Links neben dem Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstrasse gibt es ein kleines Theater. Es heißt "Jüdisches Theater Bimah".
im Dezember steht dort ein "Kurt Tucholsky Kabarett" auf dem Programm. Eine sehr gute Idee, dachte ich, und kaufte zwei Tickets. Tucho stand bei uns in diesem Jahr sowieso ganz oben auf dem Programm: Besuch im Museum in Rheinsberg, die Entdeckung der "Weltbühne" und all die Erkenntnisse, wie sehr unsere Zeit den Weimarer Jahren ähnelt. Tucholsky-"Fans" wissen: Man muss in seinen Werken und Schriften nur wenig aktualisieren - z.B. die Offiziere durch Banker ersetzen- dann passt es 1:1 auf die heutige Zeit.
Und ein Kabarettabend, das muss ja noch besser sein: Man freut sich auf bissige Kommentare, Adaptionen, Dialoge, Ironie etc., also das, wonach es einem als Zeitungsleser, abhängig Beschäftigten und SPD-Mitglied dürstet.
Mit dem Anliegen von Intendant Dan Lahav, den Berlinern die jüdische Kultur näher zu bringen (Link), freundet man mich sowieso an, wenn man es nicht schon ist.
So gingen wir also gestern Abend mit Vorfreude dahin. Vom Bf. Friedrichstrasse sind es nur ein paar Meter. Man folgt einfach dem Publikumsstrom zum Admiralspalast in den innenhof und biegt dann links ab, ins jüdische Theater.
Ein altes, charmantes Treppenhaus. Dritter Stock, man betritt das Foyer eines schönen, alten Theaters. Das Publikum: Zwanzig bis dreißig Gäste, alle mindestens so alt wie wir, Lehrer, Philologen, Kulturinteressierte, wenn nicht -schaffende. Ihnen allen Tucholsky sicher nicht unbekannt. An der Bar gibt es Bier und Carmelweine.
Mit der Glocke wird zum Einlass geläutet. Der Intendant selbst reißt die Karten ab und begrüßt jeden einzelnen Gast persönlich. Was will man mehr? :-)
Im Theater: Kronleuchter beleuchten die Stuhlreihen. Auf der Bühne ein roter Vorhang, davor ein altes Sofa, Stuhl, ein Lesetisch, eine alte Stehlampe und ein Klavier.
Es treten auf: der Kabarettist (Link) und seine Klavierbegleiterin. Jetzt geht's los! - denken wir. Und es geht wirklich los. Mit bekannten Werken. Die er rezitiert, in Kapitel einteilt, aneinander reiht, als Lieder intoniert. Mehr aber auch nicht. Er erklärt uns, dass es die Weltbühne gab. Das wissen wir schon. So, wie manches andere. Wir sind doch nicht hier, weil wir Tucholsky lernen wollen, sondern weil wir ihn uns als unser Sprachrohr in die heutige Zeit wünschen. Ihn und seine Weltbühne- und andere Kollegen. Doch hier bekomme ich ein leises Gefühl, in einem Weiterbildungsabend für Touristen gelandet zu sein (Entschuldigung). Dann wieder ein Gedicht. "Das Beste am Sonntag, ist der Sonnabend-Abend davor." Dann singt er "Augen in der Großstadt". Und da wird mir nun glasklar, was mich an der Vorstellung heute Abend stört:
Udo Lindenberg verrockte genau dieses Stück 1987. Und zwar mit einer eigenen Haltung und Position, in der die Melancholie und leise Verzweiflung Tucholskys zum Ausdruck kam, in der Großstadt nie allein zu sein, aber einsam zu bleiben. Ich kann "Augen in der Großstadt" nicht mehr lesen, ohne Udos Melodie und Stimme zu hören. Darin liegt die Kunst, ein Stück zu "covern", in eine Form zu bringen, Leben einzuhauchen usw. Der Text, die Musik, die Performance.
Man kann es aber auch zurückhaltend, vorsichtig, sozusagen in-den-Raum-stellend mit einer Ihr-müsst-wissen-was-ihr-damit-macht Haltung (und ob ihr etwas damit macht) bringen. Und mir wird klar, was diesem Kabarettabend fehlt: Lebendigkeit, Committment, Provokation, die Adaption auf unsere Zeit, die Parallelen, die Unterschiede. Chance vertan. Für einen Moment denke ich: "Bleiben oder gehen?"
