Fakten:
Boardwalk Empire – Staffel 1
USA. 2010. Regie: Martin Scorsese, Tim Van Patten, Alan Taylor u.a. Mit: Steve Buscemi, Michael Pitt, Kelly MacDonald, Shea Whigham, Michael Shannon, Michael Stuhlbarg, Michael K. White, Stephen Graham, Paz la Huerta, Dabney Coleman, Vincent Piazza u.a. Länge: ca. 560 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Willkommen in Atlantic City des Jahres 1920. Hier herrscht die Prohibition und ermöglicht Enoch „Nucky“ Thompson ein florierendes Alkoholschmuggelgeschäft. Nucky ist aber kein gewöhnlicher Krimineller. Er ist Bezirksschatzmeister der Stadt und somit auch ein wichtiges, politisches Mitglied. Ein höchst lukratives wie auch sehr gefährliches Doppelleben.
Meinung:
Wo die Mafia auf den Leinwänden oftmals nur ein in maskulin Gewaltphantasien getränktes Machtgefüge darstellt und seine falschen Helden zu keiner Zeit wirklich hinterfragt, sondern ihre Handlungen penetrant glorifiziert, befinden sich die wahren Meilensteine des Subgenres bekanntlich genau in den Werken, die die involvierten Marionetten innerhalb des organisierten Verbrechens als klägliche Verlierer, denn als stetig emporsteigende, gar unbesiegbare Gewinner zeigen. Von einer starken Frauenrolle kann in vielen Fällen natürlich auch keine Rede sein, denn entweder dienen diese nur als willige Betthäschen der schweren Jungs oder sie verkommen zu schutzlosen Püppchen, die gänzlich auf die Hilfe jener Verbrecher angewiesen sind. Ein destruktiver Kern muss gerechtfertigt sein, der der Konzeption letztendlich eine demaskierende Wirkung verleiht und anstatt den romantisierten Eskapismus, den bitteren Realismus in all seiner Bitternis aufzeigt.
Nucky beim gesellschaftlichen Geschäft
Weist man also eine gewisse Affinität bezüglich der Mafia-Thematik auf und hat sich bereits durch die kinematographischen Weiten gewühlt, von Howard Hawks „Narbengesicht“, über Francis Ford Coppolas „Der Pate“ bis hin zu Martin Scorseses „GoodFellas“, dann wird man früher oder später seine gierigen Fühler auch in Richtung Serienmarkt ausstrecken und dort nicht nur auf „Die Sopranos“ stoßen, sondern auch in Kontakt mit dem nicht minder gefeierten HBO-Format „Boardwalk Empire“ kommen. Angelegt im Altalantic City der 1920er Jahre, werden wir dort in die Zeit der Prohibition eingeführt und Zeuge davon, welch rentable, aber auch unmenschliche Konditionen der illegale Alkoholhandel mit sich bringt. An der luxuriösen Spitze dieses dreckigen Geschäfts steht der korrupte Stadtkämmerer Enoch 'Nucky' Thompson (Steve Buscemi), der die Küstenstadt kontrolliert und seine mächtigen Finger nicht nur in der Politik hat, sondern auch die Ordnung des Polizeiapparats bis zu einem gewissen Grad zu seinen Gunsten verbiegt.
Nucky beim politischen Geschäft
Das klingt nun nach der standardisierten Geschichte vom großen Gangster und schreit förmlich nach der obligatorischen Aufstieg-und-Fall-Strukturierung. „Boardwalk Empire“ aber denkt weiter und macht nicht den gravierenden Fehler, seine Gewichtung zwingend auf die Psychologie des ungemein ambivalent Nucky Thompson zu verlegen. Vielmehr setzt man es sich zum Ziel, die Ideologien und Charakterbilder dieser historischen Zeit zu verknüpfen und so nicht nur zwischenmenschliche Differenzen zu thematisieren, sondern auch konfessionelle und soziale Verhältnisse miteinander konfrontieren zu lassen. Mit dem Veteran James Darmody (Michael Pitt), dem strenggläubigen Prohibtionsagenten Nelson Van Alden (Michael Shannon) und der alleinerziehenden Irin Margaret Schroeder (Kelly MacDonald), entsteht nicht nur ein – aus handlungsorientiertes Sicht - spannendes Geflecht, „Boardwalk Empire“ formt dadurch auch eine facettenreiche und ebenso authentische Dynamik, die immer wieder in exzellenten Wortgefechten kuliminiert.
Um zurück auf den Ausgangspunkt und den Realitätsbezug von „Boardwalk Empire“ zu kommen: Vorab muss man sich darüber im Klaren sein, dass die erste Staffel noch als klare, zuweilen sogar ellipitsch fungierende Einführung dient, die sich nicht durch actiongeladene Passagen auszeichnet und in jeder Folge einer gewaltigen Klimax hinterherjagt. Den Machern liegt es vielmehr daran, dem Zuschauer die Charaktere und ihre individuellen Mentalitäten vorzustellen und müssen dafür nicht auf stupide dramaturgische Tricks zurückgreifen, die doch nur den Zweck verfolgen, inhaltliche Schwäche unbemerkt zu retuschieren. „Boardwalk Empire“ legt Wert auf die beherrschte, gerne metaphorische, aber nie gemächliche Gegenüberstellung und konträre Bedeutung von Angst und Respekt, von Gerechtigkeit, Loyalität und dekadenter Amoral. Dass es dabei gewiss auch mal blutig werden darf, ist genauso selbstverständlich wie der offenherzige Geschlechtsverkehr in so gut wie jeder Episode, nur sind diese Momente nie ein Opfer der puren Selbstzweckstilisierung. Hier schlummern Abgründe, die nur darauf warten, endlich an das Tageslicht zu gelangen.
8 von 10 Granatsplittern im Bein
von souli