Ein Gastbeitrag von Nadia Shehadeh.
Zum Beispiel mit der aktuellen Shell-Studie. Der junge, frische Nachwuchs unseres schwarz-rot-güldenen Landes, so stellte diese fest, sei frohgemut und ordentlich durchgebürstet, interessiere sich für Politik und sei überhaupt so eine süß-aufgeweckte Ausgeburt an Optimismus, dass es einem schon fast kariös werde im Mund. "Doch, Obacht!", wird dann weiter erklärt, "diese euphorischen Charakteristika gelten nur für die Schnöselkinder! Für die Blagen solcher Menschen, deren Hosentaschen bis zum Fußboden runterhängen da sie voll gestopft sind mit Geld!" Die Kinder der Armen, die sich stattdessen am gammeligen Bodensatz unserer Gesellschaftspfanne laben müssen, hach, um die hingegen sei es arg schlecht bestellt. Resigniert seien sie, und da ahnt man, dass das bei jungem Blut, das noch nicht über ein Mindestmaß an Altersmilde verfügt, ganz arge Verwüstungen hinterlässt. Und weiter wird angeführt, dass in Deutschland die Schichtundurchlässigkeit weiterhin so stabil sei wie die gute industriell hergestellte Vliesbinde in extra starken Babywindeln: Bildungserfolg hänge in Deutschland so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in sonst kaum einem Land.
Dieses Forschungsergebnis, das seit Jahren dasselbe ist, jedoch gegenwärtig von mancher Journaille heute als le plus nouveau résultat gefeiert wird, verheißt weiterhin komfortables Zurücklehnen bei den Speckmaden unserer Gesellschaft: Sofern bei deren Kindern nämlich etwa ein Symptom wie Grenzdebilität vorhanden wäre, sei es trotzdem wahrscheinlich, dass sie gemütlich in ihrer Schicht verharren, vielleicht sogar groß Karriere machen! Dass dies möglich ist, zeigen uns manche Würdenträger in Politik und Wirtschaft. Ganz nach dem Motto "Wer lesen kann, der kann auch schreiben!" verfassen einige dieser Grenzbegabten sogar Bestseller. Man frage sich, ob es sich beim Verhältnis "Atmen und Blähen" vielleicht genauso verhalte! Doch egal, sei es drum, das Schöne ist: Die fröhlichen, politikbegeisterten Kinder des Establishments, sie trauen sich was! Sie gehen auf die Straße! Sie protestieren! Gegen Atom, gegen den Umbau des Bahnhofs in Stuttgart, gegen Umweltzerstörung, gegen Tierquälerei! Sie haben Arsch in der Hose! Das ist alles ehrenhaft und liebenswert, aber die Schnösel-Kinder wären ja dümmlich, würden sie zusätzlich zu diesem noblen Engagement auch noch für Bildungsreformen das Maul aufreißen! Als ob der Politikpennäler Marius es für wünschenswert halten könne, wenn noch mehr Murat-Molukken ihm seinen Platz als töfter Musterstudent streitig machen würden. Wo kämen wir denn da hin, gerade in Zeiten wie diesen?
Gehen wir aber doch noch tiefer, um die Frage nach der Möglichkeit der Menschen, sich an jeder Dummheit hysterisch begeistern zu können, nicht einfach nach postmoderner Manier verschwinden zu lassen. Da hilft ein Blick in eine weitere Studie: "Deutsche Zustände" heißt diese und präsentiert seit einigen Monden alljährlich empirisch belegt die Auswüchse der Barbarei unserer modernen deutschen Zivilgesellschaft westlicher Prägung. Der zuletzt erschienene achte Band beschäftigte sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Krise (und ich wette mit Euch: ER hat niemals auch nur einen Band dieser Studie gelesen!), und kam unter anderem zu dem Schluss, dass vor allem die mittleren Schichten, die sich dadurch auszeichnen, dass sich ihr Status auf Einkommen und nicht auf Besitz gründet, abgefahren sensibel sind für Entwicklungen, die ihnen diesen Status abziehen könnten. Heißt, dass diese Schicht versessen darauf ist, andere Bevölkerungsgruppen verantwortlich zu machen für die eigene Status-Angst. Und so trägt sie, die Mittelschicht, maßgeblich dazu bei, dass diskriminierende Einstellungen sich so schnell ausbreiten. Tadaaa! So einfach können Kernnormen wie Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness zum Wackeln gebracht werden. Dazu hätte es vielleicht noch nicht einmal SEIN Buch gebraucht. Doch sei`s drum: Versuchen wir auf den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens zu setzen. Und hoffen wir darauf, dass sich das undurchlässige Schichtsystem Deutschlands bald selbst abschafft.
"Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens."Stellte man sich in letzter Zeit die Frage, ob in Deutschland gegenwärtig nun eher die leistungspolitischen oder aber die psychopolitischen Diskurse das gesunde deutsche Volksempfinden mobilisierten, so komponierten in mancher Menschen Hirn die Synapsen-Troubadoure vielleicht folgende Melodie: "Aaaah, darüber lieber nicht so viel nachdenken! Das geht vorbei, und an meinem Hintern sowieso! Und überhaupt, das sind vielleicht alles Probleme, aber meine sowieso schon mal gar nicht!" Manch anderer fragte sich vielleicht gar, wo sein Hirn sich gerade befände, so dass andere ihm zurufen wollten: "Verdammt, diese Schwabbelmasse, die meinen wir! Dieses Glibberzeug, das sich in deinem Kopf befindet, und dein Kopf, das ist diese Kugel da, die etwa einen Meter über deinem Arsch hängt!" Und die nüchternen, geduldigen Kreaturen unter uns nahmen sich vielleicht einen Moment Zeit, um trotz des Gestanks dieser hysterischen Flatulenz leicht bräunlichen Gedankengutes (und ja, an alle anderen, schreit doch: "Vielleicht hat ER da aber Recht bei der ein oder anderen These, und hat es nur etwas ungeschickt rübergebracht und sich mit den Genen einfach verheddert! Das kann doch mal passieren! ER ist doch auch nur ein Mensch!") sich mal hier und da auch noch mit anderen Dingen zu beschäftigen.
