Träume in den Königscordilleren

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Was hast Du letzte Nacht geträumt? Nichts? In unserer Kultur sind Träume meist nichts sehr wichtiges. Träume sind Schäume. Das Tagträumen wird einen schon in der Schule ausgetrieben.

Als ich vor vielen Jahren in einem steilen und grünen Andental in einem kleinen Häuschen in Coaba einzog, war ich voller Tatendrang. Ich wollte die Welt und die Dinge verändern. Von meinem Fenster aus sah man den Schneeberg Illiampu, das Wahrzeichen Boliviens. Meine Nachbarn, Raymundo und Gomercindo, lächelte über meinen Eifer. Sie unterstützten mich in allem. Und erzählten mir ab und zu ihre Träume. Dort lebten ausschliesslich Aymara Indianer.

Ich war aber ein junger, tüchtiger Entwicklungshelfer, und machte viele durchdachte Pläne, wie man dieses steile Andental entwickeln könnte. Wie man die Kartoffelproduktion steigern könnte. Wie man mit kleinem Handwerk etwas gegen das Problem des Landmangels tun könnte. Aber alle Ideen griffen nicht wirklich.

Oft sass ich am Abend frustriert am Bergbach und dachte nach. Beobachtete das graue Wasser mit dem kalkigen Aroma, welches von irgendwelchen Gletschern der Cordillera Real kam und tosend in Richtung des fernen Amazonas verschwand.

Einmal, erwachte ich etwa um zwei Uhr früh in meiner Hütte genau in dem Moment, in dem ich geköpft wurde. Ich war im Traum zuvor in einer Reihe von Leuten gestanden, denen allen der Kopf abgeschlagen wurde, und irgendwann war ich auch dran und wurde auch geköpft. Nun trat ich verwirrt vor mein Häuschen, es war sternenklar und vollkommen still. Fledermäuse jagten im Tiefflug durch das Dunkel, es roch schon nach Tau, aber ich kam nicht drauf, was das alles bedeuten sollte.
Am Tag darauf setzte ich mich in meinen roten Jeep und holperte ein paar Stunden über steile Passstrassen und löchrige Sandpisten zu einer befreundeten Familie, um sie zu fragen, ob sie zufällig ein Buch über Träume hätten ….

Sie hatten: „Gedanken, Erinnerungen, Träume“ von C.G.Jung. Ich durfte das Buch mitnehmen und fuhr zurück zu meiner kleinen Farm.

Am Abend vertiefte ich mich in die Lektüre. Und da stieß ich tatsächlich auf eine Stelle, in der C.G.Jung erklärte, dass es typische Initialträume gäbe. Zum Beispiel dass man geköpft würde. Und das besagt, dass man zu kopflastig lebt. Ich war begeistert!

Da wohnt also etwas oder jemand in meinem Kopf, das mehr weiß als das andere etwas oder der “ich” genannte Jemand in meinem Kopf.

Eigenartig war es doch. Ich hatte dort in Coaba keine Elektrizität, also kein TV, Internet war noch nicht erfunden, ich hatte kaum Bücher, meditierte viel und malte abends, schrieb täglich Tagebuch – und war offenbar doch zu kopflastig.

Und da hat mich also der Traum auf eine Fährte gebracht.

Ich begann jetzt jeden Morgen die Träume aufzuschreiben, analysierte sie auf tausenderlei Arten und hatte plötzlich dort in der Einsamkeit ein Gegenüber, das mich besser kannte als ich mich selber und das mich Tag für Tag und Nacht für Nacht auf Neues aufmerksam machte.

Auch wenn ich heute nicht mehr jeden Tag meine Träume aufschreibe, so horche ich doch immer noch mit Neugier ihrer Botschaft.
Aber manchmal regen sie mich auch auf, dann werfe ich sie einfach weg und verlange die nächste Nacht eine Version, die ich besser verstehen kann.

Traum-Links in diesem Blog
Der Traum der Eule
Träumst du in Worten?
- Tatzelwurm im Traum

Gedankenanstösse von Christoph Gassmann:
Sein Blog: http://www.traumring.info
Anregung zur Traumdeutung: http://schrift-und-traum.ch/traeumedeuten.pdf
Weitere Links dort.