Er gilt als schönster Gipfel der Schobergruppe. Dennoch kann man am Glödis ganz einsam laufen, wandern und klettern.
Die Berghasen haben Urlaub. Nach langer Zeit wieder einmal gemeinsam. Wir haben wenig geplant. Fest steht: wir wollen weg. Bloß nicht zu weit. Im Auto sitzen wir sowieso ständig.
Wie du womöglich schon mitbekommen hast, brennen die Berghasen-Herzen für Osttirol. Unser letzter Osttirol-Besuch ist mittlerweile einen Monat aus. Damals haben wir nur zwei Nächte in Kals verbracht, sind den Großglockner Ultratrail mitgelaufen und haben uns am Tag darauf nicht weiter als zehn Meter vom Pool unseres Lieblingshotels, dem Haidenhof, entfernt.
Die Sehnsucht nach den Osttiroler Bergen ist also groß. Wir wollen dieses Mal etwas Neues ausprobieren und den ersten Urlaubstag in der Schobergruppe verbringen; fahren über die Felbertauernstraße nach Lienz und weiter zum Parkplatz Seichenbrunn im Debanttal.
Von dort beginnt der Zustieg zur Lienzer Hütte. Diese wiederum ist Ausgangspunkt für die Besteigung zahlreicher Dreitausender der Schobergruppe. Unter anderem des Glödis (3.206 m), der unser erster Urlaubsgipfel werden wird.
Auf das Matterhorn der Schobergruppe
Der schönste Gipfel der Schobergruppe soll er sein, der Glödis. Und sein Profil gleiche keinem geringeren Berg als dem Matterhorn. So zumindest hört man es aus Bergsteigerkreisen tuscheln. Als sich der Berg das erste Mal in unser Blickfeld drängt, können wir die Ähnlichkeit nicht abstreiten.
Scharfkantig und steil schwingen seine Grate zum Gipfel auf. Der Glödis hat die Form einer kolossalen Pyramide. Ein Mordstrum Berg also, wie man bei uns in Österreich sagt.
Klar, um einiges niedriger, einfacher und einiges weniger respekteinflößend, als das Matterhorn. Aber auch um einiges weniger überlaufen.
Der Normalweg führt über den Süd-Ost-Grat auf den Glödis. Der letzte Anstieg über den Grat wurde vor ein paar Jahren zum Klettersteig (B) ausgebaut. Einerseits, um die Tour etwas zu entschärfen, andererseits, um sie für eine größere Zahl an Bergsteigern möglich zu machen.
Die Besteigung des Glödis ist aber keinesfalls eine klassische Klettersteig-Tour. Den Großteil der Strecke legt man nämlich schon im Zustieg zurück. Die seilversicherten Passagen ziehen nur die letzten 200 Höhenmeter am Grat entlang zum Gipfel. Auf diese Tour begibt man sich also nicht des Klettersteigs Willens, sondern wegen des Berges selbst und der eindrucksvollen Landschaft, in der er steht.
Die Tour stellt geringe Anforderungen an die Technik, wohl aber an die Kondition. Hier die Eckdaten:
- Aufstieg: 1.600 Höhenmeter
- Länge: 16 Kilometer
- Dauer: fünf bis 8 Stunden
Vom Parkplatz Seichenbrunn zur Lienzerhütte
Als wir uns vom Parkplatz Richtung Lienzerhütte aufmachen, ist es bereits zehn Uhr. Ein bisschen spät, um zu einer Tagestour auf einen Dreitausender aufzubrechen. Wir sind einfach nicht früher aus dem Bett gekommen. Okay, Susi hat verschlafen.
Stressen wollen wir uns dennoch nicht. Die Tour geht sich zeitlich locker aus, das Wetter soll stabil bleiben und obwohl für heute 30° angekündigt sind, ist mit keinen Gewittern zu rechnen.
Wer die Tour ein wenig abkürzen will, könnte eine Nacht in der Lienzerhütte verbringen. Viel spart man sich dadurch aber nicht ein. Bis zur Hütte sind es vom Parkplatz nur drei Kilometer. Wir kommen nach dort nach 40 Minuten an.
