Traktat wider den modernen Manichäern

oder Über die Gefahr anzunehmen, man würde unter den Guten auf Erden leben.
Die deutschen Medien scheinen im Dualismus aufgegangen zu sein. Für sie gibt es ganz offensichtlich nur noch zwei Entitäten: Gut und Böse. Mit dieser Zweiheitslehre erklären sie Weltpolitik.

Traktat wider den modernen Manichäern

Lichtreich in der Schattenwelt?

Ob man nun in der »Frankfurter Allgemeinen«, der »Zeit« oder ganz klassisch in der »Bildzeitung« zur Lage in der Ukraine blättert; ob man die »Tagesschau« oder »heute« oder eine politische Talkshow zum Thema Rußland einschaltet; ob man sich einen Bericht zu Putin bei öffentlich-rechtlichen oder privaten Radiosendern antut: Der dualistische Kernpunkt und Leitgedanke ist immer derselbe. Er schwingt mal geflüstert, mal markerschütternd mit, wird aber nie in Frage gestellt. Zwei Substanzbegriffe sublimieren das weltpolitische Zeitgeschehen in einen Antagonismus, der sich zwischen »dem Guten« und »dem Bösen« abspielt. Und beide werden verortet: Gut ist hier und sind wir, böse ist dort und sind die anderen. Das ist im Wesentlichen die Reduktion der aktuellen Berichterstattung. Mehr Extrakt als diese »diese letzten Prinzipien, die die Welt begründen und gestalten« ist kaum noch.

Vor einiger Zeit war dieser Dualismus zwar auch schon spürbar, wenn zum Beispiel im Zuge neuer Weltgeltungspolitik über Auslandseinsätze der Bundeswehr geschrieben wurde. Aber ein wenig Zwischenstufe, die die moralische Rigorosität auflöste und damit das weltpolitische Geschehen wieder von Kategorien befreite, mit denen man keine politische Berichterstattung führen kann und sollte, gab es dann doch noch. Dass Politik die Kunst des Machbaren sei, hat man zwischenzeitlich oder in Zwischentönen immer wieder akzeptiert. Diese Akzeptanz scheint nun aber ad acta gelegt. Außenpolitik findet nun im Rahmen eines moralisch-dualistischen Korsetts statt. Sie ist eine fast manichäische Angelegenheit, in der die zwei Naturen des Lichts und der Finsternis miteinander ringen und in absoluter Gegnerschaft zueinander stehen.
Die Manichäer glaubten, dass seit Anbeginn das unversöhnliche gute und böse Prinzip die Antriebsfedern des Seins seien. In der Welt und im Menschen wähnten sie diese Prinzipien schuldhaft vermischt. Aber erst durch die Trennung der Entitäten könne Erlösung geschehen. Insofern könnte man fast etwas polemisch festhalten, dass wir ins »Zeitalter der Erlösung« eingetreten sind. Denn jetzt scheint Gut und Böse sich zu entwirren und die Reinheit der Prinzipien erreichbar.
Diese Kritik an der moralischen Interpretation des Weltgeschehens heißt natürlich nicht, dass Ethik kein Fach sein darf, welches in der Politik und der Dokumentation des politischen Geschehens nicht vorkommen soll. Soll sie ja durchaus. Was wäre Politik ohne moralische Grundfragen? Was ein Journalismus, der ethische Normen einfach überspielt? Nur darf keine Ethik unter dem Eindruck fest verteilter Rollen betrieben werden. Das bedeutet, »gut« kann nicht grundsätzlich »hier« und »wir« sein und »schlecht« nicht »dort« und »die anderen«. Ein moralisches Attribut ist niemals eine Ortsangabe. Man muss flexibel bewerten. Die grundsätzliche Gleichsetzung der eigenen Standpunkte mit dem Guten ist intellektuell fadenscheinig und überdies eine Gefahr.
Denn eine solche Berichterstattung erschwert die Gelassenheit, die notwendig wäre, die Dinge objektiv zu begutachten. Und sie animiert dazu, den politischen Kontrahenten erst gar nicht verstehen zu wollen. Indem man sich selbst als »das Gute« adelt, ordnet man der Gegenseite automatisch die Rolle des apriorischen Bösen zu, das nicht nur Fehler macht, sondern quasi böse ad naturam ist. Die Sublimierung des Weltgeschehens in diese beiden ethischen Kategorien ist heimtückisch. Sie macht die Konfrontation zu einer Glaubenssache und ernennt »unsere Interessen« zu einem Sujet, über das gar nicht mehr diskutiert werden muss.
Bis vor einiger Zeit waren »unsere Interessen« in den Medien noch Thema. Manche verteidigten sie, andere fragten, ob das denn wirklich alles sein müsse, um diese Interessen zu befriedigen. In der Berichterstattung zu Russland und der Ukraine haben sich »unsere Interessen« so vergeistigt, dass sie zu einer Grundsätzlichkeit geworden sind, über die man nicht spricht. Über Interessen spricht man nicht mehr - man hat sie. Wir sind in Begriff, über den Grad der Rechtfertigung hinwegzueilen. Jetzt geht es nur noch darum, das Gute in der Welt zu gewährleisten. Das aber potenziert die Konfrontationsbereitschaft; denn Sachgründe und neutrale Analysen ermahnen zur Ausgewogenheit, aber Berichte in Stile von Licht und Finsternis legen die Konklusion schon vorher fest. Im Kampf gegen das Böse ist Phlegma schließlich nicht chic. Das Gute verdeckt so die monetären Interessen und fegt die niederen Beweggründe weg, die in diesen Motiven liegen. Das Hehre kommt zum Vorschein.
Genug Philosophika jetzt. Bei so einer Phraseologie wird einem ja die Milch sauer. Aber es gibt Dinge, die kann man schlecht alltagssprachlicher ausdrücken. Nur so viel noch: Ich habe genug davon, dass ich dauernd denken soll, ich lebe zwischen den Guten dieser Welt. Für die islamische Welt und neuerdings für Russland sind wir das Konsortium des Bösen. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit. Irgendwo dazwischen ist auch Russland oder die islamische Welt zu finden. Wir sehen uns in diesem Dazwischen nur nicht gegenseitig, weil wir uns eine dualistische Nebelmaschine angeschafft haben.
Ich habe hier, im Land des Guten, genug erlebt um sagen zu können: Glaubt mir, auch hier gibt es viel Dunkelheit - wenn man auf der falschen Seite des Lebens steht und man den Lichtschalter nicht ertastet. Und wenn man ihn dann doch mal erfühlt hat, dann funktioniert er nicht. Die westlichen Bündnisse reagieren jetzt auch nicht gerade wie Sonnenscheine. Dass die Medien ihre Einseitigkeit dennoch manichäisch aufrechterhalten ist ein Problem. Woher sollen die Stimmen der Mäßigung denn kommen, wenn nicht durch sie? Eine Medienlandschaft, die so eindimensional berichtet, ist ein großer Stein in jenem Mosaik namens »Gefährdung des Friedens«, an dem jetzt so eifrig gearbeitet wird.
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