EMMA
USA 1932
Mit Marie Dressler, Richard Cromwell, Jean Hersholt, Myrna Loy, u.a.
Regie: Clarence Brown
Dauer: 71 min
Ein Film mit Marie Dressler ist immer einen Blick wert. Bislang kannte ich die bodenständige Schauspielerin mit dem Gesicht einer Bulldogge nur als Nebendarstellerin, welche dem Rest der Besetzung die Show stiehlt (siehe etwa Georg Cukors Dinner at Eight) und wusste bis vor kurzem nicht, dass sie in einigen (wenigen) Filmen auch Hauptrollen spielte. Natürlich wollte ich einen dieser Filme unbedingt mal sehen, und so liess ich Emma aus den USA einfliegen – ein Film, welcher der Dressler eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Dass es sich dabei nicht um eine frühe Jane Austen-Adaption handelt, war mir von Vornherein klar – die Austen-Verfilmungen sind erst seit einigen wenigen Jahrzehnten populär. Die Dressler tritt hier vielmehr als Dienstmädchen Emma auf, das sich im Haus der Familie Smith seit Jahren nützlich gemacht und den Smith-Kindern die früh verstorbene Mutter ersetzt hat.
Die sind nun erwachsen, und zumindest der jüngste, Ronnie (Richard Cromwell), pflegt weiterhin ein herzlich-inniges Verhältnis zu Emma. Die Handlung setzt ein, als Emma nach Jahrzehnten harter Arbeit endlich ein paar Wochen in den längst verdienten Urlaub fahren will. Vater Smith (Jean Hersholt) hilft ihr beim Packen, begleitet sie zum Bahnhof, kauft ihr Zeitschriften – man merkt, dass ihm ihr Weggehen schwerfällt. Schliesslich und endlich, nach langem hin und her, macht er ihr am Bahnhof einen Heitratsantrag.
Kurz nach der Hochzeit mit Emma stirbt er, und nun stürzen sich die Kinder auf das ehemalige Dienstmädchen und bezichtigen sie des Mordes.
Ein Drama also. Aufgrund der Rollen, in welchen ich die Dressler bislang gesehen hatte, war ich eigentlich auf eine Komödie gefasst. Emma beweist: Auch ernste Rollen lagen ihr. Obwohl sie am besten war, wenn sie ein altes Schrapnell, Schlachtross oder einen Drachen zu verkörpern hatte, lagen ihr offensichtlich auch sanftere Figuren wie Emma nicht allzu fern. So oder so: Sie vermochte einen Film über seine ganzen Höhen und Tiefen hinweg zu tragen. Und so ist es gerade für diesen Film ein Glück, dass sie die titelgebende Hauptrolle spielt, denn sonst könnte man ihn getrost vergessen.
Der als „Garbo’s Director“ bekannt gewordene Regisseur Clarence Brown bemüht sich zwar nach Kräften, das doch recht dürftige und manchmal richtungslose Drehbuch inszenatorisch etwas aufzumöbeln, doch die Liebesmüh’ lohnt nicht in jedem Fall. Marie Dressler hat da mit ihrer schieren Präsenz mehr Erfolg.
Man merkt dem Film die Nähe zur Stummfilmzeit deutlich an. Bei sämtlichen Akteuren ist der Hang zur forcierten Pantomime noch deutlich zu spüren – bei einigen, etwa bei Madame Dressler, macht sich dies nur in einigen kurzen „Ausrutschern“ bemerkbar. Anderen wie dem heute kaum mehr bekannten Richard Cromwell möchte man beim Chargieren lieber nicht zuschauen.
Zudem fällt das fast vollständige Fehlen von Filmmusik auf. Während sie im Stummfilm allgegenwärtig und oft das einzige akustische Erzählmittel war, tat sich der Tonfilm wegen technischer Hürden zunächst schwer mit Hintergrundmusik. So liess man sie in den ersten Tonfilmen oft einfach weg, was aber in einer seltsamen, manchmal fast unheimlichen Leere resultierte. In einer Schlüsselsequenz von Emma, der besten des ganzen Films, wurde hier dennoch gezielt und äusserst wirkungsvoll Musik eingesetzt: Als Emma zu Tode betrübt von der fahrenden Kamera begleitet durchs ausgestorbene Herrschaftshaus wandelt, sieht sie in ihrer Erinnerung „ihre“ Kinder als Halbwüchsige, die wie durchsichtige Schemen durchs Dekor geistern – dazu erklingt Brahms Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht“. Bezeichnenderweise läuft diese Szene praktisch stumm ab.
Überhaupt, die fahrende Kamera: Eine Errungenschaft der späten Stummfilmzeit, wird sie in diesem Film geradezu exzessiv eingesetzt. Sie folgt den handelnden Personen fast auf Schritt und Tritt, auch wenn dies nicht zwingend notwendig erscheint. Die daraus sich ergebende Bewegtheit rettet den Film allerdings weder vor seiner Belanglosigkeit noch vor dem Treten an Ort. Die Kamerafahrten bleiben oftmals Selbstzweck und scheinen einzig der Freude des Regisseurs an diesem neuen „Spielzeug“ zu entspringen.
Fazit: Ein Film, der wahrscheinlich ausschliesslich für Fans von Marie Dressler reizvoll ist.
6,5/10
Emma ist nur in den USA erhältlich (in der Warner Archive Collection), bestellbar hier.