Heute feiern wir! Und dafür gibt es einen Grund. Ein Jubiläum quasi. Denn vor nunmehr 30 Jahren flog der Reaktor in Tschernobyl in die Luft und verseuchte ein Gebiet so groß wie Polen. Obwohl das ja eigentlich unmöglich war, weil die Wahrscheinlichkeit so verschwindend gering war (und nach Aussage der Atomkraftbefürworter noch immer ist), dass eine solch verheerende Havarie nur alle 10.000 Jahre - oder so - möglich ist.
Nun gut, dann haben wir also die nächsten zehntausend Jahre Ruhe? Brauchen wir keine Angst vor einem Atomdesaster mehr zu haben, weil wir das ja sowieso nicht erleben werden? Jedenfalls nicht persönlich, weil wir dann schon längst tot sind (und weil wir auf Grund des unter das Existenzminimums abgesenkten Rentenniveaus bereits deutlich vorher verhungert sein werden)? Das Problem mit der Wahrscheinlichkeit ist halt, dass nicht nur in zehntausend Jahren das nächste Atomkraftwerk in die Luft fliegen muss, sondern dass dies auch schon morgen (und woanders) passieren kann. Aber lassen wir uns davon nicht irre machen. Glauben wir einfach dem Geschwätz der Wissenschaftler, die die Kernenergie für eine sichere Sache halten, weil sie dafür bezahlt werden. Und sicher ist sie ja auch - todsicher.
Also feiern wir am 26. April das 30-jährige Jubiläum von Tschernobyl und den dreißigsten Geburtstag des atomaren Desasters. Sicher werden wir nicht allein sein. Ehrwürdige Wissenschaftler, mit stolz geschwellter Brust in blendend weißem Laborkittel feiern sicher mit und beteuern ein um´s andere Mal, dass man das so ja nie hatte voraus sehen können und dass letztlich alles nicht nur unmöglich, sonden außerdem eine äußerst unglückliche Verkettung unglücklicher Umstände gewesen sei, die noch dazu durch menschliches Versagen ausgelöst und aus dem wohl kalkulierten Ruder gelaufen war. Ganz genau so, wie zum Beispiel die unsinkbare Titanic, die eigentlich garnicht hätte sinken können, nein dürfen, wenn nicht menschliches Unvermögen dazu gekommen wäre. Aber das kann man ja mathematisch nicht ausreichend genau kalkulieren, weswegen man es erst garnicht versucht. Oder es doch zumindest so manipuliert, dass dieses Risiko vertretbar erscheint.
Wieviele Kinder wurden missgebildet geboren und starben unter Qualen nach einem mehr oder weniger kurzen und dennoch kaum erträglichen Leben als Zombies der nuklearen Apokalypse? Wie viele Menschen erkrankten in der Folge an Krebs und siechten dahin, bis sie jämmerlich verröchelten, ohne dass die Regierung jemals die Verantwortung dafür übernommen hätte und sich um die Heilung und wo das nicht (oder nicht mehr) möglich war, wenigstens um eine Linderung der Leiden und eine angemessene Versorgung der Opfer und Hinterbliebenen gekümmert hätte?
Nun ja, man hängte den mutigen Männern und Frauen, die mit lumpigen Blechschaufeln bewaffnet in die havarierten Reaktorblöcke geschickt wurden, um die hoch radioaktiven Abfälle, den Schutt und die Brennstäbe zusammen zu schaufeln mit Orden aus purem Blech und überließ sie anschließend der Strahlenkrankheit. Das Gebiet um den Reaktor wurde großflächig zur Sperrzone erklärt und im Nachhinein gesehen ist das ja ein wahres Glück gewesen. Jedenfalls für den bald im Ostblock eingezogenen Kapitalismus. Denn so kann man heute für satte 80 € pro Nase einen Tagesausflug in die Stadt am Prypjat machen, zum sich gruseln. Das schafft wenigstens ein paar Arbeitsplätze und der morbide Charme der Ruinen ist sicher eine passende Kulisse für jeden Zombiestreifen.
Was das Thema Wahrscheinlichkeit in Theorie und Praxis angeht, so können wir, um das ganze dumme Geschwätz der Energiekonzerne auf der ganzen Welt zu entlarven, noch kurz auf ein paar weitere mehr oder weniger große Havarien verweisen, die nach der Wahrscheinlichkeit auch noch nicht hätten passieren dürfen - und trotzdem eintraten...
- am 28.3.1979 kam es im Atomkraftwerk Three-Miles-Island bei Harrisburg in Pennsylvania/USA zu einer partiellen Kernschmelze. Die Katastrophe wurde mit INES 5 eingestuft (INES von International Nuclear and Radiological Event Scale). Es gibt 7 INES-Stufen, wobei INES 7 die höchste Stufe ist, mit der katastrophale Unfälle in atomaren Anlagen eingeschätzt werden. Ursache war menschliches Versagen!
- am 26.4.1986 ereignete sich im Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl in der Ukraine/UdSSR ein katastrophaler Unfall (oder ein Super-GAU), der nach INES 7, also der höchsten Stufe eingestuft wurde - mit den oben geschilderten katastrophalen Auswirkungen. Aber das war noch nicht alles. Bereits im Jahr 1982 hatte es eine Havarie der Stufe INES 5 gegeben. Hier, wie auch bei dem genannten Super-GAU, waren neben technischen und konstruktiven Mängeln in erster Linie menschliches Versagen die Ursachen!
- am 11. März 2011 kam es im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi in Japan infolge eines Seebebens mit anschließendem Tsunami zu einer katastrophalen Havarie der gesamten Atomanlage wegen Stromausfalls. Das Unglück wurde zunächst in INES 5 eingestuft, musste später aber auf INES 7 angehoben werden.
- Todeszone um Tschernobyl "In einem Augenblick kollabierte unser ganzes Leben" Artikel auf spiegel.de vom 25.4.2016)