Endlich wechseln wir vom Forstweg auf einen flachen Steig, der uns tief hinein ins Debanttal führt.
Wasserreich
Mit jedem Schritt, den wir uns näher auf den Glödis zubewegen, wird die Landschaft eindrucksvoller. Nachdem wir die Hütte hinter uns gelassen haben, begegnen wir keinen anderen Bergsteigern mehr. Wir sind überrascht, dass eine Tour dieser Schönheit so wenig frequentiert ist.
Bis zu einer Weggabelung steigt der Pfad mäßig an. Wir steigen über große Felsplatten, streifen durch Heidelbeersträucher und hüpfen über Regenpfützen, die seit dem letzten Niederschlag noch nicht verdunstet sind.
An der Kreuzung nehmen wir den rechten Weg und steigen ein paar Meter zu einem Talboden ab. Ein kühles Bächlein gluckert durch die saftigen Wiesen. Über die Trinkwasserversorgung müssen wir uns keine Sorgen machen. Wir sind schnell und leicht unterwegs. Und wenn es uns dürstet, schlürfen wir frisches Bergwasser.
Nach einer Brücke führt der Weg über blockiges Gelände und steigt steiler an. Bis hierher haben wir erst 400 Höhenmeter zurückgelegt, haben aber schon fünf Kilometer in den Beinen. Was jetzt kommt ist ein Anstieg über 1.200 Höhenmeter. Zuerst über viele Serpentinen, auf denen kein Steinchen liegt – perfekt zu laufen. Dann über die griffigen Felsplatten eines Gletscherschliffs. Gerade Linie? Na klar!
Der Grat mit Klettersteig beginnt erst auf 3.000 Metern. Das letzte Stück und das i-Tüpfelchen der Tour sozusagen. Hier kommen uns zum ersten Mal andere Leute unter. Eindrucksvoll und schroff liegt der Gipfelaufschwung vor uns. Wir können es kaum erwarten, Fels zwischen die Finger zu bekommen. Davor verstecken wir unsere Trailrunning-Stöcke hinter einem Stein.
Klettersteig auf den Glödis
Der Gratanstieg ist überwältigend. Die Kletterei wird nie schwierig. Dafür bleibt mehr Zeit, die Landschaft zu bestaunen. Immer wieder stehen wir auf ausgesetzten Grattürmen. Tiefblicke zurück ins Debanttal, Weitblicke in die Schober- und Glocknergruppe.
Lange dürften die Gletscher rund herum noch nicht verschwunden sein. Die Vegetation ist spärlich. Nur Flechten und Moose haben Teile der kargen Gebirgslandschaft zurückerobert und bedecken sie wie grüne Teppiche.
Der Fels ist immer kompakt; nie abgegriffen. Ein klares Anzeichen, wie wenig begangen die Tour ist. Die Route verläuft teilweise direkt am Grat – manchmal müssen wir auf die Ostseite ausweichen. So umgehen wir auch die Seilbrücke, die uns ungesichert zu wackelig ist.
Dann ist das Vergnügen auch schon vorbei. Am schönsten finden wir die Passage über mehrere Felszacken ganz oben am Grat. Zwei, drei flache Schritte und wir erreichen das Gipfelplateau des Glödis.
Wir sind alleine. Ungestört blicken wir in die Dolomiten, zum Hochschober, bestaunen die Schneepyramide des Großvenedigers und den Großglockner, den wir übermorgen in Angriff nehmen wollen.
Zurück geht es über die Aufstiegsroute. Nach einem flotten Downhill legen wir in der Wiese am Bach und an der Lienzerhütte einen Zwischenstopp ein. Nach Kaffee und Kuchen laufen wir uns über die Forststraße aus und fahren dann zurück nach Kals. Es kribbelt schon im Magen, wenn wir an den Stüdlgrat denken. Bleibt gespannt, das Video dazu gibt’s in Bälde.