Gegen 6 klingelte mein Wecker. In meinem Zimmer war es bereits hell, aber das hatte ich nur der kaltweiß strahlenden Straßenlaterne zu verdanken die man ein paar Tage vorher taktisch vor meinem Hotel platziert hatte.
Der Usbekische Präsident Karimov hatte angekündigt, Nukus besuchen zu kommen – seit dem war die ganze Stadt aus dem Häuschen die Straßen zu säubern, Unkraut auszureißen, vermeintlichen ausländischen Spionen das Zimmer zu durchsuchen und eben die Laternenleuchtklassen von Natriumdampf auf „Supernova“ umzustellen.
Gesehen hat ihn bis zu meiner Abreise jedoch niemand – oftmals stand jedoch die Hotelchefin auf der Straße und hat den Arbeitern zugesehen. Wann er komme, wollte ich wissen – „er hätte schon da sein sollen“ antwortete sie in gutem Russisch.
Spätestens als ich abends zu Bett gegangen bin wusste ich, dass ich Islom Karimov nicht die Hand schütteln würde. Leider. Beim aus-dem-Bett quälen machte es die Pseudosonne draußen dennoch einfacher.
Urmenscheninstikt sagt es ist Tag. Mario ist munter (oder tut zumindest so).
Der Taxifahrer den ich Abends zuvor geordert hatte ruft mich 10 Minuten vor 7 an um zu fragen, wo ich denn sei. Erwartet hatte ich, dass er 20 Minuten zu spät sein würde. Punkt 7 verlade ich meinen Rucksack in sein Auto.
Lieber wäre ich mit dem Bus nach Hojeli gefahren und dort ein Taxi genommen. Doch der erste Bus sollte erst um 9 abfahren – Kostenpunkt: 1000 Söm. (Etwa 25 $-Cent). Von Hojeli zur Grenze verkehren was man mir gesagt hat keine Busse, Bushaltestellen gibt es dennoch. Ob der Verkehr eingestellt wurde oder nicht bleibt fraglich.
Von Hojeli bis zur Grenze hätte ich den Preis auf 10.000 Söm herunterbekommen meine ich. Bei Nukus war ich ob der Distanz unsicher (der Bus fährt nur sehr langsam und die holprigen Straße verzerrt die Wahrnehmung auch etwas). Die Taxifahrer Tags zuvor in Nukus hatten erst irgendwelche Fantasiepreise gesagt. „100 Dollar“ erinnere ich mich noch. Nach Nukus kommen Reisegruppen meist nur ob des Savitsky-Museums. Wenn sie mehr Zeit haben fahren sie für 200$ zum Aralsee oder buchen sich für 400$ einen Führer der ihnen die antiken choresmischen und zoroastrischen Stätten in der Gegend zeigt.
Windig war’s auch wie Sau
Der Tourismus ist nur schwach entwickelt und wer profitieren kann, profitiert.
Für 100$ zur Grenze wäre ein Tritt in den Hintern inklusive gewesen. Für ihn, weil er so frech war und für mich wenn ich es angenommen hätte.
Aber 100$ ist der Standardpreis, den man Touristen anbietet. Ich könnte Fantasieorte erfinden, sagen, ich will nach Chodallah oder Fargushislam – es wären 100$ die man verlangt. Vielleicht auch nach Taschkent, Moskau oder Wien.
Mit der Hilfe eines Einheimischen konnte man zumindest einen Taxifahrer zur Räson bringen. 35.000 Söm war der Preis für ein Privattaxi. Ein Sammeltaxi ein Bruchteil davon, jedoch sollte ich wenig später feststellen, dass ich der einzige war, der an diesem morgen die Grenze überschritt.
Morgens halb 8 in Usbekistan: Wo ist mein Plov?
