Von der vielbeachteten und -beschäftigten jungen Regisseurin Lydia Steier hatte ich bereits drei Inszenierungen gesehen, bevor ich die Reise nach Köln antrat, um nun über ihre aktuelle Arbeit mit Puccinis Turandot endlich auch zu schreiben. Von Perelà und Armide am Staatstheater Mainz war ich zugegebenermaßen recht angetan und gut unterhalten. Meine Stimmung nach der Premiere im Staatenhaus sah anders aus.
Bahnhof Peking
Für alle, die das Kölner Staatenhaus nicht kennen, sei zuerst gesagt, dass es eine herausfordernde Interimsspielstätte ist. Logischerweise gibt es keine Unterbühne und keinen Schnürboden und leider eine recht niedrige Decke - dafür aber genug Platz auf den Seiten der Bühnenfläche. Das Bühnenbild von fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Møller), das beim Einlass bereits sichtbar ist, zeigt eine erhöhte Schienenkonstruktion vor einer Leuchtschrift, die das Wort „KINO" darstellt. Links und rechts davon stehen Baugerüste, die eine Verbindung zum vorhandenen Saal suggerieren. Hinter dieser Aufstellung positionierte sich das Orchester mitsamt Dirigent hinter einer Gazewand.
Das schien mir erst eine recht spannende Situation zu sein, da es keine richtige Bühne zu geben schien. Nun spielte aber ein großer Teil des Anfangs zwischen diesen brusthohen Schienen - eher ein Nicht-Ort, der aber eine konkrete Geschichte mit konkreter Personenkonstellation erzählen wollte. Sehr schön war der sorgsam choreographierte Chor, der demütig und gebeugt durch das Bild wankte. Für die Solisten war es hingegen schwierig hier eine Situation darzustellen. Mehr Klarheit brachte dann die Showbühne mit Rückwand, die von links händisch auf die Schienenkonstruktion geschoben wurde, wobei auch hier die räumliche Definition immer wieder durchbrochen wurde. Das letzte Bild war am eindeutigsten und stellte ein modernes Schafott dar. Generell ist es natürlich dem Regieteam überlassen, ob es konkrete Orte und Situationen schafft oder nur assoziative Räume (oder eine leere Bühne). Nur sollte es dann nicht konsequent das eine oder das andere (oder das ganz andere) sein?
Die Turandot-Show
Im Konzept von Lydia Steier ist die Freierprobe von Turandot nur eine Show, deren Ästhetik sich zwischen Zirkus, Rockkonzert und Kuriositätenkabinett bewegt. Eine kleine Gruppe von Skandaltouristen, die sich von den Folterungen der erfolglosen Anwärter amüsieren lässt, ist immer mal wieder als Zuschauer präsent. So gestaltet sich ein Rahmen um Puccinis morbide Handlung, die also eher als exotistische Darstellung von vermeintlichen chinesischen Gepflogenheiten zu verstehen ist. Diese spannende Perspektive wird zum Ende hin leider immer schwammiger. Im letzten Bild tritt Turandot nicht mehr als aufgeplusterte Show-Prinzessin auf, sondern plötzlich im Frack mit blonder Perücke. Das maskuline Outfit ist ihrer Figur sicherlich angemessen, fraglich bleibt, warum sie nun Marlene Dietrich spielt. Oder ist das ihre eigentliche Identität? Auch der Rahmen des Anfangs wird nicht geschlossen. Während Calaf in den letzten Takten ein Schriftstück unterschreiben soll (Ehevertrag? Arbeitsvertrag für die Turandot-Show?) vermisse ich die Touristengruppe. Warum diese offene Klammer in die 20er Jahre verlegt wurde, ist ebenfalls unklar.
Zurück blieb für mich das Gefühl, dass Lydia Steier hier einen großen Kontrast herstellen wollte: Die brutale, ekelhafte, alptraumhafte, groteske Showwelt und ihr gegenüber die sanfte, zerbrechliche Welt der aufrichtigen, gefühlvollen Menschen. Das ist nicht nur eine effektvolle Idee, sondern in diesem Zusammenhang auch eine sehr sinnvolle und fruchtbare. Die Umsetzung davon ist ihr an anderen Orten besser gelungen.
Turandot. Dramma lirico in drei Akten (UA 1962 Mailand)Oper Köln
Musikalische Leitung: Claude Schnitzler
Regie: Lydia Steier
Bühne und Video: fettFilm (Momme Hinrichs, Torge Møller)
Kostüme: Ursula Kudrna
Licht: Andreas Grüter
Dramaturgie: Georg Kehren
Besuchte Vorstellung: 2. April 2017 (Premiere)