Über den Sinn und Unsinn von Kulturförderung – am Beispiel der Elbphilharmonie

Über den Sinn und Unsinn von Kulturförderung
am Beispiel der Elbphilharmonie – von Finn Job

Nach neuesten Berichten wird die Elbphilharmonie 789 Millionen Euro kosten. Das sind 603 Millionen mehr, als es die erste Machbarkeitsstudie im Jahr 2005 vorsah und es würde mich nicht wundern, wenn sich diese Zahl noch einige Male nach oben korrigiert. 789 Millionen Euro sind eine große Summe an Geld, in Zeiten globaler Unruhen an den Finanzmärkten; in Zeiten, in denen es ganz Europa droht, sich durch wieder aufkeimende nationalistische Tendenzen und ein marktkonformes Wertesystem selbst zu zerhacken.

Über den Sinn und Unsinn von Kulturförderung – am Beispiel der Elbphilharmonie

Baustelle Elbphilharmonie in Hamburg – Skandalöses  Wahrzeichen eines sinnentleerten Kulturbegriffes

789 Millionen Euro sind auch eine große Summe an Geld für ein Projekt, das in den Bereich der Kulturförderung fällt. Es ist eigentlich erfreulich, dass der Staat bzw. der Stadtstaat Hamburg mit einem solchen Elan dabei ist, Steuergelder für einen kulturellen Zweck auszugeben. Es wäre erfreulich, gäbe es Grund zu hoffen, der Staat könne nicht nur Banken, sondern auch die deutsche Kulturlandschaft retten.

Doch welchen Nutzen wird die deutsche Bevölkerung von dem Großprojekt haben, das seit Jahren aufgrund von Bauschwierigkeiten und finanziellen Katastrophen für negative Schlagzeilen sorgt? Wird es zur ästhetischen und moralischen Erziehung breiter Bevölkerungsteile führen? Wird es das deutsche Vertrauen in den Sinn der Demokratie stärken? Wird es unsere Gesellschaft im Hinblick auf größere Solidarität stärken und zu einem ernsthaften Dialog zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten führen? – Wohl kaum.

Ein Skandal!

Die Stadt hat den Sinn und Zweck des in der Bevölkerung mittlerweile eher unbeliebten Bauwerks in einem Werbespruch selbst am besten zusammengefasst: „Hamburg baut ein Wahrzeichen.“ Es geht also um ein Prestigeobjekt, einen Blickfang, der zur Wettbewerbsfähigkeit Hamburgs im internationalen Metropolenvergleich beitragen soll. Es geht darum, einen der zehn besten Konzertsäle weltweit zu errichten, um ein zahlungswilliges Publikum anzulocken und das Image der Hafenstadt zu polieren. Dass Hamburgs Einrichtungen für klassische Musik auch ohne das neue Statussymbol an der Elbe ausgelastet sind, spielte bei der Planung des Bauwerks offensichtlich keine Rolle. Jeder, der sich den Traum vom eigenen Heim erfüllt hat, weiß um die merkwürdige Tendenz der Preisentwicklung nach oben, während der Errichtung des jeweiligen Bauwerks.
Dass aber öffentliche Mittel zur Produktion von – angesichts der nationalen, wie europäischen und erstrecht globalen Situation – unangebracht dekadenten Protzbauten in die Hand genommen werden, ist nichts anderes als ein Skandal. Und wenn schon einmal eine große Summe an Geld für einen kulturellen Zweck verwendet wird, sollte dieses Geld möglichst auch einen Großteil der Menschen erreichen, die in einem bildungs- und somit oft auch kulturfernen Milieu sozialisiert worden sind und nicht eine elitäres Projekt auf Kosten der Allgemeinheit werden.

Aufgabe von Kulturförderung

Wenn wir auf die anderen Produkte der urbanen Größenwahnsinnigkeit in Deutschland schauen (Stuttgart 21, Flughafen BER), fällt es schnell auf, dass der deutschen Politik die architektonische Regel „form follows function“ fremd sein dürfte. Man fragt sich zurecht, ob die gleiche Funktion des jeweiligen Desasters nicht auch in einer etwas kleineren und sparsameren Form erfüllt werden könnte. Die Elbphilharmonie bildet jedoch insofern eine Ausnahme, als sie weniger von infrastruktureller und mehr von kultureller Bedeutung ist.
Es handelt sich um 789 Millionen Euro, die ihren Nutzen in vielen Anwendungsbereichen der Kulturförderung finden könnten, dort jetzt an vielen Stellen fehlen werden.

