Für weitere Verzögerungen sorgte Truji, ein kleines Kätzchen, das ich etwa eine Woche zuvor adoptiert hatte. Jesse und Sammie, zwei Velofahrer-Teenies, hatten sie auf der Strasse aufgelesen, ganz alleine und halb verhungert. Und da ich bekanntlicherweise einem kleinen Büsi (etwa vier Wochen alt) nicht widerstehen konnte, musste ich jetzt eine Möglichkeit finden, die Katze auf dem Velo zu transportieren. Ich hatte einen kleinen Rucksack gekauft und sie darin schon ein paar Mal herumgetragen, was recht gut geklappt hatte. Jetzt auf dem Velo schien ihr das aber nicht mehr sehr zu gefallen und sie kletterte immer wieder heraus. Die einzige Lösung war, die Öffnung so zuzuschnüren, dass das Kätzchen nicht mehr durchpasste. Zu Beginn sorgte das jweils für protestierendes Miauen, dann schlief sie aber immer ein.
In der ersten Nacht schlief Truji noch in meinem Helm.
Mit Luchos Hilfe war es dann natürlich ein Leichtes, den richtigen Weg aus Trujillo herauszufinden. Die ersten paar Dutzend Kilometer waren flach und wir kamen gut voran. Auch auf diesem Weg gab es einen Abschnitt, der anscheinend gefährlich ist und wo wir schnell und in der Strassenmitte durchfuhren. Links und rechts erstreckten sich Zuckerrohrfelder, in denen sich mögliche Angreifer bestens verstecken könnten. Wir hatten aber keine Probleme, niemand versuchte irgendetwas zu rauben. Wir assen in einem Restaurant zu Mittag, was vor allem meine kleine Jammerkatze freute. Ich fand das Huhn zwar ungeniessbar, weil eher ein zäher Kampfhahn, Truji war jedoch im siebten Himmel.
Truji während einer Pause.
Nach der Mittagspause begann die Strasse anzusteigen, erst nur ganz leicht, mit der Zeit aber immer steiler. Lucho, der über ziemlich viel überschüssige Energie zu verfügen schien, schob Martina und mich abwechselnd den Hang hinauf. So ging das zwar schneller, war aber auch viel anstrengender, da wir viel schneller strampeln mussten. Entsprechend geplättet waren wir beide, als wir gegen 18 Uhr in der kleinen Ortschaft Platanar ankamen. Entgegen Luchos Annahme gab es dort aber keine Unterkünfte, also mussten wir zelten. Ein netter Herr erlaubte uns, das Zelt vor seinem Haus aufzustellen, hinter einer Mauer, schön geschützt. Dummerweise hatte Lucho aber weder Matte noch Schlafsack dabei. Also taten wir unser Bestes, ihm eine gewisse Isolation mit Taschen und Jacken zu basteln. Zum Glück war es dort auch nicht kalt.
Unglücklicherweise befand sich unser "Camp" unmittelbar neben der Strasse, auf der die ganze Nacht lang Busse und Lastwagen durchdonnerten. Nicht, dass sie schnell fuhren, da gab es nähmlich eine steile, fiese Schwelle, die solches verhinderte. Das Anfahren nach dem Fast-Stopp machte aber umso mehr Lärm. Um sechs Uhr standen wir darum nicht extrem gut erholt auf und packten unsere Sachen. Uns erwartete ein weiterer Tag mit einer harten Steigung und wir wussten, dass wir bis zum Abend nicht zuoberst sein würden. Bis zum Mittag war es trocken, bald darauf begann es jedoch zu regnen. Lucho, der eigentlich vorgehabt hatte, bis etwa 14 Uhr mit uns mitzukommen, entschied sich, schon früher umzukehren, da er auch keine Regenjacke dabei hatte.
Martina und ich fuhren weiter durch den immer stärker werdenden Regen. Die Strasse war hier noch asphaltiert, so war das Ganze eigentlich nicht weiter tragisch. Trotzdem waren wir froh, als wir die Abzweigung nach Otuzco erreicht hatten und in Richtung der Stadt abbogen. Kurze Zeit später hatten wir Otuzco erreicht und fanden ein günstiges Hostal, wo auch mein Kätzchen rein durfte. Diese Nacht wurde bedeutend angenehmer als die letzte.