Dann ist Pause. Wir gehen ins Foyer. Da die Bar und die Toiletten rechts liegen, fällt auf, wie viele Gäste nach links, Richtung Ausgang abwandern. Wir unterhalten uns am Stehtisch, wie es uns gefällt, beziehungsweise nicht gefällt. Dann der Satz: "Dann können wir ja auch gehen." In dem hören wir einen älteren Herrn zum Intendanten sagen "... und das finden Sie gut?" Aha, wir sind nicht die einzigen. Das war der letzte Ruck, wir gehen.
An der Garderobe steht auch der Intendant. Der Garderobenmann reicht uns die Jacken und fragt "Ihr kommt aber wieder, oder..?" Etwas pikiert, uns so direkt zu fragen, reichen wir ihm eine Ausrede. Die Herren schauen einander ungläubig an.
Hätten sie uns gefragt "warum", hätte ich es ihnen gesagt. So aber fühlte ich mich ein bisschen herausgefordert und sagte nichts (im Nachhinein ein Fehler von beiden Seiten..).
Raus auf die Friedrichstrasse, Einkehr im Fritz. Und dann eine Flut von eigenen Gedanken, was wir von einem Tucholsky Kabarett erwarten würden. Ironie, Selbstironie. Provokation. Es kann nicht bei gedämpfter Pianomusik und Stubengesang bleiben. Da muss was kommen. Fast könnte man sagen, der Künstler hat genau so leise getreten, wie es auch Tucho stets ein Unbehagen war.
Vielleicht verliert man als Programmverantwortlicher das Gefühl, was man beim Publikum voraussetzen darf. Und man überlegt, ob man fordern, drücken, provozieren darf - oder lieber zurückhaltend den Fundus in Happen serviert.
Trotz der Enttäuschung waren wir nicht zum letzten mal in diesem Theater. Die jüdische Kultur, all die Werke der großen Meister die passen heute wieder so gut. Die muss man bringen. Und man darf dabei für meinen Geschmack genau so forsch, ironisch, feinsinnig sein, wie sie gemeint waren. Und man darf sie aus einer eigenen Haltung bringen und ihnen einen Stempel aufdrücken. Man schaue nur auf Max Raabe, das müsste eigentlich Ermutigung genug sein.
im Dezember steht dort ein "Kurt Tucholsky Kabarett" auf dem Programm. Eine sehr gute Idee, dachte ich, und kaufte zwei Tickets. Tucho stand bei uns in diesem Jahr sowieso ganz oben auf dem Programm: Besuch im Museum in Rheinsberg, die Entdeckung der "Weltbühne" und all die Erkenntnisse, wie sehr unsere Zeit den Weimarer Jahren ähnelt. Tucholsky-"Fans" wissen: Man muss in seinen Werken und Schriften nur wenig aktualisieren - z.B. die Offiziere durch Banker ersetzen- dann passt es 1:1 auf die heutige Zeit.
Und ein Kabarettabend, das muss ja noch besser sein: Man freut sich auf bissige Kommentare, Adaptionen, Dialoge, Ironie etc., also das, wonach es einem als Zeitungsleser, abhängig Beschäftigten und SPD-Mitglied dürstet.
Mit dem Anliegen von Intendant Dan Lahav, den Berlinern die jüdische Kultur näher zu bringen (Link), freundet man mich sowieso an, wenn man es nicht schon ist.
So gingen wir also gestern Abend mit Vorfreude dahin. Vom Bf. Friedrichstrasse sind es nur ein paar Meter. Man folgt einfach dem Publikumsstrom zum Admiralspalast in den innenhof und biegt dann links ab, ins jüdische Theater.
Ein altes, charmantes Treppenhaus. Dritter Stock, man betritt das Foyer eines schönen, alten Theaters. Das Publikum: Zwanzig bis dreißig Gäste, alle mindestens so alt wie wir, Lehrer, Philologen, Kulturinteressierte, wenn nicht -schaffende. Ihnen allen Tucholsky sicher nicht unbekannt. An der Bar gibt es Bier und Carmelweine.
Mit der Glocke wird zum Einlass geläutet. Der Intendant selbst reißt die Karten ab und begrüßt jeden einzelnen Gast persönlich. Was will man mehr? :-)
Im Theater: Kronleuchter beleuchten die Stuhlreihen. Auf der Bühne ein roter Vorhang, davor ein altes Sofa, Stuhl, ein Lesetisch, eine alte Stehlampe und ein Klavier.
