Nachdem ich zwei Wochen zuvor schonmal richtig den Winter erleben durfte mit vielen bekannten und (noch) unbekannten Trailrunning-Freunden in perfekter Winterlandschaft in der Zentralschweiz, ging es nach meinem letzten Seminar doch sehr spontan Richtung Teneriffa. Wie fast jedes Jahr verbringe ich die Weihnachtsfeiertage gern im Kreise der Familie auf unserer Finca in La Vega. Solange es “richtig” Winter ist mit Schnee und (bevorzugt trockener) Kälte, finde ich das ja sehr schön. Wie die meisten Menschen hege ich aber eine gewisse Abneigung gegen jede Art von “Schmuddelwetter”, wenn das Quecksilber irgendwo zwischen +1°C und +6°C schwankt und die Kälte eine nasse ist, die sich unaufhaltsam ihren Weg durch jede Fuge sucht und auch vor der Haut keinen Halt macht. Spätestens wenn sie an den Knochen und Gelenken angekommen ist, versteht man Papa und Mama, warum sie irgendwann den Winterurlaub zu einem dauerhaften Aufenthalt von 8 Monaten auf der “Insel des ewigen Frühlings” ausdehnten.
Also ging’s einmal mehr mit TuiFly von STR nach TFS, um dort, am Aeropuerto Reina Sofia, von den lieben Eltern abgeholt zu werden. Goldcar stellte einen nagelneuen Renault Megane (sehr schick!) mit einem kraftvollen Turbodiesel für eine wahrlich lächerliche Summe zur Verfügung und ab ging es nach Playa San Juan, um den obligatorischen ersten Café von Leche und ein Eis zu vertilgen.
Die ersten Tage ließ ich es extrem entspannt angehen, da mich wieder mal mein Rücken etwas plagte (deutliches Zeichen von zu viel Stress bei mir). Mit etwas Entspannung und Sonne verging das aber schnell. Das Wetter: Die erste Woche zeigte sich fast kein einziges Wölkchen (außer ein paar Zirrus-Wolken), es war windstill und die Sonne hämmerte ungebremst auf uns ein bei 21-24°C – ein Traum!
Irgendwann konnte ich mich dann aber auch nicht mehr im Zaum halten und unternahm ein paar schöne Trailrunning-Touren. Die üblichen Verdächtigen kamen einem natürlich zuerst in den Sinn: Zuallererst ins Teno-Gebirge (10 Minuten door-to-trail) und dann bei so einem Wetter auch rüber ins Anaga-Gebirge.
Selbstredend waren die Weihnachtsfeiertage mit dem üblichen “großen Fressen” gespickt – jeden Abend ein leckeres Abendmahl mit anderen Menschen. Nice. Aber irgendwann auch genug.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag dann der erste Tag mit Wolken. Wir fuhren über den Erjos-Pass hinüber auf die Südseite und ich wollte – wie schon so oft zuvor – von Santiago del Teide über den Kamm bis hinunter nach Los Gigantes und weiter am Strand entlang bis nach Alcala laufen (einer meiner Lieblingstrails). Wir vereinbarten, dass wir uns im Café am Strand zwei Stunden später treffen würden. Doch dann kam alles anders…
Kurz hinter dem Montaña Guama (877 m), im steilen, staubigen Lava-Downhill passierte es. Wir kennen alle diese Momente, in denen sich blitzartig die Zeit verlangsamt und alles scheinbar in Superzeitlupe abläuft. Ich erinnerte mich an die Anfangs-Szene von “Der Marathon Mann” mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle (1976). Ich bin mir nicht sicher, ob die Szene im Film überhaupt drin ist. Aber im Buch wird auf den ersten Seiten in wahrlich atemberaubendem Detail erklärt, wie Babe’s Bruder (ein CIA-Agent) sich im Central Park mit einem Informanten trifft und er – obwohl sehr gut trainiert – diesen Tick zu langsam reagiert und dann in eben jener Zeitlupenaufnahme spürt, wie das Messer seines Gegenüber blitzschnell und sehr gekonnt seinen Bauchraum aufschlitzt, seine abwehrenden Hände zu spät kommen und er die Wärme des austretenden Blutes vermischt mit seinen herausquellenden Eingeweiden spürt. Und sofort weiß, dass es vorbei ist. Dass es keine Hilfe mehr für ihn geben wird…
