Als ich am Samstag den HSP-Test des Vereins Zartbesaitet gemacht habe, dachte ich nicht, welche Grübelwelle ich damit in Bewegung setze. HSP steht für Hoch Sensible Persönlichkeit und anhand von ein paar Fragen kann man ungefähr einschätzen, wie stark oder wie gering die Hochsensibilität bei einem selbst ausgeprägt ist. Ich hatte 241 von 300 Punkten und bin im Bereich der “starken” Hochsensibilität angesiedelt. Das erklärt so einiges, speziell meine immer größere werdende Abneigung von Twitter.
Twitter, das Café mit hohen Wänden und lautem Geräuschpegel
Immer wenn ich Twitter öffne, dann habe ich das Gefühl an einem Sonntagmorgen in ein volles Café in München zu gehen. So wie ich beim Betreten eines Cafés die Leute screene und mir zu ihnen Gedanken mache, so scrolle ich durch meine Timeline und überfliege die Tweets.
Ich nehme Platz an einem Tisch und links von mir sitzen Mütter, die die Weisheit mit Löffel gefressen haben und rechts Mädels, die immer noch gefrustet ihr Singleleben fristen, statt sich an der Freiheit zu freuen. Auf Twitter sind es immer die gleichen Mütter, die in einer Art Tweets schreiben, die für mich nicht authentisch sondern überheblich klingen. Dazwischen kommt immer wieder ein Tweet von einem gefrusteten Single, mit irgendwelchen Gefühlsretweets.
Meine Laune geht schon nach unten, weil ich das alles nicht einfach ausblenden kann. Jeder Tweet, wie im Café jedes Gespräch, dass ich unmittelbar mitbekomme, bringen mich aus dem Konzept. So wie ich den Gesprächen nicht entfliehen kann, kann ich bei Twitter den Tweets nicht entfliehen. Ich möchte ja interessante Dinge finden, aber muss immer weiter scrollen. Was einmal in meiner Timeline landet, ist nun einmal da und ich kann nur weiterscrollen, denn selbst spontanes Entflogen nimmt die Tweets nicht weg.
Es ist mir nicht möglich, die Gerichte auf der Karte zu lesen, weil meine Ohren von links und rechts beschallt werden und ich quasi mitten im Gespräch sitze. Meine Laune sackt weiter ab und ich fange an mir Gedanken zu machen: Was sind das für Mütter? Was sind das für Singles? Wie leben sie? Was machen sie beruflich? Sind sie glücklich als Mütter? Sind sie glücklich als Singles? Was erzählen die Mütter da für einen Dreck mit mehrsprachigem Kindergarten? Warum wundert sich die blonde, dicke Zicke, dass das Date vom letzten Wochenende nicht geklappt hat?
Im Cafe, wie bei Twitter mache ich mir Gedanken um Sachen, die andere einfach ausblenden können. Im Café ist es die Mimik und der Duft der anderen, was mich beschäftigt. Bei Twitter ist es die Schreibweise der Tweets und die möglichen Botschaften zwischen den 140 Zeichen.
Je länger ich auf Twitter bin, desto “lauter” werden die Tweets. Die geschriebenen Worte hämmern immer stärker auf mich ein. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, weil ich zu aufgebracht bin, zu emotional. Ich fühle wie mein Smartphone immer schwerer wird und wie diese Schwere auf mich übertritt. Und irgendwann muss ich Twitter einfach schließen, weil es mir weh tut. Ja, mir tut diese Art der Kommunikation weh. Es ist wie im Café: Die einen jammern, die anderen posen, andere meckern die ganze Zeit (bei Twitter über ihr Leben, im Café über die Qualität des Frühstücks).
Doch wie im normalen Leben, wenn plötzlich die Tischnachbarn wechseln und sich Menschen an den Tisch setzen, die einfach nur Ruhe ausstrahlen oder die aufgrund ihrer Art witzig sind, finde ich bei Twitter zwischen den nutzlosen und merkwürdigen Tweets meine Anker. Es sind so Leute wie Auftragsmama oder MaraKolumna, die mir Halt und Ruhe geben. Was sie schreiben, was sie retweeten, beruhigt mich auf eine Art, die ich nicht beschreiben kann. Ja, die Lichtblicke auf Twitter sind mau, aber sie sind da.
Pinterest, die Pinakothek mit der klassischen Musik
Das komplette Gegenteil von Twitter ist Pinterest. Ich nutze Pinterest vorwiegend in den Abendstunden und eher passiv, als aktiv. Wenn ich Pinterest öffne, ist das wie der Gang in die Pinakothek, begleitet von leiser klassischer Hintergrundmusik. Ich sehe die Bilder in meiner Timeline wie die Gemälde in der Pinakothek. Ich verharre bei dem Bild, so wie ich mich in der Ausstellung vor ein Bild setze.
Die Unruhe von Twitter kehrt sich hier in wohlige Wärme, gefühlte Musik. Ich schaue die Bilder so gerne an und fühle mich gut dabei. Was bei Twitter oft wirr und inhaltslos ist, hilft mir bei Pinterest: Rezepte, Ideen für Montessori & Pikler, Anregungen im Bereich Minimalismus. Ich sauge den Inhalt förmlich auf, ohne das Gefühl zu haben überfordert zu sein.
Für mich gibt es auf Pinterest keine Selbstdarsteller oder neurotischen Menschen, es gibt keinen Ärger und keine schlimmen Bilder. Das Leben in der Pinterestwelt ist einfach nur rosa, pastell und etwas Mozart. Dazu gibt es mir noch einen Mehrwert und ich nicht das Gefühl der Zeitverschwendung.
Pinterest ist für mich ein kuschliger Abend, mit Kerzenlicht, klassischer Musik. Eine Tasse grünem Tee und einer warmen Decke. Während Twitter für mich schnell, schnell und laut ist, mit der Konsequenz einer Reizüberflutung.
Mittlerweile habe ich mir einen neuen Twitter Account zugelegt, mit anderem Fokus und da ist es auch noch schön angenehm. Wie in einem Café am Montagvormittag.