Die weisse Landschaft schien unberührt, weit und breit war kein Lebewesen zu sehen. Der Schneesturm hatte sich beim Morgengrauen gelegt und nun war es beinahe gespenstisch still. Doch wenn man genau hinhörte, konnte man ein leises Gemurmel hören und wenn man genau hinsah, konnte man auch einen roten Fleck im Schnee entdecken. Einen Fleck, der sich bewegte!
Der Fleck stellte sich als rote Zipfelmütze heraus, die zu Gilbert gehörte. Gilbert dem Elfen. Er lief nun schon seit einer ganzen Weile durch die Schneelandschaft, des Nordpols und war viel zu spät dran.
„Viel zu spät….viel zu spät!“ murmelte er vor sich hin „uns bleiben nur noch 23 Tage bis zum Heiligabend…oh je… viel zu spät, viel zu spät!“ Endlich konnte er von weitem den beinahe unsichtbaren Eingang zum Elfenhauptquartier sehen und spurtete sich. Als er unmittelbar vor dem Tor stand, scannte dieses seine Nase ein und bestätigte mit einem grünen Licht, dass er hineintreten konnte. Er schüttelte sich den Schnee von den Schuhen und augenblicklich war das laute Gewusel von über 1000 Elfen zu hören.
Jedesmal wenn er das Quartier betrat, sich auf die kleine Galerie stellte und hinab auf die Werkstätte des Weihnachtsmanns sah, schwellte sich seine Brust vor Stolz an und er war voller Energie! Das Quartier oder „die Wunschfabrik“ wie der Weihnachtsmann sie nannte war ein unterirdisches Gebäude, dessen Grösse keinem, ausser dem Weihnachtsmann selbst, bekannt war. Es gab mehrere Stockwerke und auf jedem wurden andere Geschenke produziert. Gilbert begab sich mit anderen Elfen zum goldenen Lift und sah sich die Liste der einzelnen Stockwerke an.
+ 2 Blumenabteilung
+ 1 Versand- und Briefabteilung
0 Eingangshalle
– 1 Süssigkeitenabteilung
– 2 Spielzeugabteilung
– 3 Ponyhof
– 4 Glitzer und Funke
– 5 Bausteine
– 6 Sockenabteilung
– 7 Schreibwarenabteilung
– 8 Büchergeschenke
– 9 Plüschtiere
etc.
Gilbert arbeitete in der Versand- und Briefabteilung und war noch nie tiefer als bis zu den Bausteinen herunter gefahren. Er war sich auch nicht sicher wie tief der Lift fahren konnte, denn die Übersicht der Stockwerke endete mit „etc.“ und liess damit Platz für mehr Abteilungen. Das „Pling“ erklang, die Lifttüren öffneten sich und eine monotone Stimme verkündete „Versand- und Briefabteilung bitte aussteigen“, Gilbert hastete hinaus, grüsste hier und da seine Elfenkollegen und blieb kurz vor seinen Platz abrupt stehen. Auf seinem Tisch stapelte sich noch der gleiche Haufen an Briefen für den Weihnachtsmann wie am Vortag, doch sein Stuhl war nicht leer. Ein kleines Mädchen, mit lockigen Haaren, Sommersprossen im Gesicht und einer dunklen grossen Brille sass auf seinem Stuhl und drehte sich verträumt im Kreis.
Seit er zurückdenken konnte und damit meinte er in den letzten 300 Jahren, konnte er sich nicht daran erinnern, dass sich jemals ein Menschenskind in der Wunschfabrik des Weihnachtsmanns befunden hatte. Wie kam sie bloss hier her? Und wieso sass sie ausgerechnet auf seinem Platz?
„Hallo, junge Dame! Wie heisst du denn und was tust du hier?“ Das Mädchen zuckte leicht zusammen, lächelte dann aber als sie Gilbert sah. „Ich heisse Marie und du?“ er war etwas verwirrt darüber, dass ihm das Mädchen die Hand hinstreckte, doch er ergriff sie und antwortete „Gilbert Gom, wie bist du hier hergekommen Marie?“ Sie stand auf und lächelte ihn freundlich an „Der Weihnachtsmann hat mich her gebracht.“ Nun war Gilbert restlos verwirrt. „Der Weihnachtsmann? Das kann nicht sein…“ doch er verstummte sofort, als er sah was für einen Brief Marie ihm hinhielt. Der goldene Umschlag war eindeutig mit dem Emblem des Weihnachtsmanns versehen und glitzerte so sehr, dass er die Augen etwas zukneifen musste. Sie überreichte Gilbert den Brief und forderte auf ihn zu lesen.