- Antonio Gramsci in "Gefängnishefte", H. 28, § 11, 2232 -
Zum Beispiel mit der aktuellen Shell-Studie. Der junge, frische Nachwuchs unseres schwarz-rot-güldenen Landes, so stellte diese fest, sei frohgemut und ordentlich durchgebürstet, interessiere sich für Politik und sei überhaupt so eine süß-aufgeweckte Ausgeburt an Optimismus, dass es einem schon fast kariös werde im Mund. "Doch, Obacht!", wird dann weiter erklärt, "diese euphorischen Charakteristika gelten nur für die Schnöselkinder! Für die Blagen solcher Menschen, deren Hosentaschen bis zum Fußboden runterhängen da sie voll gestopft sind mit Geld!" Die Kinder der Armen, die sich stattdessen am gammeligen Bodensatz unserer Gesellschaftspfanne laben müssen, hach, um die hingegen sei es arg schlecht bestellt. Resigniert seien sie, und da ahnt man, dass das bei jungem Blut, das noch nicht über ein Mindestmaß an Altersmilde verfügt, ganz arge Verwüstungen hinterlässt. Und weiter wird angeführt, dass in Deutschland die Schichtundurchlässigkeit weiterhin so stabil sei wie die gute industriell hergestellte Vliesbinde in extra starken Babywindeln: Bildungserfolg hänge in Deutschland so sehr von der sozialen Herkunft ab wie in sonst kaum einem Land.
Dieses Forschungsergebnis, das seit Jahren dasselbe ist, jedoch gegenwärtig von mancher Journaille heute als le plus nouveau résultat gefeiert wird, verheißt weiterhin komfortables Zurücklehnen bei den Speckmaden unserer Gesellschaft: Sofern bei deren Kindern nämlich etwa ein Symptom wie Grenzdebilität vorhanden wäre, sei es trotzdem wahrscheinlich, dass sie gemütlich in ihrer Schicht verharren, vielleicht sogar groß Karriere machen! Dass dies möglich ist, zeigen uns manche Würdenträger in Politik und Wirtschaft. Ganz nach dem Motto "Wer lesen kann, der kann auch schreiben!" verfassen einige dieser Grenzbegabten sogar Bestseller. Man frage sich, ob es sich beim Verhältnis "Atmen und Blähen" vielleicht genauso verhalte! Doch egal, sei es drum, das Schöne ist: Die fröhlichen, politikbegeisterten Kinder des Establishments, sie trauen sich was! Sie gehen auf die Straße! Sie protestieren! Gegen Atom, gegen den Umbau des Bahnhofs in Stuttgart, gegen Umweltzerstörung, gegen Tierquälerei! Sie haben Arsch in der Hose! Das ist alles ehrenhaft und liebenswert, aber die Schnösel-Kinder wären ja dümmlich, würden sie zusätzlich zu diesem noblen Engagement auch noch für Bildungsreformen das Maul aufreißen! Als ob der Politikpennäler Marius es für wünschenswert halten könne, wenn noch mehr Murat-Molukken ihm seinen Platz als töfter Musterstudent streitig machen würden. Wo kämen wir denn da hin, gerade in Zeiten wie diesen?
Gehen wir aber doch noch tiefer, um die Frage nach der Möglichkeit der Menschen, sich an jeder Dummheit hysterisch begeistern zu können, nicht einfach nach postmoderner Manier verschwinden zu lassen. Da hilft ein Blick in eine weitere Studie: "Deutsche Zustände" heißt diese und präsentiert seit einigen Monden alljährlich empirisch belegt die Auswüchse der Barbarei unserer modernen deutschen Zivilgesellschaft westlicher Prägung. Der zuletzt erschienene achte Band beschäftigte sich mit den gesellschaftlichen Folgen der Krise (und ich wette mit Euch: ER hat niemals auch nur einen Band dieser Studie gelesen!), und kam unter anderem zu dem Schluss, dass vor allem die mittleren Schichten, die sich dadurch auszeichnen, dass sich ihr Status auf Einkommen und nicht auf Besitz gründet, abgefahren sensibel sind für Entwicklungen, die ihnen diesen Status abziehen könnten. Heißt, dass diese Schicht versessen darauf ist, andere Bevölkerungsgruppen verantwortlich zu machen für die eigene Status-Angst. Und so trägt sie, die Mittelschicht, maßgeblich dazu bei, dass diskriminierende Einstellungen sich so schnell ausbreiten. Tadaaa! So einfach können Kernnormen wie Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness zum Wackeln gebracht werden. Dazu hätte es vielleicht noch nicht einmal SEIN Buch gebraucht. Doch sei`s drum: Versuchen wir auf den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens zu setzen. Und hoffen wir darauf, dass sich das undurchlässige Schichtsystem Deutschlands bald selbst abschafft.