Traumanfall

So ein kleiner Trotzanfall wirft mich eigentlich nicht mehr aus der Bahn. Zu viele habe ich bereits miterlebt, als dass ich mir noch allzu viele Gedanken darüber machen würde. Klar, ich weiss dass das Problem in den Augen des Kindes weltbewegend ist, sonst würde es ja nicht so ein mörderisches Gebrüll anstimmen. Darum würde ich es auch nie und nimmer wagen, mich über den Grund des Gebrülls lustig zu machen. Aber aus meiner Warte gesehen ist keines dieser Probleme so gravierend, als dass ich mir die Mühe machen würde, mich darüber zu ärgern. Grund zum Ärgern gibt es im Familienalltag schon genug, da muss man nicht auch noch aus den Trotzanfällen, die nun mal einfach zum Kindsein dazugehören, ein Theater machen.

So, jetzt wo das klargestellt ist, kann ich ja gestehen, dass mich das Prinzchen heute mitten in der Nacht mit seinem Trotzanfall ganz schön ins Schwitzen gebracht hat. Ja, gut, auch ein Trotzanfall in der Nacht ist für mich nichts Neues. Aber ein Trotzanfall mitten in der Nacht wegen einer Ungerechtigkeit, die dem Kind im Traum widerfahren ist? Noch nie zuvor gehabt. Da sitzt der Kleine zornig in seinem Bett und brüllt: „Will auch mitkommen! Will auch mit dem Bus mitkommen!“ Ich nehme mal an, dass es eine Weile gedauert hat, bis der Protest unseres Jüngsten mich überhaupt aus dem Schlaf geschreckt hat, denn als ich endlich wach war, hatte er sich schon so sehr in die Sache hineingesteigert, dass er sich kaum mehr beruhigen lassen wollte. „Prinzchen, wir schlafen alle, draussen ist es dunkel und der Bus schläft auch“, murmelte ich schlaftrunken und meinte, damit sei die Sache abgehakt. War sie aber nicht, denn offenbar hatte das Prinzchen in seinem Traum so eindeutig mitgekriegt, dass alle ihren Spass haben würden und er alleine zu Hause bleiben müsse, dass eine eindeutig nicht ausgehfertige Mama, die keine Anstalten machte, sich demnächst aus dem Bett zu begeben und zur Bushaltestelle zu hetzen, ihn nicht zu beruhigen vermochte. „Will aber auch mitkommen! Will auch mit dem Bus fahren! Will nicht hier bleiben!“, brüllte er weiter. „Wir gehen aber nirgendwo hin. Wir wollen jetzt alle nur schlafen“, antwortete ich genervt.

Nun versuche mal einer, einem zornigen Zweijährigen beizubringen, dass das, was ihn so sehr in Rage bringt, sich nur in seinem Kopf abgespielt hat und dass es keinen Grund gibt, sich so sehr aufzuregen. Nun ja, ich weiss, auch beim ganz gewöhnlichen Trotzanfall spielt sich das Meiste im Kopf ab, aber die Sache, um die es geht, ist meist ziemlich handfest, wie zum Beispiel das Brötchen, das man nicht haben darf, oder der Waschlappen, den man nicht im Gesicht haben will, oder die grosse Schwester, die einen nervt.  Was aber, wenn der Auslöser dieses unbeschreibliche Phänomen genannt Traum ist, ein Phänomen, das auch grösseren Kindern und Erwachsenen ein Rätsel bleibt? Vielleicht hätte ich in wachem Zustand einen Weg gefunden, das Prinzchen zu beruhigen, im Halbschlaf aber war ich seiner Wut ratlos ausgeliefert.

Also schrie das Kind weiter nach Leibeskräften, versuchte, sich aus der Zewi-Decke zu befreien und drohte an, er werde zur Bushaltestelle gehen. So langsam wurde ich nervös. Der kleine Trotzkopf würde noch die ganze Familie wecken. „Meiner“ zumindest tappte schon schlaftrunken zum Bett seines Jüngsten. Und was tat der gute Mann? Setzte sich auf die Bettkante, fragte seinen Sohn „Prinzchen, hast du geträumt? Komm, wir schlafen weiter.“ Und dann war Ruhe. 

Wie macht der Mann das bloss?

Traumanfall



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