Am Morgen darauf hatte sich das Wetter gebessert und wir fetzten zur Abzweigung zurück. Ab jetzt ging's auf Kies, Sand und Steinen weiter. Der Boden war natürlich noch feucht und etwas klebrig, dafür wirbelte noch niemand Staub auf. Wie wir ja gewusst hatten, wartete erst einmal die Fortsetzung der Steigung auf uns. Die Landschaft war relativ ähnlich wie weiter im Süden, ausser dass es etwas grüner war. Und da inzwischen die Sonne schien wurde uns mit der Zeit ganz schön warm. Irgendwann hatten wir die Passhöhe aber erreicht, genossen die folgende Bajada, nur um gleich den nächsten Hügel hochzukriechen.
Während der Mittagspause liess ich Truji natürlich aus der Tasche raus. Das Büsi schien kein Gras zu kennen und war entsprechend vorsichtig aber auch neugierig. Aber klar, wie immer war das wichtigste, Futter zu bekommen, die Gegend auszukundschaften, war zweitrangig. Interssanterweise hatte die Kleine zwar Dauerhunger, war dabei aber ziemlich wählerisch. Huhn war das Beste, Dosenfisch auch super, Katzenfutter dagegen fand sie nahezu ungeniessbar.
Gras ist suspekt, besser auf dem Rucksäckli bleiben.
Dann hiess es wieder ab in den Rucksack und weiter den Berg hoch. Viel Umwerfendes passierte an jenem Nachmittag nicht mehr. Die Steigung war nicht weiter krass, die Strasse auch nicht schlecht. Gegen 16 Uhr kamen wir auf einer Art Plateau an und sahen die drohend grauen Wolken genau dort, wo wir hinwollten. Dazu blies ein unangenehm kalter Wind. Da es dort auch einen schönen, flachen Fussballplatz gab, fragten wir bei einem Restaurant, ob wir dort campen dürften und kamen dabei sogar ein Zimmer angeboten. Das war perfekt, zwar nichts luxuriöses, sehr harte Betten, aber geräumig, trocken und sogar mit Licht.
Als wir am folgenden Morgen bei Sonnenschein losfuhren, ahnten wir noch nicht, wie hart der Tag werden sollte. Erst führte die Strasse mit nur leichtem Auf und Ab über die erwähnte Ebene, dann kam sogar eine Bajada in ein Tal hinab. Die Strasse war jedoch noch nass vom Regen in der Nacht und das Vorwärtskommen war jetzt schon zäh und es fühlte sich an, als hänge jemand hinten am Rad. Nach einer kurzen Subida erreichten wir ein Dorf, wo wir Brot kauften, dann ging's nochmal kurz bergab und dann begann der Ernst des Tages. Die Strasse, die auf den nächsten Hügel führte, war zwar asphaltiert, dafür begann es bald stark zu regnen, oben herrschte totale Weltuntergangsstimmung, der Himmel war schwarz und ab und zu donnerte es. Um den Spass zu perfektionieren, hagelte es auch noch und war saukalt. Kurz darauf sah die Sache wieder besser aus, es hörte auf zu regnen und es brachen sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken.
Es folgte ein leichtes Auf und Ab, wir sahen einen Haufen Llamas, dann wurde das Licht wieder ausgeknipst, alles war dunkel und der Himmel öffnete die Schleusen von Neuem. Wir fetzten wieder in ein Tal hinunter, was wir trotzt Regen eigentlich hätten geniessen sollen. Ging aber nicht, da wir schon wieder die nächste Subida vor Augen hatten. Nicht schon wieder, die Leute hatten doch gesagt, nach diesem Hügel sei es platt. Ja, aber wir sind hier eben in Peru und Aussagen von Autofahrern ist eh nicht zu trauen. Dort unten wurde aus einer holprigen Asphaltstrasse abschnittweise eine beschissene, klebrige Sandstrasse, die uns fast verzweifeln liess.
Als der Regen einmal kurz nachliess, machten wir Pause und assen eilig ein Brötchen. Zwei Arbeiter einer nahen Mine hielten für ein Schwatz an und wir erfuhren, dass der Hügel vor uns 4'200 m hoch sei. An sich kein Problem, so hoch waren wir ja schon oft gewesen, aber das erklärte natürlich die Kälte. Als wir weiterstrampelten, regnete es schon wieder. Wäre ja auch langweilig sonst. Vom Pass ging es dann in einer langen Abfahrt in ein Tal hinunter und wir hofften, bald in Huamachuco, der nächsten Stadt anzukommen. Die letzten ca. 10 km zogen sich jedoch extrem in die Länge und der Regen, der zwischendurch mal nachgelassen hatte, verstärkte sich auch wieder. Als wir den Ort erreicht hatten, waren wir nicht mehr wählerisch, was die Unterkunft betraff. Normalerweise schauen wir immer einige an, die erste hier war einigermassen akzeptabel, also los rein. Leider wurde nichts aus der versprochenen warmen Dusche, da zeitweise das Wasser abgestellt war.
