Über Geduld und Espresso-Martini

Ich stehe vor einer großen Eingangstür in Berlin Mitte. Der kalte Novemberwind fegt durch die kahlen Bäume am Straßenrand, während ich versuche den Nachnamen Tucci in dem Meer aus Klingelschildern ausfindig zu machen. In der dritten Zeile werde ich fündig, in der vierten aber leider auch. Ich wäge ab und komme zu dem Entschluss, dass es ja auch nicht schlimm wäre, wenn ich bei dem falschen Tucci klingle. Also versuche ich meine rechte Hand von meiner Tasche zu befreien, um den Klingelknopf zu erreichen. Dabei verschütte ich fast einen der beiden Kaffees, die ich in meiner Linken zu balancieren versuche. Sie sind als Dankeschön für das Treffen gedacht. Mein Herz klopft ein wenig, da ich drauf und dran bin einen in Berlin erfolgreichen Jungdesigner aus Italien zum Interview zu treffen. Nach einigen Sekunden des Wartens rührt sich weder die Fernsprechanlage noch die Tür. „Nicht schlimm", denke ich, denn es gibt ja noch eine zweite Klingel - eine Fifty-Fifty-Chance also. Voller Erwartungen klingle ich nun dort, doch passieren tut wieder nichts. Dieses Prozedere wiederhole ich innerhalb der nächsten zehn Minuten regelmäßig. Immer mit dem gleichen Resultat.

Da stehe ich also - vor verschlossener Tür mit zwei mittlerweile eiskalten Kaffees in der Hand. Ich entscheide, dass die acht Euro nicht umsonst gewesen sein sollen und trinke einen der beiden, während ich mich vor die Tür setzte und über mein weiteres Vorgehen nachgrüble. Kurz nachdem ich ihn geleert habe, geht das Licht im Hausflur an und eine Frau tritt heraus. Ich sehe meine Chance gekommen und schlüpfe durch die geöffnete Tür ins Haus. Bis zu der Wohnung, zu der ich will, sind es sechs Stockwerke. Erst als ich vollkommen aus der Puste dort oben angekommen bin, stelle ich fest, dass es auch einen Fahrstuhl gegeben hätte. Die Klingel vor der Tür ringt und als Antwort bekomme ich ein hysterisches Hundegejaule, das für die nächsten Minuten anhält. Jetzt plagt mich ein schlechtes Gewissen, denn meine Klingelparade zuvor vor der Tür, muss eine Tortur für den armen Hund gewesen sein. Da ich nun mit Gewissheit sagen kann, dass niemand zu Hause ist, fühle ich mich wie ein Eindringling. Ich entscheide mich dafür, dass es wohl besser sei, wieder draußen zu warten und schließe mit mir selbst einen Pakt ab, bis acht Uhr, also insgesamt eine Stunde, zu warten und dann zu gehen. Unter normalen Umständen wäre ich bereits eher gegangen, aber dieses Interview brauche ich wirklich dringend für gleich zwei Uniseminare. Mittlerweile warte ich seit 45 Minuten.