Knapp eine Stunde dauerte die Fahrt – geschätzt hatte ich zwei. Ab 9 durfte man passieren. Nachdem ich das Auto verlassen hatte war mir klar, dass meine Situation nicht sehr optimal war. Der Wind blies schneidend kalt durch die Steppe, der Wetterbericht sagte Schnee voraus und der Grenzsoldat zeigte sich nicht erfreut, dass ich jetzt eine Stunde vor ihm im Kreis laufen würde.
Also wieder zurück in Taxi und ein paar hundert Meter zu einer Bushaltestelle wo er mich darauf hinwies zu sitzen. Er zeigte mit dem Finger auf die Bank, ich sah hin, schaute ihn an und meinte bündig:“Cholodna“ (Russisch für „kalt“). Er nickte nachdenklich.
Nachdem er die Tür aufgemacht hatte schloss er sie auch gleich wieder und schien zum Punkt zu kommen, dass er für einen Gast der etwas zu viel gezahlt hatte auch noch etwas warten konnte.
Absperrungen auf usbekischer Seite der Grenze
Wir unterhielten uns etwas über Österreich, ein paar Fotos davon waren auf meinem Laptop. Qaraqalpaqstan ist keine sehr grüne Region, die Wüste dominiert. Er war entsprechend überrascht, grün bewaldete Berge und viel Gras zu sehen.
UzDaewoo Damas. №1 in Usbekistan
Während wir plauderten fuhren viele Damas mit Miliz und Soldaten vor uns hin und her. Aus einem stieg ein Beamter aus und frug meinen Fahrer etwas.
Sein Russisch war relativ gut und ich habe ein paar Worte dazugelernt.
Schließlich zeigte die Uhr 8:40 – können wir? Ja.
Zeit für ein paar Selfies…
Dem Grenzsoldaten war ich nach wie vor nicht ganz koscher. Erfreuter war er auch nicht, als ich mein Gepäck auf dem Betonblock vor ihm aufpflanzte und Selfies schoss. Um 8:55 durfte ich dann zur Zollvernahme. Ein Kontrolleur wies mich an, ein Ausreiseformular auf Englisch auszufüllen und verschwand dann.
Der Antrag lag fertig vor mir und keiner kam oder war in der Gegend. Erst als ich hinausschritt und winkte wurden die Kollegen wohl etwas nervös und man ging meine Habseligkeiten oberflächlich durch. Als ich im Dezember nach Kirgistan ausgereist war zeugte der Übergang von viel Chaos und die Gepäckskontrolle war entsprechend langwierig. Hier war ich der Einzige und man machte mir keine Probleme.
Nach dem Ausreisestempel lag die türkmenische Seite vor mir.
Turkmenische Grenzseite: Hojeli/Konja Urgench
Mein Touristen-Visum hatte ich über eine Reiseagentur geordert und mir wurde bestätigt dass man meinen Antrag akzeptiert hatte. Das Visum selbst lag am Grenzübergang bereit.
Vor der Einfahrt warteten zwei türkmenische Soldaten und baten freundlich um meine Dokumente.
Von der Reiseagentur hatte ich eine schlecht gescannte und billig ausgedruckte Einladung die ich ihnen mit dem Pass in die Hand drückte.
Einer der Soldaten schien neu im Dienst zu sein und ihm wurde (zwar auf Türkmenisch, aber großteils für mich aus dem Kontext übersetzbar) mein Pass erklärt.
Dann folgte das Besorgen des Visums. Ein Herr in Camouflage hinter einer Glasscheibe nahm Reisepass und Brief entgegen und plauderte in einem überraschend guten Englisch mit mir. Was ich in Türkmenistan zu tun gedenke, wo ich überall hin wolle und was ich dort mache.
Wie mein Fahrer heiße und in welchen Hotels ich nächtigen wollte.
Mein Fahrer hieß Ishan.
Das klingt auf dem Papier (das ich nicht dabei hatte) ganz einfach, aber wie spricht man den Namen aus?