In meinem Fall bot sich folgende Szene (nicht ganz so dramatisch und die Folgen nicht ganz so schwerwiegend): Wie schon oft zuvor, bleibt der linke Schuh ganz leicht an einem kleinen Lava-Felsen hängen. Wie so oft zuvor, reagiert der Körper mit diversen Ausgleichsbewegungen, die unbewusst ablaufen und die Balanace so schnell wie möglich wieder herstellen sollen. Ich spüre den Vorwartsdrang bergabwärts. Ich spüre das Moment, das mich aus dem Gleichgewicht bringt. Ich spüre, wie der ganze Körper auf Notfallprogramm schaltet. Dier Arme rudern, der rechte Fuß macht einen weiten Ausfallschritt nach rechts/vorn. Alles scheint fast unter Kontrolle, da rutscht eben jener rechte Fuß auf feinem Lava-Gries weg…
Das nächste, was ich mitbekomme ist ein harter Aufprall mit dem Kopf auf einen Felsen. Das Geräusch werde ich so schnell nicht vergessen. Sofort fliesst massenhaft vom rotesten Blut, dass ich je gesehen habe über meine Stirn, das linke Auge…in den schwarzen Sand unter mir. Instinktiv krame ich einhändig – mit der linken Hand stark auf die Wunde pressend – mein Buff aus dem Rucksack. Der Schock-Zustand hat bereits eingesetzt und ich bin verwundert, wie schnell auch hier der Körper auf ein weiteres Notfallprogramm schaltet. Die Knie zittern. Adrenalin strömt in meine Blubahnen. Mein Kopf ist ganz klar. Ich sammele mich, atme ruhig ein und aus. Ich muss so schnell wie möglich runter zur Zivilisation. Ich bin positiv überrascht über mich, wie klar und ruhig ich bin und wie ich mich keine Sekunde über mich ärgere, mir keine Vorwürfe mache (was das Standard-Programm für mich als Perfektionist ist). Ruhig und langsam wieder etwas Fahrt aufnehmend laufe ich sturzfrei hinunter bis zum Camino Real und weiter auf diesem bis Puerto Santiago (Los Gigantes). Dort steht wie bestellt eine deutsche Familie mit Mietwagen. Mama will wandern und wird gerade am Trailhead abgeliefert. Ein “Oh mein Gott” kommt aus ihrem Mund, gefolgt von der Frage, ob sie mich irgendwohin bringen können. Netterweise bringen sie mich also direkt bis Alcala. Dort treffe ich meine Eltern und Thea und wir versuchen es zuerst einmal in einer Apotheke (vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm). Bis dahin habe ich mich noch gar nicht getraut, das Buff von der Wunde zu nehmen. Die Apothekerin braucht ungefähr 500 Millisekunden, um zu sehen, dass ich sofort zu einem Arzt muss. Und da wir in Spanien sind, geht das hier alles etwas anders. Quer über die Straße ist – zwischen ganz normalen Shops – ein Doc. Alles sehr einfach. Die Leute warten auf ein paar simplen Stühlen oder draußen auf dem Gehweg. Als mich die Schwester sieht, werde ich sofort auf die Liege gelegt und die Anderen müssen jetzt viel Geduld haben. Die Operation dauert fast eine Stunde, wovon die meiste Zeit damit verbracht wird, die Wunde zu säubern. Da der Doc nur lokal betäubt, kriege ich alles “hautnah” mit. Es hört sich an, wie in vielen Hollywood-Filmen, wenn dem Helden die Kugeln entfernt werden, in die Nierenschale aus Edelstahl gelegt werden und dabei dieses unnachahmliche Geräusch machen. Mit feiner Pinzette und ruhiger Hand holt er Steinchen für Steinchen aus meinem Kopf – insgesamt der halbe Teide (ich glaube, die Krankenschwester übertrieb etwas an dieser Stelle). Als alles fertig war (fragt bitte nicht nach so Themen wie Sterilität!), vernäht er die Wunde und versiegelt alles mit einem Pflaster. “Eine Stunde macht…ähh…sagen wir 100 Euro!”
Die Wunde blutet dann noch ein paar Mal leicht, und ich habe höllische Kopfschmerzen, bis Thea mir ein paar “american-style” Schmerzmittel verabreicht. Danach ist alles gut und ich kann sogar ganz brauchbar schlafen. Bis dato sind soweit keine Komplikationen festzustellen (starke Kopfschmerzen, Erbrechen, doppelt sehen oder sowas…).
Ich werde nun wohl nie mehr so hübsch wie auf dem Foto oben aussehen. Aber freundlicherweise sagten bereits mehrere Damen, dass Narben einen Mann nur noch männlicher und sexier machen. Na dann kann ja nichts mehr schief gehen…