Liebe Marie,
Ich habe dich beschützt, so wie ich alle braven Kinder behüte. Dabei ist mir deine Grosszügigkeit besonders in Auge gestochen. Egal was du bekamst, du hast es geteilt und manchmal hast du sogar alles an jemanden weiterverschenkt, dem du eine Freude bereiten wolltest. Du hast dich liebevoll um deine Mitmenschen gekümmert und wolltest nie eine Gegenleistung.
Ich habe nun aber festgestellt, dass du dir in all den Jahren, in denen du mir schreibst nichts gewünscht hast. Deine Briefe waren immer voller guter Gedanken und Liebe, doch du wolltest nie etwas für dich oder deine Familie.
Deshalb lade ich dich zu mir auf den Nordpol ein. Steig auf Eddie Rentier drauf, er wird dich sicher in unsere Wunschfabrik bringen, lasse dich dort zu Gilbert Gom führen, er ist ein treuer Elfe von mir und kennt sich bestens in der Wunschfabrik aus. Dort darfst du dir alle Abteilungen, die du magst ansehen und dir ein Geschenk aussuchen.
Ich wünsche dir wundervolle Weihnachten,
Hohoho! – der Weihnachtsmann.
Gilbert fühlte sich äusserst geehrt, dass er vom Weihnachtsmann ausgewählt wurde und wollte auf jeden Fall sein bestes geben und für Marie das schönste und grösste Geschenk überhaupt aussuchen. „Alles klar!“ rief er entzückt „Ich werde dir gerne alles zeigen Marie und danach sollst du dir dein Geschenk aussuchen.“
Er lief mit ihr quer durch alle Abteilungen, stellte sie wichtigen Elfen vor, liess sie von den Süssigkeiten naschen und erlaubte ihr ein Knopfauge bei einem Plüschbären aufzunähen. Sie stellte viele Fragen und war sehr neugierig. Gilbert beantwortete jede Frage und war sich sicher, dass er das Beste Geschenk für Marie finden würde.
Als sie wieder hinauf in den Versand fuhren fragte Gilbert sie nun gespannt „Du hast dir nun alle Abteilungen, die ich kenne angesehen Marie. Welches Geschenk möchtest du nun mit nach Hause nehmen?“ Marie sah ihn mit grossen Augen an und sagte, ganz zu seinem Erstaunen „Ich möchte nichts Gilbert, ich brauche diese Geschenke nicht.“ Augenblicklich hatte Gilbert das Gefühl versagt zu haben. Würde er so den Weihnachtsmann enttäuschen? Er liess sich von Marie nicht beirren „Aber jeder hat doch Wünsche Marie, erzähl mir deinen, egal wie unmöglich er klingen mag!“ Marie räusperte sich verlegen, strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr und sagte dann „Nun ja… ich möchte nichts materielles… ich würde mir lieber… Geschichten wünschen.“ Gilbert stutze „Geschichten? Oh, meinst du Bücher? Das ist gar kein Problem wir können sogleich in die Buchabteilung fahr…“ doch Marie unterbrach ihn „Nein, ich möchte keine Bücher Gilbert! Ich möchte echte Geschichten!“ Gilbert kratzte sich seinen kahlen Kopf „Echte Geschichten?“ Marie nickte begierig „Ja, ich möchte Geschichten hören von Fabelwesen, echten Menschen, grossen Wundern und ganz viel Magie. Ich möchte eine Gänsehaut beim zuhören haben, möchte mitfühlen, lachen, weinen und mich freuen! Ich möchte Abenteuer hören, mutige Entscheidungen verstehen, Lügner entlarven und Herzklopf Momente erleben. Ich möchte für einen kurzen Moment einfach nur träumen und mich komplett in die Geschichte fallen lassen. Verstehst du das Gilbert?“
Gilbert war zugleich gerührt, als auch sprachlos über Maries Wunsch. Er nickte langsam, denn er hatte verstanden.
„Okay Marie, ich werde dir diesen Wunsch erfüllen, doch ich schenke dir im Namen des Weihnachtsmanns nicht nur eine Geschichte, nein ich schenke dir 23 Geschichten, die dich umhauen werden und dir die Zeit bis zum Heiligabend versüssen werden!“
….*G L I T Z E R S T A U B*….
Und hier kommen sie…
Morgen geht es bei der lieben Gina von Passion of Arts weiter!