Trotz intensiver Forschung konnte die Wissenschaft nicht den Verfasser dieser Zeilen benennen, die noch heute aktueller denn je erscheinen und in über 300 Jahren nichts an ihrem Aussagegehalt eingebüßt haben. Der Verfasser wollte vor allem aus zwei Gründen anonym bleiben. Erstens hätte für den Verfasser die Benennung seines Namens bestialische Folter mit anschließender Ermordung bedeutet und zweitens, hatte der Verfasser keinerlei Ansprüche darauf, aus "Eitelkeit" heraus etwas "menschlich Vergängliches" zu erschaffen.
Dieses Buch ist von so eindeutiger Qualität, dass sich selbst Voltaire Jahrzehnte nach Erscheinen dieses Werkes genötigt sah, ein polemisches Gedicht zu verfassen. Voltaire, ohne Zweifel eine Geistesgröße, sah im Traktat seine deistische und insbesondere seine freimaurerische Gedankenwelt angegriffen. Völlig zu Recht, was allerdings nicht gegen den Verfasser des Traktats aufzufassen ist. Dabei ist zu erwähnen, dass einige Forscher den Urheber des Traktats in Voltaire höchstselbst sahen.
Die Legendenbildung über den Traktat über die drei Betrüger geht soweit, dass sogar behauptet wurde, diese Abhandlung hätte seinen Ursprung beim Kaiser Friedrich II. gehabt.
Die folgende Ausgabe des Traktats beruht auf den Druck aus dem Jahr 1745.
Eines vorweg genommen, der Verfasser schließt sein Werk mit den Zeilen:
Seit langem schon ist die Welt von diesen unsinnigen Meinungen verpestet, und doch fanden sich zu allen Zeiten gründlich denkende und aufrichtige Menschen, die aller Verfolgung zum Trotz gegen die absurden Meinungen ihrer Zeit Widerspruch einlegten - so etwa in diesem kleinen Traktat. Diejenigen, die die Wahrheit lieben, werden in ihm gewiß Trost finden. Nur bei ihnen suche ich Anerkennung, ohne mich um das Urteil derer zu kümmern, denen Vorurteile als unfehlbare Orakel gelten.
"Glücklich, wer die Ursachen der Dinge zu erkennen vermochte und alle Befürchtungen und das unerbittliche Schicksal und das Rauschen des unersättlichen Acheron unter die Füße zwang."
Vergil: Georgica 2, 490 [-492]
Misstraue denen, die die Wahrheit besitzen und vertraue diejenigen, die nach ihr suchen.
Kapitel 1
Von Gott
§1
Obwohl die Erkenntnis der Wahrheit wichtig für alle Menschen ist, verfügen nur sehr wenige über diesen Vorzug. Die einen können sie nicht selbstständig erforschen, die anderen wollen sich nicht darum bemühen. Kein Wunder also, daß die Welt voll ist von grundlosen und lächerlichen Meinungen, die durch nichts wirksamer befördert werden als durch die Unwissenheit. Sie ist die einzige Quelle der falschen Vorstellungen von Gott, der Seele, den Geistern und von nahezu allem, was die Religion ausmacht. Die Gewohnheit hat die Oberhand gewonnen, man begnügt sich mit den von Geburt an überkommenen Vorurteilen, und in den wichtigsten Angelegenheiten verläßt man sich auf eigennützige Leute, die es sich zum Grundsatz gemacht haben, hartnäckig die hergebrachten Meinungen aufrechtzuerhalten, und es nicht wagen, diese zu beseitigen, weil sie fürchten, selbst beseitigt zu werden.
§2
Gegen dieses Übel ist kein Mittel gewachsen; denn nachdem man die falschen Vorstellungen von Gott gebildet hat, hat man nichts versäumt, um das Volk dazu zu bringen, an sie zu glauben, ohne ihm ihre Überprüfung zu erlauben. Man hat ihm im Gegenteil eine Abneigung gegen die Philosophen bzw. die wahren Gelehrten eingeflößt, denn die Vernunft, die diese lehren, könnte (so fürchtet man) das Volk zur Erkenntnis der Irrtümer führen, in denen es befangen ist. Der Erfolg der Verfechter dieser Absurditäten ist so groß, daß es gefährlich ist, sie zu bekämpfen. Diese Betrüger haben ein zu großes Interesse an der Unwissenheit des Volkes, als daß sie es hinnehmen könnten, daß man ihm die Augen öffnet. Man ist also gezwungen, die Wahrheit zu verhehlen oder der Wut von falschen Gelehrten oder Primitiven und Eigennützigen zum Opfer zu fallen.