Es treten auf: der Kabarettist (Link) und seine Klavierbegleiterin. Jetzt geht's los! - denken wir. Und es geht wirklich los. Mit bekannten Werken. Die er rezitiert, in Kapitel einteilt, aneinander reiht, als Lieder intoniert. Mehr aber auch nicht. Er erklärt uns, dass es die Weltbühne gab. Das wissen wir schon. So, wie manches andere. Wir sind doch nicht hier, weil wir Tucholsky lernen wollen, sondern weil wir ihn uns als unser Sprachrohr in die heutige Zeit wünschen. Ihn und seine Weltbühne- und andere Kollegen. Doch hier bekomme ich ein leises Gefühl, in einem Weiterbildungsabend für Touristen gelandet zu sein (Entschuldigung). Dann wieder ein Gedicht. "Das Beste am Sonntag, ist der Sonnabend-Abend davor." Dann singt er "Augen in der Großstadt". Und da wird mir nun glasklar, was mich an der Vorstellung heute Abend stört:
Udo Lindenberg verrockte genau dieses Stück 1987. Und zwar mit einer eigenen Haltung und Position, in der die Melancholie und leise Verzweiflung Tucholskys zum Ausdruck kam, in der Großstadt nie allein zu sein, aber einsam zu bleiben. Ich kann "Augen in der Großstadt" nicht mehr lesen, ohne Udos Melodie und Stimme zu hören. Darin liegt die Kunst, ein Stück zu "covern", in eine Form zu bringen, Leben einzuhauchen usw. Der Text, die Musik, die Performance.
Man kann es aber auch zurückhaltend, vorsichtig, sozusagen in-den-Raum-stellend mit einer Ihr-müsst-wissen-was-ihr-damit-macht Haltung (und ob ihr etwas damit macht) bringen. Und mir wird klar, was diesem Kabarettabend fehlt: Lebendigkeit, Committment, Provokation, die Adaption auf unsere Zeit, die Parallelen, die Unterschiede. Chance vertan. Für einen Moment denke ich: "Bleiben oder gehen?"
Dann ist Pause. Wir gehen ins Foyer. Da die Bar und die Toiletten rechts liegen, fällt auf, wie viele Gäste nach links, Richtung Ausgang abwandern. Wir unterhalten uns am Stehtisch, wie es uns gefällt, beziehungsweise nicht gefällt. Dann der Satz: "Dann können wir ja auch gehen." In dem hören wir einen älteren Herrn zum Intendanten sagen "... und das finden Sie gut?" Aha, wir sind nicht die einzigen. Das war der letzte Ruck, wir gehen.
An der Garderobe steht auch der Intendant. Der Garderobenmann reicht uns die Jacken und fragt "Ihr kommt aber wieder, oder..?" Etwas pikiert, uns so direkt zu fragen, reichen wir ihm eine Ausrede. Die Herren schauen einander ungläubig an.
Hätten sie uns gefragt "warum", hätte ich es ihnen gesagt. So aber fühlte ich mich ein bisschen herausgefordert und sagte nichts (im Nachhinein ein Fehler von beiden Seiten..).
Raus auf die Friedrichstrasse, Einkehr im Fritz. Und dann eine Flut von eigenen Gedanken, was wir von einem Tucholsky Kabarett erwarten würden. Ironie, Selbstironie. Provokation. Es kann nicht bei gedämpfter Pianomusik und Stubengesang bleiben. Da muss was kommen. Fast könnte man sagen, der Künstler hat genau so leise getreten, wie es auch Tucho stets ein Unbehagen war.
Vielleicht verliert man als Programmverantwortlicher das Gefühl, was man beim Publikum voraussetzen darf. Und man überlegt, ob man fordern, drücken, provozieren darf - oder lieber zurückhaltend den Fundus in Happen serviert.
Trotz der Enttäuschung waren wir nicht zum letzten mal in diesem Theater. Die jüdische Kultur, all die Werke der großen Meister die passen heute wieder so gut. Die muss man bringen. Und man darf dabei für meinen Geschmack genau so forsch, ironisch, feinsinnig sein, wie sie gemeint waren. Und man darf sie aus einer eigenen Haltung bringen und ihnen einen Stempel aufdrücken. Man schaue nur auf Max Raabe, das müsste eigentlich Ermutigung genug sein.