"Wer es wirklich hat, lebt wie ein gewöhnlicher Mensch."
(Meister Yün-men)
Im Vorgriff auf einen persönlichen Beitrag, der nächste Woche folgt, möchte ich den Ausdruck "Transzendenz" einmal näher beleuchten. Im Allgemeinen gilt als transzendent ("übersteigend"), was außerhalb möglicher Erfahrung oder außerhalb üblicher Sinneswahrnehmung liegt. Das Transzendente richtet sich gewöhnlich zum "Göttlichen" oder etwas "jenseits einer Grenze" hin; sein Gegenstück, das Immanente, bezeichnet das im Endlichen Vorhandene, das "ohne Rückgriff auf Transzendentes Erklärbare". Der Soziologe Niklas Luhmann wies auf das Paradox hin, dass Transzendenz immer nur aus der Perspektive der Immanenz betrachtet werden könne; Transzendenz komme einem Bedürfnis der Sinngebung nach und sei als Kommunikation "immer dann religiös (...), wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet". Dies werde ich nächste Woche bewusst tun, wenn auch nur andeutungsweise, denn ich betrachte den "transzendentalen Anschein" [meine Wortwahl] bestimmter Ideen als vorläufig, da sie im Lauf der Zeit in den Bereich der immanenten, rational überzeugenden Erklärungen geholt werden könnten. Außerdem gibt es im Zen eine weitere Vorstellung des Transzendenten, die ich anhand eines Essays von Professor Eshin Nishimura, Zen-Priester und früherer Präsident der buddhistischen Hanazono-Universität in Kioto, erläutern möchte. Er trägt den Titel "Gewahrsein und Transzendenz im Zen" und erschien in: Ninshiki to choetsa 認識と超越, hg. v. Inagaki Fujimaro (Tokio 1981).
Metaphysische Spekulation gelte im Zen als mônen môzô
(妄念妄想), täuschendes Denken. Wenn das diskursive Denken an ein Ende kommt und "Erwachen" geschehe, werde tatsächlich der Sinnesbereich erweitert. Es handele sich um einen fortlaufenden Prozess (!) des Erwachens (悟る satoru), nicht einen fixen (悟り satori). Während der eine gelebte persönliche Erfahrung beschreibe, würde der andere zu einer objektivierten "Wahrheit". Die Erfahrung der Zen-Transzendenz würde den Menschen in seiner gegenwärtigen Erfahrungswelt tief in die eigenen Sinne, also die physischen Aspekte des Selbst, verwurzeln, ohne dass er sich zuerst auf ideelle Konzepte verlassen müsse. Das Menschsein würde gewissermaßen transzendiert, nur um es dann in der eigenen konkreten Situation erst zu vervollkommnen. Die Weisheit des Erwachens transzendiere Heiliges und Profanes, Nirwana und Samsara, und in der Übung der Versenkung würden phänomenale Erscheinungen und "Wahrheit" integriert. Erwachen finde damit nur in der Gegenwart statt, als Gewahrsein oder "wahres Verständnis der Soheit der Realität" (如実智見 nyojitsu chiken); Soheit sei äquivalent zu wahrer Leere (真空 shinku) zu verstehen. Die eigentliche Transzendenz kenne zwei Stufen: vom Glauben zur Authentifizierung, von der Spekulation zur gelebten Anwendung (Praxis). Man bewege sich darum nicht auf etwas Objekthaftes wie Leere hin, sondern erfahre subjektiv das Wirken dieser Leere.Dies also möchte ich an Heilig Abend mit einer Ereigniskette illustrieren, bei der diese Leere in mir wirkte, Erwartungen und Ideen naturgemäß zuwiderlief, einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang bestätigte und doch das Märchen von "gutem" wie "schlechtem" Karma abtat. Indem die Leere als Ist-Zustand angenommen wurde, der wertfrei Leben begründet, wurde ein fortlaufender Erkenntnisprozess vertieft, in dem sich ein befreiend wirkendes Reaktionsspektrum anbot. Hakuin beschrieb dies in Bezug auf Ma-tsus Lehre einmal als "Potential des Handelns". Anderswo heißt dies wohl: immanente Transzendenz.(Foto: Keller/Werbung für Brust-OPs in Pattaya. Vorher oder nachher - welche sind nun schöner?)