Wieder unten angekommen treffe ich auf eine junge Frau mit auffälliger Fellmütze und einem lässigen schwarz-weißen Jumpsuit, die telefoniert. Sie spricht englisch und sucht wie ich einige Zeit zuvor die Klingelschilder ab. Nachdem ihr Gespräch beendet ist, spreche ich sie an mit der Hoffnung, dass auch sie mit Herrn Tucci verabredet ist. Sie verneint und rät mir, doch wenigstens mit in den Flur zu kommen, da es dort wenigstens warm sei. Das ist eine gute Idee, die ich prompt befolge. Wenige Sekunden nach unserem Eintreten öffnet sich eine Wohnungstür und ein Mann mit Glatze und runder Brille tritt heraus. Die beiden begrüßen sich herzlich. Ich werde direkt euphorisch mitbegrüßt. „Was machst du denn immer noch hier? Ich habe dich schon vor einer ganzen Weile vor der Tür stehen sehen", fragt er mich erstaunt. Ich berichte den beiden, an was für einem Artikel ich arbeite und was mich dazu veranlasst, so lange auf meinen Interviewpartner zu warten. „Na dann kommst du jetzt erst mal mit rein, und trinkst einen mit uns!", antwortet er prompt und schiebt mich hinein in seine Wohnung. Sie ist hell und groß und für Berlin typisch künstlerisch eingerichtet. Er stellt sich mir als Eric vor, ein Start-up-Gründer aus Wien, der seit vier Jahren in Berlin lebt. Die junge Frau heißt Alexandra Zsigmond und kommt aus New York City. Für eine Reihe von Vorträgen tourt sie derzeit durch Deutschland und ist daher für wenige Tage in Berlin. Aus dem Gespräch erfahre ich, dass die beiden sich aus der Zeit kennen, in der sie in New York zusammengewohnt haben, da auch Eric einige Jahre im Big Apple verbracht hat.

Nach einer Weile und den ersten geleerten Espresso-Martini, frage ich Alexandra, ob sie nicht Lust hätte, statt Herrn Tucci meine Interviewpartnerin zu sein. Sie lacht und stimmt zu. Ich starte mein Aufnahmegerät.

Was bist du von Beruf?

Ich arbeite in New York City bei der New York Times als Artdirektorin und bin außerdem selbstständige Designerin und Künstlerin.

Was für eine Art von Designerin bist du?

Eine Editorial- und Grafikdesignerin.

Wie lange arbeitest du schon bei der Times?

Ich habe sieben Jahre Vollzeit dort gearbeitet. Was 60 Stunden die Woche bedeutet hat. (lacht) Im letzten Jahr habe ich aber zu Teilzeit gewechselt und arbeite nun an einem Freelance-Projekt mit der Redaktion.

Was sind die Aufgaben einer Artdirektorin?

In Bezug auf Editorial hat es für mich bedeutet, die Sunday Review-Sparte zu visualisieren. Meine Aufgabe war es, die kompletten 14 Seiten zu layouten und die ganzen Illustrationen in Auftrag zu geben. Wir hatten immer zehn Illustrationen pro Woche. Ich musste außerdem die Fotografien und Grafiken kuratieren und dabei mit der Bildredaktion zusammenarbeiten und schlussendlich das Ganze zusammenfügen. Also hatte ich sehr viel zu tun! (lacht)

Hast du neben deinem Job bei der Times noch eine eigene Firma?

Nein. Ich arbeite selbstständig an Designprojekten und an meiner Kunst, habe aber keine eigene Firma. Wobei ich darüber nachdenke eine Design- oder Modefirma zu gründen. Da bin ich mir momentan aber noch nicht sicher.

Wie lebt es sich in einer so großen Stadt wie New York City?

Ich liebe es! Ursprünglich komme ich aus Kalifornien, aber New York tut mir einfach beruflich und auf sozialer Ebene sehr gut. Es ist ein sehr dynamischer und freundlicher Ort. Die Menschen sind sehr offen, was ich wirklich mag.

Was machst du momentan in Europa?

In Europa halte ich Vorträge und betreue Workshops zum Thema Editorial Illustration. In Deutschland bin ich gerade in Mainz gewesen. Dort habe ich einen viertägigen Intensivkurs gegeben, was sehr anstrengend war, aber auch total Spaß gemacht hat. Grundsätzlich arbeite ich dabei mit vielen Design- und Illustrationsinstitutionen zusammen. Danach geht es nach Hannover, da ich dort nächsten Dienstag einen Vortrag halte, danach geht es nach Nürnberg und anschließend nach Amsterdam. Erst Mitte Dezember fliege ich zurück nach New York.

Anmerkung der Autorin: Ein gewisser Herr Tucci wurde nicht mehr angetroffen.


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