„Seeds“
(Harvest Records)
Was vor Zeiten noch eine Selbstverständlichkeit war, kommt heute eher selten vor: Dass man eine Band über zehn Jahre und mehr begleitet. Die meisten halten ohnehin nicht so lang durch oder man wendet sich gelangweilt ab, weil Output und Anspruch nicht mehr zueinander passen wollen. Allerweltsweisheiten, in der Tat. Die New Yorker Kapelle TV On The Radio weiß sich seit ihrer Gründung im Jahr 2001 im Fokus der wohlwollenden Popkritik – ganze fünf Alben haben die Musiker um Keyboarder und Produzentenguru David Sitek bis dato abgeliefert und ein schlechtes war nicht dabei. Schon das offizielle Debüt „Desperate Youth, Blood Thirsty Babes“ brachte den Rock zum Soul zum Noise und begründete das Markenzeichen der Formation – ein vibrierendes Amalgam aus mehrstimmigen, gospelverwandten Vocals (Tunde Adebimpe plus Kollegen) und schepperndem Gitarrenlärm, der nie zur vollständigen Entladung zu finden schien. Ein paar Jahre später vervollständigten sie mit „Dear Science“ ihr Spektrum und fügten dem Ganzen noch den Funk hinzu.
Für Album Nummer fünf, die erste Platte nach dem Tod ihres Bassisten Gerard Smith, verzichten sie nun auf die gewohnte Durchgängigkeit und wagen sich an die Extreme. Optisch wirksam in farbenfrohe Stoffe gehüllt, geben sich die vier nun einerseits gnadenlos poppig – Songs wie „Careful You“ und „Right Now“ markieren einen deutlichen Schwenk in Richtung Tanzparkett und Glitzerkugel, die frühere Vertracktheit ist hier einer geschmeidigen Anmut gewichen. Wer solches versucht, muss schon ungeheuer aufpassen, dass der Grenzgang zwischen Pop und Kunst nicht in der Banalität endet. TV On The Radio sind allerdings klug genug, es nicht zu übertreiben, die Stücke bleiben trotzdem dicht und verlieren nie die Reiz des Außergewöhnlichen.
Immer wieder akzentuieren sie die eingängigen Melodien mit überraschenden Stilmitteln: Dominante, trockene Beats für „Love Stained“, zauberhafte Gitarrenhooks bei „Happy Idiot“, das zarte „Test Pilot“ klingt nicht nur des Titels wegen so, als hätten sie sich mit The Notwist im Studio getroffen. Eine komplett andere Richtung schlagen die vier mit „Winter“ und „Lazerray“ ein. Ersteres eröffnet mit einem herkömmlichen Bluesrockriff, das bei weniger talentierten Musikern sicher auch zum erwartbar bösen Ende geführt hätte – nicht so hier. Allein das Dazumischen einer tonnenschweren Bassdrum gibt dem Song einen völlig anderen Dreh und läßt ihm so die Spannung. Das zweite Stück macht mit lässigem Gabba-Gabba-Hey der Ramones auf und weckt so die Erinnerung an die Live-Shows des Quartetts, wo auch gern mal ein härteres Brett wie Fugazi’s „Waiting Room“ gebohrt wird. Man kann sich also ausrechnen, dass die Konzerte, so sie denn im kommenden Jahr wieder ein Roundup quer durch Europa planen, nicht langweiliger werden…