Denn auch, wenn viele Menschen der Meinung sind, Kulturförderung an sich sei sinnlos, da man die zur Verfügung gestellten Mittel besser zur Aufbesserung unseres maroden Sozialsystems nutzen sollte, bin ich der Ansicht, das eine Gesellschaft, die es auf sich hält, so etwas wie Demokratie zu praktizieren, es nicht wagen darf, kulturelle Einrichtungen dem sinnfressenden Prinzip von Angebot und Nachfrage zu überlassen. Es ist von einer für die Demokratie existenziellen Bedeutung, den Bürgern Bildungs- und Kulturangebote zu bieten, die das intellektuelle Niveau von Hollywood-Blockbustern, wie „Iron Man 3“ übertreffen. Es ist nötig, die Bürger mit anspruchsvollen Kunstprojekten und differenzierten Bildungsmöglichkeiten zu konfrontieren, um ihnen eine Bildung zu ermöglichen, die einen Gegensatz zu bequemen, ja reaktionären Unterhaltungsformaten konstatiert. Versäumen wir diese Gelegenheit, werden wir immer mehr Menschen an die Dieter Bohlens und Heidi Klums dieser Welt verlieren, die sie mit einem radikalkapitalistischen Ästhetizismus konfrontieren, der nicht mehr nach einer moralischen Rechtfertigung fragt, sondern seinen Selbstzweck allein im finanziellen Erfolg sucht. Die Mündigkeit des Volks hängt nicht zuletzt von seinem Zugang zu kultureller Bildung und dem entsprechenden Verständnis für diese ab.

Oberschichtberieselung

Der Ausspruch von Oscar Wilde „Das Publikum ist wunderbar nachsichtig. Es verzeiht alles außer Genie.“ ist heute vielleicht aktueller denn je. Wir leben schließlich in einer Zeit, in der wir ganze Gesellschaftsschichten und somit ihren demokratischen Grundkonsens an das Vormittagsprogramm von RTL verlieren. In dieser Zeit Steuergelder für die hochkulturelle Berieselung einer kleinen, aber wachsenden Oberschicht zu verschwenden wirkt dem Mechanismus des Markts nicht entgegen. Dies wäre der eigentliche Sinn von Kulturförderung. Anstatt dessen wird die Spaltung der Gesellschaft an dieser Stelle sogar durch staatliche Mittel verstärkt. Wenn Kulturförderung so aussieht, wären die 789 Millionen Euro wohl bei der Finanzierung von Sozialwohnungen besser aufgehoben. Kulturförderung wie diese ist unsinnig!

Alternativen

Auf „Spiegel Online“ plädierte Christoph Twickel für eine Ruine. (1) Es sei sinnvoller, die Elbphilharmonie als unvollendetes Mahnmal für urbanen Größenwahn zu nutzen, als eine weitere neoliberale Stätte der Verschwendungssucht zu errichten. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht wäre es aber auch von Vorteil, die Elbphilharmonie den Menschen zu übergeben, die nicht allein aus Zynismus ihre Freude an diesem Bauwerk hätten.
Könnte man das Bauwerk nicht den jungen Kreativen der Hafenstadt übergeben? Die Elbphilharmonie hätte genug Platz für mehrere kleine Kunstausstellungen, Konzerte, Vorlesungen und Theateraufführungen zugleich. Zudem ist sie -dank ihrer katastrophalen Planung- bundesweit bekannt, wodurch ein breites Publikum gesichert werden könnte. Die Stadt Hamburg hätte die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen. Es wäre ein Zeichen gegen die steuerfinanzierte Großmannssucht Einzelner, ein Zeichen für den Sinn von Gemeingut. Und es wäre nicht zuletzt ein Zeichen für den Sinn von Kulturförderung. Will sich eine Gesellschaft demokratisch nennen, muss sie es schaffen, kulturelle Einrichtungen zu fördern, die ihrer eigenen Legitimation vorerst im Weg stehen könnten. Es muss Einrichtungen geben, die eine moralische, wie ästhetische Alternative zu den allgemeingängigen Kulturvorstellungen bieten. Und diese Alternative muss den weiten Weg aus dem Untergrund in die Mitte der Gesellschaft gehen, um nicht mehr eine Ausnahme, sondern vielmehr ein weit verbreitetes demokratisches Element der Meinungsbildung zu sein. Kunst und Kultur müssen ihren elitären Charakter verlieren, um eine Gesellschaft zu prägen, die sich nach mehr sehnt und ihren Sinn nicht mehr länger in passivem und destruktivem Konsum suchen möchte.
Der Sinn von Kulturförderung liegt schließlich darin, der Gesellschaft ihren Unsinn aufzuzeigen und ihr eine Alternative zu bieten.

über den Autor:

Über den Sinn und Unsinn von Kulturförderung – am Beispiel der Elbphilharmonie
Der junge Künstler und Photograph Finn Job betreibt die Seite “Kunst-Denken-Meinung”
Er beschäftigt sich dazu mit Literatur, Philosophie und Politik.

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