§3
Wäre das Volk imstande zu begreifen, in welchen Abgrund die Unwissenheit es stürzt, würde es das Joch seiner nichtswürdigen Führer abschütteln, da die Vernunft, wenn man ihren Gebrauch zuläßt, unvermeidlich die Wahrheit aufdeckt.
Diese Betrüger hatten dafür ein so gutes Gespür, daß sie, um die unausweichlichen nützlichen Wirkungen der Vernunft zu unterbinden, darauf verfielen, uns die Vernunft als eine Mißgeburt darzustellen, die uns keinen vernünftigen Gedanken eingeben kann. Obwohl sie im allgemeinen die Unvernünftigen tadeln, wären sie dennoch sehr verärgert, wenn die Wahrheit Gehör fände. So sieht man, wie sich diese eingeschworenen Feinde des gesunden Menschenverstandes immer wieder in unaufhörliche Widersprüche verstricken, und man kann nur schwer verstehen, was sie eigentlich wollen. Wenn es aber zutrifft, daß die rechte Vernunft allein das Licht ist, dem der Mensch folgen soll, und wenn das Volk nicht so unfähig zu denken ist, wie man ihm einreden will, müssen diejenigen, die es belehren wollen, sich um die Korrektur seiner falschen Meinungen und die Beseitigung seiner Vorurteile kümmern. Dann wird man sehen, daß das Volk allmählich die Augen öffnet und zu der Überzeugung gelangt, daß die landläufigen Vorstellungen von Gott falsch sind.
§4
Zu diesem Zweck sind weder verstiegene Spekulationen noch ein tiefes Eindringen in die Geheimnisse der Natur erforderlich. Man braucht bloß ein wenig gesunden Menschenverstand, um zu sehen, daß Zorn und Neid Gott fremd sind, daß Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ihm zu Unrecht zugeschrieben werden, und daß die Aussagen der Propheten und Apostel uns keine Erkenntnis von seiner Natur und seinem Wesen vermitteln.
Um es ungeschminkt und nüchtern zu sagen: Muß man nicht tatsächlich zugeben, daß jene Lehrer den übrigen Menschen weder an Fähigkeiten noch an Bildung überlegen waren, daß ihre Aussagen über Gott im Gegenteil derart plump sind, daß man völlig unkultiviert sein muß, um an sie zu glauben? Obwohl der Sachverhalt an sich klar genug ist, wollen wir ihn dennoch veranschaulichen, in dem wir der Frage nachgehen, ob die Propheten und die Apostel von den übrigen Menschen verschieden waren.
§5
Nach allgemeiner Auffassung gibt es zwischen ihnen und den übrigen Menschen keinen Unterschied hinsichtlich Geburt und Lebensweise. Sie waren von Männern gezeugt, von Frauen geboren und lebten genauso wie wir. Den Geist der Propheten aber soll Gott mehr als den der anderen Menschen inspiriert und sich ihnen auf eine ganz außergewöhnliche Weise mitgeteilt haben. Man glaubt das mit so voller Überzeugung, als wäre der Sachverhalt bewiesen, und ohne die Gleichartigkeit der Menschen und ihren gemeinsamen Ursprung zu bedenken, unterstellt man, diese Menschen seien von einem ganz außergewöhnlichen Schlage gewesen und von Gott zur Verkündigung seiner Orakelsprüche auserwählt worden. Aber abgesehen davon, daß weder ihr Geist noch ihr Verstand dem der anderen Menschen überlegen war, was läßt sich in ihren Schriften finden, das uns zu einer derart hohen Meinung von ihnen verpflichtete? Ihre Äußerungen sind größtenteils so dunkel, daß man nichts versteht, und derart verworren, daß man unschwer einsehen kann, daß sie sich selbst nicht verstanden und überhaupt bloß arglistige Ignoranten waren. Zu dem Ansehen, in dem sie stehen, gelangten sie, weil sie so dreist waren, sich zu rühmen, ihre Botschaften für das Volk unmittelbar von Gott erhalten zu haben - eine unsinnige und lächerliche Erfindung, geben sie doch selbst zu, daß Gott nur im Traum zu ihnen spricht. Träume eines Menschen sind etwas ganz Natürliches. Deshalb muß man schon reichlich verschämt, dünkelhaft und wahnsinnig sein, um zu behaupten, Gott spreche zu einem auf diese Weise. Wer dem Glauben schenkt, muß ziemlich leichtgläubig und verrückt sein, um Träume als göttliche Orakel