Trifft (in hohem Mass teilweise nicht) zu

Von Beautifulvenditti

Jetzt muss ich doch noch einmal auf dieses unsägliche Laufbahnreglement zurückkommen, denn die Sache will mir einfach nicht aus dem Kopf. Mit diesem Laufbahnreglement will die Schule ja nicht nur die Leistungen der Schüler bewerten, man möchte auch das „Arbeits-, Lern und Sozialverhalten“ möglichst umfassend beurteilen. Da stellt sich die Lehrkraft unter dem Punkt „Gestaltet Arbeiten sorgfältig und zuverlässig“ zum Beispiel die Frage, ob sich das Kind um eine „exakte und ansprechende Darstellung bemüht“. Unter dem Punkt „Begegnet den Lehrpersonen respektvoll“ wird analysiert, ob das Kind mit Kritik umgehen kann, ob es anständig ist und „sich zu benehmen weiss“. Es gibt einen ganzen Katalog an weiteren Kriterien, welche bewertet werden sollen.

Aber wie bewertet man denn? Ähnlich wie in einer Marktforschungs-Umfrage, wie mir scheint. Die Lehrkraft kann nämlich ankreuzen: „Trifft in hohem Mass zu“, „Trifft zu“, „Trifft teilweise zu“ und „Trifft nicht zu“. Soweit so einfach. Was mich an der Sache aber beunruhigt ist, dass die Spalte „Trifft zu“ gelb unterlegt ist, denn, so hat es die Schulleitung erklärt, man wünscht sich, dass sich alle Kinder in möglichst allen Punkten in dieser Spalte befinden. Nun kann ich ja ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass man nicht gerade erfreut ist darüber, wenn ein Schüler in allen Bereichen ein „Trifft nicht zu“ erreicht. Ist ja nicht gerade angenehm, einen Querschläger in der Klasse zu haben, der weder mit Mitschülern noch Lehrern klarkommt und der jeden Tag die Hausaufgaben vergisst.

Was aber ist so schlimm daran, wenn man mal sagen muss, dass eine Sache nur teilweise zutrifft? Ich meine, würde man mein Arbeits- und Sozialverhalten genauer unter die Lupe nehmen, man würde wohl öfters mal ein „Trifft teilweise zu“ ankreuzen. Hätte man zum Beispiel gestern beurteilen müssen, ob ich mich „durch Erwartungen / Anforderungen unter Druck setzen lasse“, man wäre ganz klar zum Schluss gekommen, dass dies sehr wohl zutrifft. Vor allem, wenn ich nachts um eins noch immer verbissen und den Tränen nahe an dieser Broschüre arbeite, die doch endlich in Druck gehen sollte. Würde man an einem ganz gewöhnlichen Tag untersuchen, ob ich anständig bin und mich zu benehmen weiss, man könnte bestätigen, dass dies durchaus zutrifft. Aber glaubt mir, das Urteil würde ganz anders ausfallen, wenn man mich zufällig an einem Hausfrauenfrusttag kombiniert mit quengeligen Kindern und PMS erlebte. An solchen Tagen ist ein „Trifft teilweise zu“ eine Glanzleistung, die nicht zu verachten ist. Unter Erwachsenen akzeptiert man, dass es im Leben gute und schlechte Tage gibt und solange einer nicht komplett ausfällig wird, drückt man schon mal ein Auge zu, auch wenn der Tonfall etwas gehässiger als gewöhnlich war. Warum aber erwartet man von den Kindern eine Ausgeglichenheit, die wir selber nicht hinkriegen? Haben die Kinder kein Recht auf „Trifft teilweise zu“-Tage? Oder gar auf „Trifft nicht zu“-Tage?

Ja, dann wäre da natürlich noch die Spalte „Trifft in hohem Mass zu“. Auch die ist offenbar unerwünscht. Zumindest verstehe ich das so, denn wäre sie erwünscht, wäre sie bestimmt auch gelb eingefärbt. Wenn ich ganz nett und gnädig gestimmt bin, erkläre ich mir dies damit, dass man Kinder und Eltern nicht zu sehr unter Druck setzen will. Vermutlich will man uns sagen, dass gut schon ausreichend ist und dass es nicht nötig ist, sich abzukämpfen, um es auf Stufe „sehr gut“ zu bringen. Wenn ich weniger gnädig gestimmt bin – und das kann durchaus vorkommen, wenn man mir beim Schulbesuch sagt, der FeuerwehrRitterRömerPirat hätte zwar eine geniale Zeichnung gemacht, hätte dafür aber viel zu viel Zeit gebraucht -, dann sehe ich darin eine andere Aussage: „Du darfst gut sein, ja, du musst sogar. Aber bitte sei nicht zu gut, denn damit bringst du unser Programm durcheinander und das ist anstrengend.“

Wenn ich meine Kinder so anschaue, an all die unzähligen Hochs und Tiefs unseres Zusammenlebens denke, mir überlege, mit welchen Stärken sie brillieren und mit welchen Schwächen sie an ihre Grenzen stossen, dann wird mir klar, dass sie keine „Trifft zu“-Kinder sind. Das Spektrum reicht von „Trifft in hohem Masse zu“ bis zu „trifft überhaupt nicht zu“ und zwar bei jedem Kind, an jedem Tag. Natürlich, so, wie ich sie kenne, werden sie sich ernsthaft darum bemühen, ins „Trifft zu“-Schema zu passen, sie nehmen die Schule ja ernst und das ist soweit okay. In meiner Erfahrung ist es aber so, dass sie vor lauter Anstrengung, in der Schule in die gelbe Spalte zu passen, zu Hause so ausgelaugt sind, dass sie in den Bereichen „Kann sich mühelos entspannen und fröhlich sein“ nur noch ein „Trifft teilweise zu“ erreichen würden. Und an ganz anstrengenden Schultagen müsste ich beim Bereich „Geniesst das Zusammenleben mit Eltern und Geschwistern und trägt zu einem friedlichen, hilfsbereiten Familienklima bei“ ein „Trifft nicht zu“ eintragen.

Ich schreibe „würde“ und „müsste“, weil wir bei uns in der Familie davon absehen eine „Verbindliche Regelung zur Beurteilung des Arbeits-, Lern- und Sozialverhaltens“ zu erarbeiten. Ziemlich unprofessoinell, ich weiss, aber deutlich lebensnaher, wenn ihr mich fragt.