen, wenn ein Klient aus einem sehr religiösen Umfeld kommt. Uns geht es nicht darum, ihn aus der Religion herauszulösen. Wenn sich aber herausstellt, dass das Weltbild für seine Konfliktsituation falsch ist, besteht schon die Möglichkeit, aufzuklären.«
Abgrenzung auch zur Psychotherapie
Abgrenzungsbedarf gibt es auch zur Psychotherapie. Das liegt daran, dass die praktische philosophische Beratung in Österreich relativ neu ist. »Wir planen für April eine Tagung gemeinsam mit der Sigmund-Freud-Uni, wo es auch um die Abgrenzung zur Psychotherapie geht«, sagt Hirn im hpd-Gespräch. »Wir verstehen uns als Ergänzung, nicht als Konkurrenz.«
Die geplante Tagung soll helfen, ein zweites Ziel des Vereins neben der Ausbildung von Beratern zu erreichen. Die Philosophie in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Das ist bitter nötig. Die Disziplin führt in Österreich gelinde gesagt ein Mauerblümchendasein. Für Hirn eine möglicherweise schmerzhafte allerdings keineswegs überraschende Entwicklung. »Wir haben in Österreich kein humanistisches Bildungsideal und auch keine Tradition des Hinterfragens.«
»Gibt kein humanistisches Bildungsideal in Österreich«
Im aktuellen Bildungsideal drehe sich alles um die ökonomische Verwertbarkeit, kritisiert die Philosophin. »Lehrer vermitteln die Basics, damit die Schüler später irgendwie durchkommen. In der Gesellschaft haben wir die gesellschaftliche Abwertung der universalen Bildung weiter getragen, das Ökonomische steht im Vordergrund. Kunst und Philosophie brauchen wir nicht. Das sind die Bremser, die Spaßverderber, weil Hinterfragen lästig ist.«
Die philosophische Fakultäten an den heimischen Unis tragen in ihren Augen wenig bei, an dieser Situation etwas zu ändern. »Die akademische Philosophie hat nicht das Bedürfnis, das Ansehen in der Öffentlichkeit zu steigern. Dabei ist gerade jetzt die Zeit dazu. Wenn es kein öffentliches Interesse gibt, steht irgendwann auch einmal die Finanzierung der akademischen Philosophie infrage. Das ist eine Überlebensfrage der Philosophie in Österreich an sich.«
Christoph Baumgarten
[Erstveröffentlichung: hpd]