Trampeltiere in Iguazú

Das Kultur-Programm in Posadas, meinem ersten Halt auf argentinischen Boden, umfasste einen Besuch bei San Ignacio Miní – eine weitere Jesuiten-Reduktion aus dem frühen 18. Jahrhundert – und zwei versoffene Abenden mit Peter – den stelle ich Euch bei Gelegenheit vor. Nachdem eine Gruppe Backpacker aus Südafrika, Neuseeland und Australien am nächsten morgen mich verließ, was nichts mit dem Abend zuvor zu tun hatte, war ich mit mir konfrontiert: Zwar war ich nicht der alleinige Gast, aber auf eine gewisse Art blieb ich es. Die einheimischen Gäste wirkten verschlossen, selbst ein ›Hallo‹ war nur den wenigsten zu entlocken. Die argentinischen Puppen donnerten sich auf, als ging es hier um Leben und Tod, und wenn man dann schaute, als wäre man nach 25 Jahren Isolationshaft entlassen worden, schienen sie beleidigt. Ob Arroganz, Hochnäsigkeit (das man den hiesigen Frauen vorwirft) oder Schüchternheit ist schwer zu sagen: Lange Zeit warfen Menschen Max Frisch Blasiertheit vor. Es hieß, er würde immer so herablassend schauen. Aber Max Frisch litt unter Schlupflidern, die er sich aufgrund seiner Lebensgewohnheit früh erwarb, denn als junger Kerl lass er heimlich bis spät in die Nacht Buch, und ruinierte sich so seine Augen. Er musste seinen Kopf immer in den Nacken werfen, um besser zu sehen. Hinzu kam das Paffen. Das erklärte er mir selbst, in Montauk.

Und nun bin ich Puerto Iguazú, eine prosperierenden Kleinstadt nahe den weltberühmten Iguazú-Wasserfällen. Beeindruckend war es. Keine Frage, aber meine Erfahrung lässt nur ein Ereifern über die dortigen Trampeltiere zu. Wer sich sein Bild nicht madig machen möchte, ignoriere einfach den nächsten Absätze und genieße die Photos.

Fünf Dinge gingen mir auf den Keks und raubten mir das ›sich Fallen lassen‹. Ein Belgier, den ich am Abend später traf, verglich die Anmut jener Natur mit dem erhabenen Gefühl, die Brüste einer Frau zu umfassen. Wenn das aber so war, dann glich dieses Brüste Berühren, vielmehr dem sinnlichen nach den Möpsen einer Schauspielerin Grapschen, auf einer Pornomesse, inmitten einer abgehalfterten sabbernden Menge wild gewordener Eber. Nun …

1. Es waren definitiv zu viele Leute im National-Park. Nein, vielleicht nicht zu viele, vielleicht waren einfach nur zu viele 3,5-Tonner auf zwei Beinen unterwegs. Versteht mich nicht falsch, ich hatte selbst Gewichtsprobleme unter denen ich litt. Aber diese dort angetroffene Spezies stand immer irgendwie ratlos und orientierungslos wie Falschgeld in der Gegend herum. Gott schenkte ihnen zwei Augen, aber dieses schienen eine andere Funktionen zu erfüllen, als die, sich umzuschauen, ob denn auch anderen Wesen auf diesem Planten einen Platz für sich zu beanspruchen versuchen. Und sie schlichen … ja sie schlichen, wie ein 3,5-Tonner ohne Luft in den Reifen und der Tank ist leer.

2. Irgendwer sagte mal auf meiner Reise – die Person war selbst ein Tourist – dass er die Touristen in seiner Stadt hasst. Die würden immer einfach so, mitten auf dem Weg stehen bleiben, ohne sich mal umzuschauen, dann würden sie den gigantischen Arsch in alle vier Himmelsrichtung strecken, dass selbst der Sonne Angst und Bange werden musste, und die Kamera zucken, mit der sie ohnehin nur erbärmliche Bilder machen, weil statt, dass sie über ein Motiv nachdenken, oder überhaupt sich bemühen mal hinzuschauen, was sie da überhaupt ablichten, sie immer nur abdrücken und abdrücken und abdrücken, damit den Lieben daheim in tausendfacher Ausfertigung bewiesen ist, dass man dort war. Eine Plattform, von der man die Wasserfälle besonders eindrucksvoll bewundern konnte, war extrem fürchterlich. Gut, die Fälle sind schön und jeder will sie sehen, was fast schon zu einer klaustrophobischen Atmosphäre beitrug, aber ich fummle ja ganz gerne, was die Sache dahingehend mir nicht unbedingt vermaledeite. Schlimm waren nur die profesionellen Photographen, die auf der ohnehin völlig überfüllten Plattform, von ihren Leitern aus, gestikulierend und rufend, nach Willigen suchten. Wenn sich dann Personen fanden, stellten sich diese vor das Geländer und die anderen Besucher mussten irgendwie Platz machen, damit auf dem Photo nichts anderes, als die glückliche Familie und die Fälle zu sehen waren. Die Leute drängten dann nach links und rechts, wo ohnehin kein Platz war. Habe ich schon geschrieben, dass die Plattform überfüllt war? Das dies Hin- und Herschieben zu einem verschärft sozialen Verhalten unter den Eingeborenen führte, muss nicht explizit erwähnt werden. Die Photographen wussten das in wirklich angenehmer Lautstärke mitzuteilen. Es war lauter als im Schlachthaus und Jahrmarkt zusammen, selbst die tosenden Fälle schienen zu verstummen. Und dann grinsten Mama und Papa, als wäre Ostern und Weihnachten auf einen Tag gefallen, und die Kleinen schauten, als wären Ostern und Weihnachten dieses Jahr ausgefallen. Ferner gab es da diese Proleten, die den halben Steg für Stunden blockierten, weil sie auf der Suche nach der perfekten entspannten Mimik für das einmalige Photo waren.

4. Menschen betreffend rieben mich zuletzt die Alten auf. Sakrament! Es verwunderte mich immer wieder, für wie lange es zwei betagte hagere Menschen schafften, einen Scheuenentor-breiten Steg unpassierbar zu machen. Ich bemühte und bemühte mich, die aufmerksamen und tauben Herrschaften zu überholen. Ich suchte schon nach reiner versteckten Kamera, als es mir schließlich gelang dazwischen zu huschen.

5. Zuletzt fragte ich mich, warum man in einen Naturschutzpark einen Schmalspur-Bahn-Transfer einrichten muss. Vom Eingang des Parkes führte eine Bahn zu beiden Aussichtspfaden. Beim ersten mal fuhr ich mit. Sie fuhr Schrittgeschwindigkeit. An der ersten Station stieg ich aus. Später fragte ich mich, was so schwer daran ist, seine Beine zu benutzen. Aber nun gut, ich bin noch jung und arrogant und dreißig Minuten Spaziergang sind in der Tat unmenschliche Strapazen. Aber schützen wir die bedrohten Tiere hier …

Aber schön waren sie schon, die Fälle.


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