anzunehmen. Nehmen wir einmal an, Gott teile sich jemandem mittels Träumen, Visionen (oder wie auch immer man es sich vorstellen mag) mit, so ist doch niemand verpflichtet, einem Menschen auf sein Wort hin zu glauben, der irren und sogar lügen und irreführen kann. So standen die Propheten, wie wir sehen, im Alten Bund längst nicht in so hohem Ansehen wie heute. Wenn man von ihrem Geschwätz genug hatte, das häufig nur darauf abzielte, Aufstände anzuzetteln und das Volk vom Gehorsam gegenüber seinen Herrschern abzubringen, brachte man sie zum Schweigen, indem man sie auf diese oder jene Weise umbrachte. Selbst Jesus Christus entrann nicht seiner gerechten und verdienten Strafe. Anders als Moses verfügte er über keine Armee, um seine Meinungen zu verteidigen.* Es kommt hinzu, daß die Propheten einander gewöhnlich derart widersprachen, daß sich unter vierhundert von ihnen kein einziger wahrer befand.** Überdies zielten ihre Prophetien - ebenso wie die Gesetze der berühmtesten Gesetzgeber - darauf ab, ihren Nachruhm zu verewigen, indem sie dem Volk weismachten, daß sie mit Gott vertrauten Umgang hätten. Die geschicktesten Politiker verfuhren immer so. Allerdings führte diese List bei denjenigen nicht immer zum Erfolg, die nicht wie Moses imstande waren, für ihre Sicherheit zu sorgen.*Moses ließ 24.000 Menschen auf einmal hinrichten, weil sie sich seinem Gesetz widersetzt hatten.
**Im I. Buch der Könige, Kap. 22, steht geschrieben, daß Ahab, der König von Israel, 400 Propheten zu Rate zog, die sich aufgrund der Ereignisse, die auf ihre Weissagungen folgten, alle als falsche Propheten erwiesen.
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Vor diesem Hintergrund wollen wir nun die Gottesvorstellung der Propheten untersuchen. Wenn man ihnen Glauben schenken soll, ist Gott ein ganz und gar körperliches Wesen. Micha sah ihn sitzen, Daniel als einen Greis in weißem Gewand, Hesekiel erblickte ihn als Feuer; soweit zum Alten Testament. Was das Neue Testament angeht, bildeten sich die Jünger Jesu ein, ihn in der Gestalt einer Taube zu sehen, die Apostel als Feuerzungen, der Heilige Paulus schließlich als ein blendendes Licht. Nun zur Unvereinbarkeit ihrer Meinungen: Samuel glaubte, daß Gott nie bereut, was er einmal entschieden hat. Dagegen teilt Jeremias uns mit, daß Gott seine Ratschlüsse bereut. Joel lehrt uns, daß er nur das Übel bereut, das er über die Menschen verhängt hat, während Jeremia sagt, daß er es nicht bereut. Das Buch Genesis lehrt uns, daß der Mensch Herr über die Sünde ist und es nur an ihm ist, gut zu handeln, während der Heilige Paulus versichert, daß die Menschen ohne eine ganz besondere göttliche Gnade ihre Begierde überhaupt nicht beherrschen können. So sehen die falschen und widersprüchlichen Vorstellungen aus, die diese angeblich von Gott inspirierten Leute uns geben, und die wir uns nach ihrem Willen zu eigen machen sollen, ohne zu bedenken, daß diese Gottesvorstellungen uns das Bild eines sinnlich wahrnehmbaren, materiellen und allen menschlichen Affekten unterworfenen Wesens vermitteln.
Trotzdem kommt man uns danach mit der Behauptung, daß Gott nichts mit der Materie gemeinsam hat und ein Wesen ist, das wir nicht begreifen können. Wie läßt sich das miteinander in Einklang bringen? Ist es richtig, so eklatanten und unsinnigen Widersprüchen Glauben zu schenken? Soll man sich auf das Zeugnis von Menschen verlassen, die so primitiv waren, sich trotz der Predigten des Moses einzubilden, daß ein Kalb ihr Gott sei? Wir wollen uns nicht länger mit den Phantasien eines Volkes aufhalten, das in der Sklaverei und inmitten von lauter unsinnigen Vorstellungen sich entwickelte, sondern feststellen, daß der Glaube an all den Betrug und die Irrtümer, die heute unter uns verbreitet sind, aus der Unwissenheit entstanden sind.
Die Fortsetzung folgt...
siehe auch: Teil 2