Brigitte, Du bist im Fall nicht die Einzige, die Velofahren im Regen nicht so toll findet, auch wir hatten an diesem Tag sehr oft einen Totalanschiss:-)
Am nächsten Morgen regnete es immer noch (oder schon wieder?) Entsprechend motiviert fuhren wir los. Immerhin, der Tag begann mit einer Bajada und der Regen hörte bald einmal auf. Bei der Lagune Sausacocha zogen wir das Regenzeug auch schon wieder aus und genossen Sonnenschein und flache Streckenführung. Aber wir waren immer noch in Peru und die nächste Steigung liess nicht lange auf sich warten. Auch die Strasse dort war unterhaltsam und mit grossem, losen Kies bestreut, auf dem ich hin und her driftete und kaum vorwärtskam. Hechel, winsel, wie haben wir uns das bloss verdient? Aber wie Michela, die Italienerin in der Casa in Trujillo sagte, selbst wenn es uns noch so mies geht, sollen wir immer daran denken, wie cool das ist, was wir hier machen und dass wir uns das selber ausgewählt haben... Jaja, stimmt schon, ist absolut supercool, sowas. Welcher Depp hatte denn die Idee, fast im Regen abzusaufen oder mit dem Velo in Kies und Sand steckenbleiben zu wollen???
Aussicht von einem der vielen Hügel vor Cajabamba.
Aber jede Subida hat ein Ende, auch jene hier. Die darauffolgende Bajada war belagmässig besser, das Kies war etwas kleiner und fester und es schien immer noch die Sonne. Unten im Tal machten wir Mittagspause und griffen dann die nächste Steigung an. So langsam wurde es schwierig, all die Hügel in der richtigen Reihenfolge in Erinnerung zu behalten, schlussendlich ging es einfach ununterbrochen auf und ab und nochmals auf und ab. Die letzte Abfahrt an jenem Tag brachte uns aber definitiv nach Cajabamba, wo wir schon gegen 14 Uhr auf der Platza standen. Die anschliessende "Bettsuche" verlief äusserst erfolgreich und wir fanden mit dem Hostal "Sol Naciente" eine Superunterkunft zu einem guten Preis. Das Zimmer war gross, das Bett bequem und die Dusche wirklich ein absoluter Traum!!
Von Cajabamba nach Cajamarca waren es noch rund 123 km, gemäss Angaben auf der Karte. Was uns die Karte nicht sagt, ist wieviele Höhenmeter zu bewältigen sind. Wir sagten uns also, dass zwischen zwei und vier Tagen alles möglich war. Natürlich ging es auch nach Cajabamba weiter mit dem auf und ab, oder eher mit dem ab und auf. Die gut 15 km lange Bajada war jedenfalls genial und endete in einem grünen, schon fast tropischen Tal. Dort schien man keine Brücken zu kennen und so mussten wir an einem kleinen Fluss die Schuhe ausziehen und die Velos durchs Wasser schieben. Zum Glück hatten wir nicht versucht, einfach hindurch zu fahren, da gab es nämlich ein paar grosse Steine, die das bestimmt verhindert hätten.
Flussdurchquerung.
Während unserer ersten Znüni-Pause kamen wir etwas in Kontakt mit einem kleinen Mädchen, das mit seiner Mutter dort unterwegs war. Und da mir schon länger klar war, dass diese Reise per Velo auf die Dauer nichts für mein Kätzchen war, schenkte ich Truji kurz entschlossen dem Mädchen. Das war zwar hart, ich hätte mein armes, kleines Büsi gerne weiter mitgenommen, aber die kleine Katze war in den letzten zwei Wochen reifer geworden und wollte je länger je mehr ihre Umgebung erkunden und nicht mehr stundenlang in einem Beutel am Lenker hängend schlafen. Hoffentlich habe ich ihr ein gutes Zuhause gefunden!
In diesem grünen Tal wohnt jetzt auch Truji.
Nach ein paar weiteren eher flachen Kilometern folgte die Steigung Nr. 2 des Tages. Und das im prallen Sonnenschein. Autsch, das war ganz schön heiss. So heiss, dass wir uns schliesslich entschieden, mit kurzen Hosen zu fahren. Bisher haben wir das vermieden, die Männer sind so schon mühsam genug. Nach zwei Stunden hatten wir die "Passhöhe" erreicht und machten Mittagspause. Seit Huaraz hat sich unser Menu etwas geändert. Wir klemmten nicht mehr Avocado und Tomate, sondern Käse und Tomate ins Brot. Und in Cajabamba gab es sogar "Queso Tipo Suizo", Käse nach Schweizer Art. Naja, alles ist relativ, aber schlecht war dieser Käse wirklich nicht.
