Trauer in Zeiten des Internets

Der Tod eines Menschen in Zeiten des Internets bedeutet, ihm einen letzten Klick, ihm einen letzten Kommentar, zwei, drei Sätze, bevorzugt ohne Groß- und Kleinschreibung und mit Rechtschreibfehlern, zu schenken, die man in ein Kondolenzbuch tippt, das nichts weiter ist, als die zweckentfremdete Kommentarspalte unter einem tränenkitzelnden Bericht. Und dann ist da noch das R.I.P., das obligatorische R.I.P., das etwas spirituell, auch bramarbasierend getippt wird. R.I.P., requiescat in pace - und dann Schmalzgetipp dahinter wie: Du wirst immer in unseren Gedanken weiterleben. R.I.P.! Tausendfach gehörte, gelesene Trauerplattitüden in Zeiten des Internets.
Routinierte Pseudo-Trauer

Der Tod einer Person, die für die Öffentlichkeit in einer irgendwie gearteten Weise von Interesse war, galt stets schon als ein mediales Ereignis, das mit viel unwürdigem Gebaren abgeschritten wurde. Schon vor dem Internet schmalzte der prominente Tod ordentlich. Die Möglichkeiten, die das Internet eröffnete, jedem Menschen mit Zugang, einen kurzen Augenblick der Öffentlichkeit zu schenken - weitaus weniger als Warhols berühmten 15 Minuten; ja weitaus weniger als 15 Sekunden! -, modifizierten zu diesem nichtswürdigen Gehabe auch noch die Lächerlichkeit des flüchtigen Gefasels. Der R.I.P.-Shitstorm ist das technologisch machbare und garantierte Versprechen, seinen unqualifizierten Kondolenzsenf zu Trauerfällen abzugeben, von denen man vormals in Wort und Schrift noch ausgeschlossen war.
Trauerarbeit generiert sich heute in Fällen von öffentlichen Interesse zu einem Massenspektakel. Das war immer ähnlich, jedoch nie so kurzatmig, wie in Zeiten, da ein Gefällt mir!-Button eine ganze Lebenseinstellung auszudrücken scheint. Die Anteilnahme einer Gruppe von Menschen, die man verkürzt und vereinfacht, als virtuelle Trauergemeinde begreifen könnte, begrenzt sich auf einige Sekunden. Nach dem Klick und dem Getippe der Anteilnahme ist vor der Anteilnahme. Der nächste berühmte Tod kommt bestimmt - dieselben Sprüche und Sentenzen bleiben. Es ist ein ritualisiertes Als-ob-Mitempfinden, eine der Schnelllebigkeit des Mediums geschuldete Pseudo-Beileidsbekundung, die in fester Cyber-Liturgie abgestrampelt wird. Da Meinungsfreiheit gerne damit verwechselt wird, zu allem und jedem eine Meinung haben und äußern zu müssen, hat auch der Tod einer Person von öffentlichen Interesse kommentiert zu werden. Unkommentiert zu sterben, scheint die virtuelle Trauergemeinde als schlimmste Schmach für einen Verstorbenen zu halten. Ein Satz muss doch drin sein, eine Poesiealbumsweisheit kann man doch noch schnell unterbringen. Etwas Zeit, wir reden von Sekunden, soll schon gewidmet werden. Und da man es regelmäßig tut, ist die Pseudo-Trauer auch nur schnell abspulbare Routine, benötigt keine Nachdenkfristen.
Über LOL zu R.I.P.
Relativierend läßt sich sagen, dass die Kommentarspalten oder die Foren, welche mittels Netzzugang jedem offenstehen, nur die tief sitzenden Affekte der Anteilnahme auslöst, die in jedem Menschen verborgen liegen. So kann er sie ausleben, muss sie nicht in sich aufstauen, kann er sie wenigstens tippend hinausschleudern und sich davon befreien. Man könnte aber auch behaupten, dass dieser Zugang erst solche Bedürfnisse schafft, die es nicht geben würde, wenn man sie nicht befriedigen könnte. Weniger abstrakt gesagt: Wo kein Senf absonderbar ist, da kein Betätigen der Senfmühle. Erst die Möglichkeit schafft Trauergemeinden, die es so nicht gäbe (und die auch nur begrifflich solche sind).
R.I.P. ist dabei zur Modeabbreviatur der Trauernetzkultur geworden. Stumpfe Sprüche, zwischen Abendbrot und Abendfilm getippt, zieren den pietätlosen Massenauftritt solcher Ereignisse. Als kürzlich Dirk Bach starb, gestaltete sich diese Peinlichkeit so, wie sie sich in Zeiten des Internets seit langem zeigt. Kaum läuft die Nachricht über den Ticker, kaum sind die ersten Kurzmeldungen raus, die einen Kommentar zulassen, wird ordentlich ge-R.I.P.-t. In Facebook hohle Phrasen, via Twitter vereinzelte Sätze der teilnehmenden Teilnahmslosigkeit, Kommentarspalten und Foren voller vorgefertigter Trauerfloskeln. Und immer wieder dieses R.I.P., von dem man ausgehen muss, dass die Hälfte der Verwender nicht weiß, was es bedeutet - womöglich meint man, es handelt sich um eine Abkürzung aus dem Netzjargon wie LOL oder IMO. Dass es aus einem Psalm stammt - wer aus dem Trauerflashmob ahnt das auch nur vage?
Der Preis der Freiheit
Das Internet hat unglaubliche Prozesse losgetreten und das Leben verändert - das ist ein Allgemeinplatz, aber dennoch wahr. Es kann nützlich sein und gleichermaßen völlig nutzlos. Prozesse wie jene, dass alles einer Shitstormisierung unterworfen wird, was überhaupt shitstormbar ist, sind Nebeneffekte, die sich auch nicht wegregulieren lassen. Ein freies Netz muss wahrscheinlich die Schattenseite, die zur Schau getragene Pietätlosigkeit und abgeschmackte Zu-allem-was-zu-sagen-haben-Unkultur ertragen können. Das ist der Preis eines Mediums, das für jeden relativ frei zugänglich ist. Wenn der Preis nur nicht so geschmacklos wäre ...

wallpaper-1019588
Bleach: Neues Videospiel zum Manga angekündigt
wallpaper-1019588
Kujima Utaeba Ie Hororo – Manga erhält Anime-Serie
wallpaper-1019588
Frieren: Nach dem Ende der Reise – Manga pausiert auf unbestimmte Zeit
wallpaper-1019588
Kakushite! Makina-san!! – Manga inspiriert Anime-Adaption + Visual