Trojaner ohne Pferd

Trojaner ohne PferdBERLIN.(hpd) Stellen Sie sich vor, irgend­wer bricht in ihre Wohnung ein, liest sich in aller Seelenruhe ihre Post durch, schaut sich ihre Fotos an, schaut nach, was auf ihrem Konto los ist. Und weil er meint, das wäre unin­ter­es­sant, schreibt er mit Ihren Computer einen Brief, spei­chert den und geht zu Polizei. Nicht, um sich selbst anzu­zei­gen son­dern wegen des Briefinhalts. Undenkbar?

Diese leicht absurde Szenario könnte sich auf Ihrem Rechner bereits abge­spielt haben. Denn der sog. “Staatstrojaner” tut genau dies – oder: könnte es tun.

Für viele von uns – und da Sie die­sen Artikel lesen, gehö­ren Sie dazu – ist die Benutzung eines Computers Normalität gewor­den. Wir spei­chern Texte, Bilder; buchen online Flüge, kau­fen Schuhe. Wir schauen uns Webseiten an. Wir arbei­ten damit und wir spie­len. Und wir ach­ten meist dar­auf, dass nicht jeder alles sieht und lesen kann. Spätestens dann, wenn der Browser im geschütz­ten Modus läuft.

Und wir ahnen nicht ein­mal, dass uns in der gesam­ten Zeit jemand über die Schulter schaut; jeden Tastaturanschlag, jede Monitordarstellung, unse­ren Kontostand und die Passworte… eben alles mit anschaut. Denn der “Staatstrojaner” ist ein Einbrecher. Der auch in der Lage ist, Dokumente auf ihrem Rechner zu ändern, zu spei­chern oder zu löschen.

Irgendwann muss jemand, der sich das Recht anmaßte, einen Zugriff auf den Rechner gehabt haben. Dazu kann er (muss er sogar, wenn es kein Laptop ist, das Sie selbst her­um­tru­gen) sogar durch Ihre ver­schlos­sene Tür spa­zie­ren. Und eine klit­ze­kleine Installation machen: eben jenen Trojaner. Da der nach­weis­lich in der Lage ist, neue Programmteile nach zu instal­lie­ren, braucht es nur ein Rumpfprogramm, wenige Byte groß.

Es ist inzwi­schen hin­läng­lich bekannt, dass es dem Chaos Computer Club (CCC) zu ver­dan­ken ist, über die­sen unge­heu­er­li­chen Verstoß gegen das Grundgesetz und gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf­ge­klärt zu haben.

Während sich am letz­ten Mittwoch einige Politiker der Lächerlichkeit preis­ga­ben, hat sich zum Beispiel auch die Humanistische Union der Klage gegen “den baye­ri­schen Innenminister Joachim Herrmann, den Präsidenten des baye­ri­schen Landeskriminalamts sowie gegen ‘wei­tere betei­ligte Personen’” ange­schlos­sen. Diese Klage wurde von der Piratenpartei initi­iert.

Deshalb traf ich mich mit dem Piraten und CCC-Mitglied Martin Haase (Maha) zu einem Interview.

Zugegeben: ich habe keine mei­ner zuvor auf­ge­schrie­be­nen Fragen gestellt und mir kaum etwas notiert. Aber es war eine erfri­schende Unterhaltung. Fragen wollte ich, was genau denn die­sen Trojaner aus­zeich­net, dass er von der Internetcommunity als der­ma­ßen gefähr­lich ange­se­hen wird. Wie immer wollte ich dabei auf mein gern benutz­tes Beispiel mit dem Briefgeheimnis kom­men: Niemand darf – es sei denn, ein Richter bestimmt etwas ande­res – Briefe öffnen, die ich ver­schi­cke oder emp­fange. “Hier” so Martin “wer­den dein Bücherregal, deine Fotomappe, deine Briefe und die Kontoauszüge durch schnüf­felt.”

