Über Verliebtsein und andere geistige Verirrungen

Von Rangdroldorje

Es kann vorkommen, dass sich bei Dharma-Veranstaltungen romantische Beziehungen zu anderen Dharma-Geschwistern entwickeln. Einerseits kann was dran sein und sich daraus eine echte Beziehung entwickeln. Andererseits kann es sich auch um eine simple Projektion und romantische Episode handeln. Da projiziert man dann alle möglichen idealen Vorstellungen auf den Partner oder die Partnerin und spinnt sich was zusammen.

Beispielsweise kennt man so etwas als „Vipassana-Romanze“. Das passiert bei Vipassana-Seminaren, wo manche Leute während eines 10-Tages-Retreats ihre ganze Beziehungsvorstellungen angefangen von romantischem Kennenlernen über Eingehen der Beziehung, Heirat, Kinder und dem ganzen Rest bis hin zum Sterben („bis dass der Tod euch scheidet“) oft in einer einzigen Sitzung oder in mehreren Sitzungen durchlaufen. Irgendwann checken die Leutchen dann, dass es sich lediglich um Projektionen und um ein zwanghaftes und/oder besitzergreifendes Spiel des Geistes handelt.

Projektionen

Warum ist das so? Ganz einfach. Jeder Mensch ist auch ein Beziehungswesen. Manche leben in glücklichen Beziehungen, manche in unglücklichen Beziehungen, manche wünschen sich Partner/Partnerinnen, mit denen sie ihre Interessen teilen können an ihre Seite usw. Buddha hat bereits in den Erklärungen zu den acht Leiden des menschlichen Daseinsbereichs darauf hingewiesen. „Zusammen sein mit jenen, die man nicht mag, nicht zusammen sein mit jenen, die man mag“ wird dieser Punkt genannt. Soweit der Vorspann.

Wenn man nun bei einem Seminar wie einem Vipassana-Retreat ist, wo das Setting u.a. in Schweigen besteht, beginnt der Geist aufgrund mangelnder äußerlicher Unterhaltung, selbst für Unterhaltung zu sorgen. Das innere Kino läuft an. Bei manchen ist vielleicht „Rambo – First Blood“ angesagt, wenn sie ihre letzten Enttäuschungen und Kränkungen durcharbeiten, bei anderen läuft vielleicht eine Liebesgeschichte, bei anderen wiederum eine interessante Koch-Show usw. Der gewöhnliche Geist kann unendlich für Unterhaltung sorgen.

Je strenger der Reizentzug ist, umso rascher beginnt der innere Film zu laufen. Das kann sich soweit steigern, dass man nicht nur während den Meditationssitzungen diesem Gedankenkarussell folgt, sondern sogar ganz intensive körperliche Empfindungen hat. Man kann sogar ganz intensive Gefühle für das Gegenüber entwickeln und deutet dann sogar auch noch die Handlungen der anderen Person als Zustimmung oder Ablehnung – je nachdem, wie die eigenen Beziehungshistorie gestrickt ist.

Macht euch nichts draus, macht kein großes Ding daraus. Es sind einfach karmische Muster, die hochkommen und sich entladen, wenn man sie als Gedankenstürme, innere Filme oder eben Projektionen erkennt und als das belässt, was sie sind – eben geistige/emotionale Ereignisse. Wenn man allerdings diesen Ereignissen einen Wahrheitsgehalt beimisst und sie als real ergreift, dann beginnt man nicht nur eine weiterführende Geschichte zu stricken. Man lässt die karmische Reinigung nicht geschehen, sondern verstrickt sich weiter und setzt die eigenen Handlungsgewohnheiten -„Karma“ genannt – fort.

Übrigens kennt man Liebe auch im Dharma. Nennt sich Maitri (Metta), ist fernab einer romantischen Liebe und umfasst weit mehr. Diese Art der Liebe ist von Freundlichkeit, Wohlwollen, Barmherzigkeit, Güte und dem Wunsch, dass es dem anderen Wesen gut ergehen möge, geprägt. Diese Form der Liebe ist frei von Besitzdenken und überdauert sogar Trennungen.

Trennungen und Begegnungen

Trennungen sind übrigens auch unweigerlich, da alle Phänomene – eben auch Beziehungen – bedingt und zusammengesetzt sind. Wenn die Ursachen für das Zusammensein erschöpft sind, die bedingenden Faktoren nicht vorhanden sind, dann lösen sich Beziehungen unweigerlich auf. Die Leute gehen auseinander.

Haben sich ihre Beziehungsursachen wirklich erschöpft, gibt es kein Treffen mehr. Weder in naher, noch in ferner Zukunft. Wenn sie jedoch im Unfrieden von einander geschieden sind, dann treffen sie sich in Zukunft unweigerlich. Dies geschieht dann aufgrund eines „Gläubiger-Schuldner-Verhältnisses“ – oder einfach gesagt aufgrund von „karmischen Verstrickungen“. Daher sollte man auch bei Trennungen nicht nur klug, sondern weise sein.

Begegnungen ereignen sich jedoch nicht nur aufgrund von negativen karmischen Verstrickungen, sondern auch aufgrund von konstruktivem karmischen Potential. Wie man in den Berichten von früheren Leben der Buddhas und Bodhisattvas lesen kann, haben diese ihren Geist in so einer Begegnung auf das Ziel der Erleuchtung ausgerichtet. Ihre Geisteshaltung übertrifft das unmittelbare Dingliche und den eigenen persönlichen Nutzen. Diese Haltung ist auf einen transzendenten Zustand fokussiert. Solche Beziehungen sind dann förderlich und enden nie, da sie aus der Unendlichkeit des transzendenten Zustandes – der Leerheit – schöpfen und nie davon getrennt sind.