Traumschiff von Alban Nikolai Herbst ist keine leichte Lektüre, weder sprachlich noch inhaltlich. Der Roman beschäftigt sich in einer wunderschön ironischen und verschlungenen Sprache mit dem Sterben. In der Ich-Perspektive erzählt der Protagonist Gregor Lanmeister von seiner Reise auf dem Traumschiff, seiner letzten Reise, denn jeder, der zu Gast auf dem Traumschiff ist, wird es nicht mehr lebend verlassen. „Es zerfällt mich“, heißt es schon zu Beginn. Leicht ist die Lektüre deshalb nicht, weil mich solche Themen immer sehr berühren. Allzu oft setze ich mich nicht mit ihnen auseinander.
Lanmeister spricht nicht mehr, verweigert jede Äußerung, Bitte oder Frage, hält aber in Kladden seine Beobachtungen auf dem Schiff fest. Mehrere sind es schon, in allen trägt er die exakten Reisekoordinaten des Schiffs ein. Es sind Briefe an die Boardpianistin Kateryna, die er liebevoll mit allerlei Kosenamen anspricht. Sie ist viel jünger als Lanmeister und ahnt nichts von seinen Verehrungen.
Auf ironische Weise beobachtet er die Beziehungen und Intrigen seiner greisen Mitmenschen, die sich dem Tod nähern. 144 Menschen sind an Bord, manchmal sind es bis zu 400. Doch nur diese 144 haben das „Bewusstsein“, wie Lanmeister selbst. Im Laufe des Romans lernt der Leser einige von ihnen näher kennen, die meisten erwähnt Lanmeister nicht. Lanmeister begleitet diese Menschen, ihr amüsanten und dann wieder traurig-berührende letzten Erlebnisse, bis sie nicht mehr sind.
Besonders beeindruckend ist Lanmeisters Bewusstseinsstrom, der den Leser an die Hand nimmt. In seinen stummen inneren Monologen erfährt der Leser, was in ihm vorgeht. Immer wieder schweift Lanmeister ab, erinnert sich an seine Familie und andere Menschen, die früher Teil seines Lebens waren. Dann landet er wieder im Hier und Jetzt, ohne jeglichen Zusammenhang. Doch seine Beobachtungen sind scharf und präzise. Nichts deutet mehr auf eine geistige Krankheit hin. Vielmehr ist es Lanmeisters Körper, der ihm immer weniger gehorcht. Der Sterbende kann irgendwann nicht mehr selbstständig aufstehen, ist auf einen Rollstuhl und immer mehr Hilfe der „Zimmermädchen“ angewiesen und kann irgendwann nicht einmal mehr sitzen. Auch in seiner Sprache macht sich der Verlust bemerkbar. Die Satzstellungen irritieren immer mehr, Lanmeister fehlen immer öfter die richtigen Worte.
Deswegen war ich mir nicht sicher, ob Lanmeister nicht doch dement ist. Er erhält immer Besuch. Und dieser Besuch muss eine nahstehende Person in seinem Leben gewesen sein, denn er sitzt stundenlang an Lanmeisters Seite, ohne ein Wort zu sagen und bricht letztendlich in Tränen aus, weil er nicht vom Kranken wahrgenommen bzw. ignoriert wird. Lanmeister erinnert sich nicht, wer dieser „Besuch“ ist. Er macht sich sogar lustig oder schimpft über ihn – ich schmunzelte im ersten Moment darüber, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt.
Bis zum Schluss ist der Roman ein seichter Übergang zwischen Lanmeisters innerem Monolog, seiner eigenen Traumwelt, und seine Beobachtungen der Außenwelt, der Realität. Traumschiff ist ein schöner, traurig-komischer Roman über das Sterben, ohne Kitsch oder Moral. Es geht nur um das Hier und Jetzt, bis alles in den Tod übergeht.
Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. mare Verlag. Hamburg 2015. 320 Seiten. 22,00 Euro.
Dieser Beitrag erschien auch als Gastbeitrag von mir auf bibliophilin.de.