“Das Schlimmste daran ist, dass die Herren, die sich im Bundestag ver­tei­dig­ten, abso­lut keine Ahnung davon haben, wor­über sie reden. Man denkt ja immer: ‘Gut, so ein Minister oder Staatssekretär muss nicht alles wis­sen. Dazu hat er ja seine Leute.’ Aber es scheint, dass es auch die in den Ministerien nicht ein­mal mehr gibt.”

Wenn das nicht so erschre­ckend trau­rig wäre, wäre es wit­zig: Ein Innenminister, der sich täg­lich in der Sache selbst wider­spricht, der zur ent­schei­den­den Anhörung im Bundestag dann nicht ein­mal erscheint (wie im Übri­gen auch die über­wie­gende Mehrheit der Bundestagsabgeordneten es für unnö­tig zu hal­ten schei­nen, sich um die Einhaltung der Grundrechte zu küm­mern). Politiker, die sich um Kopf und Kragen reden, weil sie etwas erklä­ren wol­len, von dem sie nicht einen Schimmer Ahnung haben. Die öffent­lich erklä­ren, dass sie eine “andere Rechtsauffassung haben als das Bundesverfassungsgericht” und daher tun und las­sen, was ihnen unter dem Deckmantel der “Terrorabwehr” ein­fällt: Nämlich Zigarettenschmuggler und Onlineapotheker aus­zu­spio­nie­ren.

Es erstaunt mich nicht, dass der Stern ziem­lich deut­lich den Rücktritt des Innenministers for­dert, der sich vor sei­ner Verantwortung drückt.

Es war “die gesam­melte Inkompetenz” (Maha), die da am Mittwoch in der aktu­el­len Stunde im Bundestag Rede und Antwort zu ste­hen nicht in der Lage war. Ich kann nicht anders, ich muss ein­fach die letz­ten Zeile der Rede des BKA-Chefs zitie­ren: “Glauben Sie mir, meine Mitarbeiter ver­ste­hen das nicht!” Nicht nur die, Herr Ziercke, nicht nur die…

Mit Maha habe ich dann noch eine ganze Weile über die Piratenpartei gespro­chen. In den letz­ten Tagen gab es aktu­elle Forsa-Zahlen, die die Piraten bun­des­weit bei 10% sehen. In Berlin sind sie bereits in das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen ein­ge­zo­gen. Ich habe ihn gefragt, ob er meint, dass sich die­ser Trend fort­set­zen wird oder – wenn der Hype vor­über ist – diese Zahlen wie­der in den ein­stel­li­gen Bereich fal­len wer­den. “Nein, ich habe Straßenwahlkampf gemacht und dabei mit­be­kom­men, dass die Menschen an unse­ren Themen inter­es­siert sind. Wir sind nicht die ‘Ein-Thema-Partei’ als die wir oft dar­ge­stellt wer­den.” Angesprochen auf die im Parteiprogramm ent­hal­tene Forderung nach der Trennung von Staat und Kirche sagte er, dass es erstaun­li­cher­weise auch gerade die­ses Thema war, das die Menschen inter­es­siere. “Allerdings” schränkte er ein, “ist das wohl eher nur für Berlin typisch.” Andererseits gibt es genü­gend andere Sachthemen, so dass “mit uns dau­er­haft zu rech­nen ist”.

Die Piratenpartei wächst in einer Geschwindigkeit, die atem­be­rau­bend ist; in Berlin gibt es der­zeit um die 1.200 Mitglieder. Und es besteht die Möglichkeit, bei der nächs­ten Bundestagswahl auch dort Sitze zu gewin­nen. Beim Abschied sagte Maha dann noch: “Vielleicht lasse ich mich als Kandidat für die Wahl auf­stel­len.”

Ich denke, dann wären die kri­ti­schen Fragen am ver­gan­ge­nen Mittwoch noch kri­ti­scher gewe­sen. Allerdings ver­mute ich eher, dass eine Idee wie die eines “Staatstrojaners” dann nur noch eine Erinnerung sein wer­den an eine Zeit, da der Abgeordnete Uhl (CSU) vor dem Bundestag sagte: “Das Land wird von Sicherheitsbehörden gelei­tet…”

Nic

[Erstveröffentlicht beim hpd]


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