Tonfilm-Seitensprung: Hölle auf Erden

Erstellt am 16. August 2011 von Michael

Endlich: Meine vor Monaten angekündigte Review von Fritz Langs Tonfilmschaffen ist einen Schritt weitergekommen. Ich kann nicht versprechen, dass sie in Zukunft schneller voranschreitet – es gibt auch von anderen Regisseuren einfach zu viele interessante Filme!

YOU ONLY LIVE ONCE
(dt.: Gehetzt)
USA 1937
Mit Henry Fonda, Sylvia Sidney, Barton MacLane, u.a.
Regie: Fritz Lang
Dauer: 86 min

In Fritz Langs zweitem im US-Exil gedrehtem Film gibt es, neben den beiden Hauptfiguren nur gerade drei mit positiven Eigenschaften besetzte Charaktere: Der Gefängnispater Dolan (William Gargan), der Anwalt Steven (Barton MacLane) und der Gefängnisinsasse Buggsy (Warren Hymer). Der grosse Rest, die ganze „Belegschaft“ der Nebenfiguren ist seelisch verkommen, fies, selbstgerecht, egoistisch, dumm und in der Gesamtheit seines Auftretens hässlich. Es ist, als wolle der gerade aus Deutschland geflüchtete Regisseur Fritz Lang zeigen, dass die Welt nichts anderes sei als die von der Kirche beschworene Hölle, von der uns nur der Tod erlösen könne, der seinerseits den Eintritt ins Paradies bedeute. Als der von allen irdischen Mächten gehetzte und schliesslich tödlich verwundete Ex-Sträfling Eddie (Henry Fonda) mit seiner toten Frau im Armen schliesslich stirbt, hört er eine himmlische Stimme, die ihn mit den Worten zu sich ruft: „Eddie! The gates are open, Eddie! You’re free!” Expliziter geht es nicht.

Lang selbst bezeichnete You Only Live Once als „ein bisschen zu sehr konstruiert“. In der Tat krankt das Drehbuch von Gene Towne und C. Graham Baker stark an einer ständig sicht- und spürbaren Konstruiertheit; Langs meisterhafte Inszenierung lässt dies zwar bisweilen vergessen, nach Filmende sass zumindest ich mit einem bitteren Nachgeschmack da.

Henry Fonda spielt den Ex-Sträfling Eddie Taylor, der mit seiner Verlobten Joan (Sylvia Sidney) ein bürgerliches Leben anfangen will.
Schon sehr schnell wird klar: Die Gesellschaft wird dies nicht zulassen. Eddie wird im Honeymoon-Hotel erkannt, worauf das frisch getraute Brautpaar brutal auf die Strasse gesetzt wird. Dann verliert er seine Arbeit – ein Ex-Sträfling kann sich keine Fehler leisten. Ohne Job kann Eddie die Raten am Haus nicht mehr bezahlen.
So geht das weiter und immer weiter. Eddie hat keine Chance. Ständig trifft er auf bornierte, hässliche, bösartige Bürger oder Gesetzesvertreter, die ihm seine Vergangenheit vorhalten und seinen guten Willen ignorieren, kurz, die ihm genüsslich übel wollen. Alle haben sie sich gegen ihn verschworen. Zuletzt sitzt er wieder im Gefängnis – unschuldig zum Tod verurteilt.

Parallelen zu Langs Vorgängerfilm Fury bieten sich geradezu an: Ein Unschuldiger wird von der Gesellschaft verurteilt und in die Rolle des Bösewichtes geradezu gedrängt. Entlud sich in Fury der Hass der Bürger in einem einzigen unheilvollen Moment, zieht sich der Hass in You Only Live Once über einen Zeitraum von mehreren Monaten und über den ganzen Film hinweg. Wo er sich auch hinwendet, Eddie trifft nur auf Hass und Borniertheit.

