Von Markus Weber
Einige Indizien weisen darauf hin, dass die Bundesregierung bei der Ermittlung der neuen Hartz-IV-Regelsätze getrickst hat, um auf eine von vornherein feststehende Summe (für alleinstehende Erwachsene 364 Euro) zu kommen. Die Vorwürfe besagen im Kern, dass es sich dabei viel mehr um eine politisch gewollte statt einer objektiv ermittelten Größe handelt und die Regelsätze künstlich heruntergerechnet wurden, um die Ausgaben so gering zu halten. Träfe das zu, hätte die Bundesregierung grob die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes missachtet und ihnen sogar gezielt zuwidergehandelt. Eine Sammlung der bisher bekanntgewordenen Indizien, die diesen Verdacht erwecken können:
1. Bereits am 27. Oktober 2008 war in einem Bericht der Bundesregierung für 2010 ein Existenzminimum von eben genau 364 Euro vorgesehen. Wirklich nur ”ein reiner Zufall, ein Kuriosum”, wie die Regierung sagt? Und ist es ebenso ein “Zufall”, dass die Erhöhung erstaunlich genau in dem von Regierungspolitikern vorher geforderten Rahmen blieb?
2. Die Rohdaten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008, auf deren Grundlage die Berechnung des Existenzminimums erfolgte, werden von der unter Verschluss gehalten und nicht einmal dem Bundestag zugänglich gemacht. Handelt man so, wenn man nichts zu verbergen hat?
3. Probleme und Verdachtsmomente treten auch schon bei der Berechnungsgrundlage auf: Bei der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe wurden nicht, wie bei vorherigen Berechnungen, die ärmsten 20% bei den Einpersonenhaushalten, sondern diesmal die ärmsten 15% zugrunde gelegt (was einem Einkommen vom 901 statt 990 Euro entspricht). Außerdem werden verdeckt arme Familien herausgerechnet, Personen, die neben einer Arbeit Hartz IV beziehen, jeodoch ohne jeden ersichtlichen Grund hereingerechnet. Es werden also Transferbezieher hinzugezogen, obwohl dies natürlich zu statistischen Zirkelschlüssen führt und überhaupt nicht im Sinn der Sache ist. All dies führt jeweils zu niedrigeren Beträgen als in einer nachvollziehbareren Berechnung.
4. Die Datensätze für die Ermittlung sind zu klein, um statistisch als valide gelten zu können. Es gibt also deutlich zu wenige Stichproben: Für 14- bis 18-Jährige beispielsweise basiert die Berechnung auf den Daten von insgesamt nur 168 Haushalten.
5. Die Stichprobe wurde außerdem nur für drei Monate erhoben, kann also deutlich verzerrt sein. Und – Ausgaben für Posten von weniger als 25 Haushalten tauchen im Gesetzentwurf gar nicht erst auf. Man muss also mit möglicherweise erheblichen Abweichungen und Zufälligkeiten rechnen. Bei den Ausgaben für Jugendliche etwa sind 75 von 82 Einzelposten statistisch höchst unsicher.
6. Auch bei der jetzigen Festlegung wurde der Bedarf von Kindern erneut nicht anhand des individuellen Kinderbedarfs ermittelt, sondern anhand willkürlicher Festlegungen von den Ausgaben Erwachsener anteilig abgeleitet (denn die EVS 2008 ermöglicht diese Trennung nicht, da die Ausgaben nicht altersspezifisch erfasst wurden). Das aber war der Punkt, den das BVerfG wohl am deulichsten kritisiert und explizit für grundgesetzwidrig hatte.
7. Anscheinend willkürlich wurden aus den Verbrauchsdaten bestimmte Posten hinausgenommen: die Ausgaben für Alkohol und Tabak, aber auch zum Beispiel die für Haustierfutter, Ausgaben für den Garten, Blumen, Handy, chemische Reinigung, Benzin, Camping, Reisen, Schmuck, Besuche von Restaurants, Gaststätten oder Kantinen zählen künftig nicht mehr zum Existenzminimum. Manche Kategorien wurden nun weniger hinzugerechnet als 2003, andere wieder mehr, alles völlig intransparent und unverständlich. Insgesamt ergibt sich durch alle Streichungen eine Regelsatzkürzung von 28,99 Euro. Und noch weitere Tricks kommen hinzu: So wurden etwa Nachhilfeausgaben nur noch bei gefährdeter Versetzung hinzugerechnet. All dies ist weder irgendwie transparent noch nachvollziehbar. Vielmehr ist der Eindruck kaum von der Hand zu weisen, dass panisch irgendwelche Posten gesucht wurden, die man kürzen konnte, um auf eine von Anfang an feststehende, fiskalpolitisch vorgegebene Summe zu kommen
8. Innerhalb der Berechnungen selbst gab es Unregelmäßigkeiten, Rechenfehler und ” ärgerliche Zahlenpannen”. Seriöse und kompetente Arbeit sieht anders aus. Können wir sicher sein, dass, falls die komplette Berechnung tatsächlich mal veröffentlicht werden sollte, nicht noch mehr Ungereimtheiten zu Tage treten?
9. Bei Maybritt Illner gab Arbeitsministerin Zensursula von der Leyen zu, dass bei der Festlegung des Hartz-IV-Regelsatzes auch das Lohnabstandsgebot miteinbezogen wurde. Derartige Äußerungen gab es zuvor schon von anderen Mitgliedern der Koalitionsparteien. Dies wäre ein eindeutiger Verstoß gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes , das dies ausdrücklich verboten hatte.
10. Auch der künftige Anpassungsmechanismus steht in der Kritik. Dieser soll zu 70 Prozent von der Preis- und zu 30 Prozent von der Lohnsteigerung abhängen. Dabei sagt die Entwicklung der Löhne (von über dem Existenzminimum Lebenden) nichts über die Höhe der notwendigen Ausgaben und über die Höhe des soziokulturellen Existenzminimus aus.