Queso Tipo Suizo.
Nach einer weiteren sensationellen Abfahrt hatten wir am frühen Nachmittag San Marcos erreicht und entschlossen uns, wegen drohenden Wolken dort zu übernachten. Wenn möglich wollten wir nicht mehr so total verpisst werden wie vor Huanchaco. Die Entscheidung war schlau, der Regen kam am Abend mit der üblichen Wucht.
Am nächsten Morgen sah der Himmel immer noch trüb aus und als wir losfuhren, nieselte es leicht. Trotzdem zogen wir bald die Regenjacken aus, es war nämlich trotzt allem warm und wir mussten schliesslich wieder einen Hügel rauf. Je weiter nach oben wir kamen, desto dichter wurde der Nebel. Schade um die Aussicht, aber die Temperatur war perfekt. Seit Cajabamba war die Strasse wieder schön asphaltiert und so wurden wir weder mit Dreck verspritzt noch eingestaubt. Am Strassenrand blühten sogar Kakteen. Was will man mehr?
Ein Farbtupfer in der grauen, vernebelten Landschaft.
Einmal mehr folgte eine Bajada auf eine Subida, und was für eine. Das war wieder der absolute Hammer. Und wer glaubt's denn, der zweite Hügel des Tages war sogar noch harmloser als der erste. Wieder gab es oben eine Mittagspause und wir freuten uns schon, am selben Tag noch Cajamarca zu erreichen. Was dann ja auch geklappt hat. Aber... ganz so einfach sollte es nicht werden. Es begann nämlich recht plötzlich wieder in Strömen zu schiffen und da wir noch am Essen waren, zogen wir nicht gleich das Regenzeug an, sondern verzogen uns unter ein paar Bäume. Sowas von dämlich. So waren wir schliesslich schon ziemlich nass, bis wir uns bequemten, Regenjacken und -hosen zu montieren.
Von den letzten etwa 20 km bis Cajamarca waren fast die Hälfte wieder eine Bajada, und wieder eine sehenswerte. Diese Strecke könnte ich gleich nochmals zurück fahren (d.h. bis Cajabamba), die Abfahrten dort sind einfach weltklasse. Eher unangenehm war zwar der Regen, der uns fies ins Gesicht peitschte, aber immerhin war's kein Hagel. Wir mussten nochmals über ein kleines Hügeli, dann hatten wir die bügelbrett flache Ebene vor uns. Hier hatte Martina ein kleines technisches Problem, die Schrauben ihrer Scheibenbremsen hatten sich gelöst. Mann, Lucho, da bist Du ein super Velomech, aber ziehst die Schrauben nicht richtig an! Aber Martina ist werkzeugmässig gut ausgerüstet und konnte das Problem beheben.
Wir schafften es tatsächlich bis 14 Uhr ins Zentrum der Stadt und machten uns guten Mutes auf die Suche nach einer Unterkunft für die nächsten paar Tage. Schon bald stellten wir jedoch fest, dass Cajamarca diesbezüglich ein teures Pflaster ist. Wir besichtigten über ein halbes Dutzend Hostales, die aber entweder zu teuer oder zu schmudelig oder beides waren. Nach etwa zweieinhalb Stunden, inzwischen müde und frierend, entschieden wir uns für ein Hostal, wo wir ein so kleines Zimmer bekamen, dass wir uns darin kaum mehr drehen konnten, als wir alles Gepäck verstaut hatten. Und die Sache mit der heissen Dusche war auch hier eher Utopie als Wirklichkeit. Gestern Morgen konnten wir immerhin das Zimmer wechseln, jetzt haben wir etwas mehr Platz.
Heute haben wir einen Ausflug ins nahe Dorf Baños del Inca unternommen und dort ein Bad in den Thermalquellen genossen. Mann, tat das gut.Vorhin auf der Plaza zurück in Cajamarca fühlten wir uns hingegen einmal mehr als Attraktion für die Einheimischen. Eine halbe Schulklasse auf Exkursion wollte Fotos mit uns. Dabei haben wir gar nichts spezielles gemacht als dort gesessen und Brot gegessen. Da soll einer mal die Peruaner verstehen.
PS: ¡Liebe Grüsse an das Bonstetter Kerzenziehen-Team! ¿Gibt es dieses Jahr wieder irgend eine Neuigkeit?