Den Versuch „I-Schan“ zweifelte er an. Dann probierte ich es mit „Is-Han“ was auch keine bessere Reaktion hervorbrachte. „Esh-on“, „Es-Hon“, „Ii-schan“ oder „I-Shann“ brachten die Leute zumindest zum Lachen. Offensichtlich wusste ich nicht, wie mein Fahrer hieß.
Auf der Wand rechts von ihm hing ein Foto von – ich denke es war – Präsident Berdimuhamedov in nicht sehr schicken Tarnfarben und einem derart mittels Photoshop weichgezeichnetem Gesicht, dass er bei der Bearbeitung wohl unsägliche Schmerzen erlitten hatte…
Mit meinem Visum sei alles in Ordnung und ich solle bitte 75 Dollar beim kleinen Fenster rechts einzahlen. Mit viel Papier in der Hand überreichte ich das Geld und der etwas rundliche Herr wollte mir eine Quittung ausstellen.
Blöderweise waren gerade Quittungen und Kugelschreiber aus.
Also öffnete er den Safe, holte aus dem obersten Fach einen neuen Kugelschreiber und schrieb auf dem Karton des früheren Quittungsblocks weiter.
Jetzt seien noch einmal 14 Dollar zu zahlen – wegen der Einreisekarte. Die ich jedoch nie zu sehen bekommen habe.
Zu dem Herrn in Plauderton hatte sich inzwischen ein weiterer Herr in einer Uniform gesellt die eher einem Militärpyjama glich, der jetz konstruktiv in der Mitte des Raumes stand und mich ernst ansah.
Anfangs war ich überrascht, dass man Englisch verstand, das ist an der Grenze nicht üblich – meine nächste Frage, wozu ich die 14 Dollar gezahlt hatte verstand allerdings niemand. So viel zum Sprachlevel… Auf Russisch bestätigte man mir dass dies für die Einreisekarte sei.
Visum war eingeklebt, jetzt kam die Gepäckskontrolle. Mein Kontrolleur konnte vermutlich nur ein Wort auf Englisch:“Open“. Auf dies war er so stolz, dass er es immer wenn er auf ein Gepäckstück zeigte gleich drei Mal wiederholte, zum Nächsten vortrat und es erneut vorbetete. Als er meine drei Teile durch hatte ging es, bevor ich meinen ersten Rucksack öffnen konnte von vorne wieder los.
Ob er wirklich wollte, dass ich alles gleichzeitig öffne oder nur sein Englisch demonstrierte kann ich nicht sagen, jedoch beschloss ich dieses chaotische Relikt aus Sowjetzeiten zu verbessern und übernahm selbst die Kontrolle für die Vorhergehensweise.
Als erstes bestellte ich ihn zu meinem Rucksack mit Laptop darin. Er wollte wissen, ob ich pornographisches oder religiöses Material mithatte. Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich ihm keines von beidem mitgebracht hätte.
Worauf er auf den Laptop und eine Objektivtasche zeigte, sein Mantra wiederholte, bei den anderen Taschen vorbei ging und auch hier je drei Mal „Open“ sagte, dann zu einem PC ging auf dem (wie auf allen) Windows XP lief und herumklickte.
Die Soldaten, die recht untätig um mich versammelt waren verstanden kein Russisch, interessierten sich aber offensichtlich nicht sehr für mein Gepäck, machten aber Anstalten, dass ich mit der Kontrolle fortfahren sollte.
Leicht verwirrt zeigte ich den Soldaten meinen Rucksack, wollte die Objektivtasche wieder hineingeben, als der Öffner wieder erschien und den Inhalt der Objektivtasche sehen wollte. Darin war mein Nikkor 80-400mm das selbst auf manche Berufsfotografen eindrucksvoll wirkt.
