Tja, dieser Theaterabend könnte viele Titel haben: Die Beschleunigung der Wirklichkeit, die Geister die ich rief, oder auch Kannibalenparade. Eines ist die Theaterinstallations-Trilogie “Total”, die Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski da im I-Camp geschaffen haben, in jedem Fall: Monströs!
Da sitzt man im Foyer und ahnt nichts Böses bis…ja bis ein Gesicht an die Wand projiziert wird. Es katapultiert uns in das Leben in einer für uns nicht mehr allzu fernen Zukunft – man schreibt in etwa das Jahr 2032. Computer gibt es nicht mehr, dafür Chips in unseren Köpfen, auf denen alle für uns relevante Information gespeichert ist. Auch Schulen mit Präsenzunterricht sind nicht mehr notwendig, denn der Lehrstoff wird einfach virtuell ausgewählt und einfach im Gehirn abgespeichert. Dann verschwindet das Gesicht, die Türen zum Saal öffnen sich.
Drinnen stehen auf der Bühne drei große Leinwände, in der Mitte befinden sich Holztische, auf denen Miniaturlandschaften aufgebaut sind, die der Landschaft einer Modelleisenbahn entsprungen scheinen. Der Einmarsch der Zuschauer wird begleitet von lauter Instrumentalmusik. Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski beginnen, mit ihrem Modell dieser Miniaturwelt zu spielen. Was in Wirklichkeit nur winzige Plastikfiguren sind, wird – gefilmt von einer Kamera und projiziert auf die Leinwände – riesig groß. Es ist die Geburt eines Monsters. Eines, das wir durch unsere moderne Zivilisation selbst erschaffen haben: Krieg, Zerstörung der Umwelt, Krieg, Inflation, gegenseitige Zerfleischung und immer wieder Krieg. Untermalt wird dieses Horrorszenario mal von – man kann es nicht anders sagen – Lärm, dann wieder von Klaviermusik und Texten verschiedener Autoren, die aber maschinell verzerrt klingen. Der ganze Schmerz der Menschheit und der Welt wie wir sie kennen wird körperlich erfahrbar. Unterbrochen nur von dem Gesicht, das immer wieder auftaucht und die Zeitreise begleitet. Von der Wirklichkeit, dem Hier und Jetzt scheinen wir uns immer weiter und in atemberaubender Geschwindigkeit zu entfernen.
Nach anderthalb Stunden haben wir es geschafft und sind angekommen im Jahr 2102. Die Welt gibt es nicht mehr, auch der Mensch aus Haut und Knochen ist überflüssig geworden. Abgeschafft hat er sich letztlich selbst, ersetzt wurde er durch Maschinen, die nun nicht nur menschliche Rechte einfordern, sondern auch sämtliche Prozesse der menschlichen Biologie überwunden haben.
Ich bin, das muss ich ehrlich sagen, ziemlich atemlos als ich wieder im Jahr 2012 ankomme und habe angesichts der Flut an Bildern, Klängen und Texten einiges zu verdauen. Das, was ich gesehen habe, waren zwar nur Spielfiguren in einer Modellwelt und nichts als Hypothesen, aber durch den Einsatz sämtlicher Mittel der theatralen Trickkiste sind sie für kurze Zeit zur Wirklichkeit geworden. Und so konsequent durchdacht wie die drei Regisseure das tun, gestaltet sich diese neue Wirklichkeit zu einem Kabinett der Monströsitäten. Erschreckend, aber nicht um des Erschreckens willen, sondern dabei doch immer wunderbar ästhetisch. In der Summe ergibt das einen wirklich gelungenen, lohnenswerten Abend!