Gegen eine solche Aussage wäre nichts einzuwenden. Die grosse Schwäche des Films ist aber die: Man glaubt diese konstante Folge von üblem Willen nicht, weil sie in dieser Häufung und in der gezeigten Konstellation schlicht nicht möglich ist. Ein Beispiel von (zu) vielen: Eddie bricht aus dem Todestrakt auch (wie er das tut ist schon unglaubwürdig genug); er nimmt den Gefängnisarzt als Geisel und bahnt sich einen Weg zum Gefängnistor. „Wenn ihr schiess, stirbt der Arzt“, schleudert er der bewaffneten Polizistenmeute entgegen. Die Atmosphäre ist zum Zerreissen gespannt. Und genau in diesem Moment – nach monatelanger Wartezeit – trifft das Begnadigungsschreiben ein. Natürlich glaubt der zum Letzten entschlossene Eddie kein Wort, erschiesst den sich nährenden Pfarrer – und hat sich damit erstmals eines wirklichen Verbrechens schuldig gemacht, das ihn nun zum Gejagten macht.

Solche Momente vermitteln den Zuschauenden deutlich das Gefühl, dass die Welt, die Menschheit, das Schicksal von den Filmemacher mit allen Mitteln als ungerecht und böse hingebogen werden soll, nur damit die Aussage des Film am Schluss aufgeht. An jeder Handlungs-Kreuzung wählen die Drehbuchautoren den schlimmstmöglichen Weg. Eddie hat soviel Pech wie Donald Duck, und es gibt Momente, da wähnt man sich in einem billigen B-Movie.
Vergleiche mit John Fords vier Jahre später entstandenem Meisterwerk The Grapes of Wrath drängen sich auf – interessanterweise lieh auch dort Henry Fonda der geschundenen Hauptfigur seine Duldermiene. Auch bei Ford treten abscheuliche Figuren auf – aber auch das Gute hat dort – wie in der Realität auch – seinen Platz.

Die positiven Figuren bei Lang handeln bei näherer Betrachtung entweder unglaubwürdig (der Mit-Sträfling Buggsy, der dem Todeskandidaten kurz vor der Exekution zu einer Waffe verhilft), dumm oder schwach (der Gefängnispfarrer redet zwar edelmütig, verschuldet aber durch sein Handeln Eddies Mordtat; Eddies der Anwalt kann trotz aller Anstrengung nichts zum Positiven richten, jedenfalls bleiben seine Taten folgenlos angesichts der Übermacht der niederen Instinkte).

So mag der Film zwar Langs Weltsicht durchaus wiedergeben – weitere grundpessimistische Werke sollten folgen – zu seinen Meisterwerken zähle ich You Only Live Once jedoch nicht, denn das würde ein gutes Drehbuch einschliessen.

Man muss dem Regisseur Fritz Lang aber zugute halten, aus dem schwachen Stoff das denkbar Beste gemacht zu haben – Kraft seiner Bilder und der stringenten Inszenierung. Die ständigen verbalen Anspielung auf das bittere Ende wirken penetrant und angesichts der Bilder unnötig, die Lang findet, um dasselbe auf wesentlich subtilere Weise zu bewirken, indem sie das Unterbewusstsein des Betrachters darauf vorbereiten: In einem Teich wird das Spiegelbild des glücklichen Paares von Wellen ausgelöscht; eine Kinderschaukel im Regen kündet das Zerbrechen des Traumes vom bürgerlichen Leben an. Solche Metaphern wirken heute zwar auch etwas aufdringlich, doch lassen solche Bilder erkennen, dass die Stummfilmzeit 1937 noch nicht weit zurück lag. Lang wurde mit seinen Stummfilmen gross und legte auch in Hollywood noch immer deutlich mehr Wert auf die Bildsprache, als den Worten zu vertrauen.

Und darin liegt nach meiner Ansicht der Wert dieses eher schwachen Films: In der Kraft der Bilder und im Vertrauen auf deren narrative Qualität. Sie sind in der Tat so stark, dass man sich die Löcher im Drehbuch und in der Logik gefallen lässt. Dies war ja bereits in Metropolis der Fall – doch dem lag das deutlich bessere Drehbuch zugrunde.
7/10

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