Die Stimmung im Raum kühlte deutlich ab und es begannen die Fragen: „Ist das eine Kamera? Wie viele Kameras? Wo sind die Kameras?“
„Das ist die Kamera“ meinte ich – und zeigte auf meine Nikon, „das hier ist ein Objektiv“ und demonstrierte die Verwendung indem ich es anschraubte. Ihre Gesichter glichen denen von Kindern, die gerade verstanden hatten, warum 1+1 immer 2 ergibt.
Ein Soldat war jedoch investigativer. „Wie viele Kilometer kann man damit schauen?“.
Mir wurde klar, dass ich mich noch nie in meinem Leben damit beschäftigt hatte, wie man Brennweite in Kilometer umrechnet und kam zum Schluss dass dies vermutlich keine Rechnung sei, die von Intelligenz zeugt.
Ihm das zu erklären war mir jedoch zu mühsam – weswegen ich beschloss ihm einfach zu sagen, dass dieses Objektiv nur dazu diene gute Portraits zu schießen. Nachdem ich anbot eines von ihm zu machen (was natürlich streng verboten gewesen wäre) dankte man mir und ließ mich wieder einpacken.
Im Rucksack mit den Klamotten wühlte man mir durch meine Unterhosen und forderte auch diese zu öffnen (eher aus Gewohnheit, alsdass es wirklich jemanen interessierte) und ließ mich schließlich so weit in Ruhe. Meine frische Unterwäsche schien keine weltbewegenden Geheimnisse zu bergen.
Auf Russisch fragte er nach „Flashkaas“ (флешка) was ich bis heute immer falsch übersetze. Damit sind nicht die „Flash-Cards“ gemeint.
Diese interessierten ihn seltsamerweise gar nicht. Vermutlich konnte man auf denen seiner Meinung nach ohnehin nur Fotos speichern.
Eine флешка ist ein USB-Stick. Gerade ergriff ich einen Leeren, händigte ihm diesen aus woraufhin er ihn vergnügt in seinen PC steckte.
Sicherheitstechnisch vermutlich das dämlichste, was er machen hätte können. Man steckt keine fremden USB-Sticks auf Regierungs-PCs. Niemals.
Dass man so etwas selten Dummes machen würde hätte ich nicht einmal erträumt, sonst hätte ich Abends zuvor noch nach einem Trojaner gesucht…
Nochmals fragte man mich wo ich meine Bibeln verstecke – was ich nur mit „ich habe keine“ quittierte und Unglauben hervorrief.
Da man auch bei einer neuerlichen „Open-Open-Open“-Durchsuchung keine theologischen Werke fand ließ man mich – vermutlich leicht enttäuscht – wieder gehen.
Bei meinem nächsten Besuch bringe ich ihm einen Playboy mit und verstecke ein paar Bibeln und einen Koran in meinem Kulturbeutel.
“Grenzbach”?
Wie in Usbekistan wartet vor dem Verlassen des Grenzareals noch ein letzter Soldat der sich den Pass noch drei Mal durchsieht.
Diesmal stand ein Kommandant und vier Soldaten vor mir von denen einer mit den Zähnen klapperte und auf und ab hüpfte.
Auch dieser Kommandant erklärte ihnen meinen Reisepass. Mein usbekisches Geschäfts-Multiple-Visum für 7 Monate war wohl etwas Besonderes und er verbrachte um einiges mehr an Zeit damit es durchzugehen.
Die letzten hundert Meter nach der Grenze muss man zu Fuß gehen
Der Kommandant hatte eine dünnere und kürzere Jacke an als sein Trupp und dennoch trotzte er dem Wetter sichtlich besser.
Ich für meinen Teil hatte eine usbekische Chopan die Wind und Wetter besser standhielt als alle Jacken die ich in meinem Leben getragen hatte.
Damit hatte ich erstmals in meinem Leben Türkmenischen Boden betreten. Ein kleiner Bach floss vor sich hin und der Wind wehte über die Schilffelder.
Überraschend war, dass der Wetterbericht wohl recht hatte… Es begann zu scheien.
Somit hat mein Abenteuer in Türkmenistan begonnen…
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