Tonfilm-Seitensprung: Ein Butler wird Mensch

RUGGLES OF RED GAP
(dt.: Ein Butler in Amerika)
USA 1935
Mit Charles Laughton, Charlie Ruggles, Mary Boland, ZaSu Pitts, Roland Young, Lucien Littlefield u.a.
Regie: Leo McCarey
Dauer: 85 min

Tonfilm-Seitensprung: Ein Butler wird Mensch

Ein heute sträflich vernachlässigter Komödien-Klassiker, der durchaus als Vorläufer von Frank Capras vier Jahre später entstandene Werke um Mr DeedsMr Smith oder John Doe gelten kann und der einen ganz ähnlichen Geist von utopischem Sozialhumanismus atmet, ist Leo McCareys 1935 entstandener Ruggles of Red Gap. Im europäischen Raum war er bislang nur auf einer DVD der französischen BAC-Films greifbar (er erschien in deren Reihe Hollywood Comédie); nun hat die englische Firma Eureka den Film in sein exklusives Masters of Cinema-Programm (MoC) aufgenommen – eine Ehre, die ihm zweifellos gebührt!

Ruggles of Red Gap ist zuerst einmal ein Roman-Serial, das der Autor Harry Leon Wilson 1914 für die Saturday Evening Post verfasst hatte. Als es ein Jahr später in Buchform erschien, wurde das Werk sofort zum Bestseller. Noch im selben Jahr entstand am Broadway eine mässig erfolgreiche Musical-Version, eine Verfilmung folgte drei Jahre später (mit Taylor Holmes als Ruggles).
1923 drehte Regisseur James Cruze eine Neufassung mit Edward Everett Horton und Ernest Torrence in den Hauptrollen (ein Stummfilm mit Traumbesetzung, der auf meine Wunschliste kommt).

Tonfilm-Seitensprung: Ein Butler wird Mensch

Komödienerprobter Regisseur: Leo McCarey

Leo McCarey zeichnete für Inszenierung des Tonfilmremakes verantwortlich. Sein grosses Talent als Komödienregisseur konnte McCarey in Hal Roachs Lot of Fun, zusammen mit Komödianten wie Charley Chase und Stan Laurel & Oliver Hardy zur Perfektion ausbilden. Vor der Kamera sorgten zudem komödiantische Vollprofis für den Erfolg von Ruggles of Red Gap, und den beiden Autoren Walter DeLeon und Harlan Thompson gelang eine schlichtweg grossartige Adaption von Wilsons Roman. So wurde Ruggles of Red Gap zur absolut “runden Sache”, die zumindest in ihren komödiantischen Elementen noch heute frisch und unwiderstehlich komisch wirkt.

Der treue Butler Ruggles erfährt eines Morgens von seinem verkaterten “Master”, dem Earl of Burnstead (Roland Young), dass dieser ihn beim Poker an ein amerikanische Ehepaar verloren habe. “Poker, Sir?” fragt der Butler, der sein Entsetzen und seine Abscheu nur mühsam verbergen kann. “America – a country of slavery,” ist sein nächster gequälter Gedanke.
Dass er ausgerechnet im “Sklavenland”, in einem abgelegen Kaff des wilden Westens notabene, lernt auf eigenen Beinen zu stehen, ist eine Ironie, deren patriotistischer Hintergrund auf heutige Zuschauer eher schal wirkt. Die USA , das “Land of the Free”, wo Butler zu selbstbestimmten Menschen werden – diese zentrale Botschaft könnte geschichtsbewusste Kinogänger stören. Doch sie ist – mit Ausnahme einer kurzen Sequenz – recht unaufdringlich verpackt und wird mit derart viel Charme und inszenatorischem wie schauspielerischem Talent überbracht, dass man sich eigentlich nicht beklagen kann.
Man spürt den Stolz der Macher auf ihr Land (und erinnert sich dadurch an so manchen US-Film, der einem dadurch vergällt wurde), er ist sogar zentrales Element des Films, doch der Patriotismus wirkt aus heutiger Sicht angestaubt, man kann ihn nicht mehr ernst nehmen. Wir haben es hier mit einem Paradox zu tun: Mit einem heute noch frisch und frech wirkenden Film, dessen Grundaussage Staub angesetzt hat.

Es erübrigt sich, darüber zu diskuteren, ob Regisseur McCarey im Grunde seines Herzens ein Reaktionär war oder nicht. Es spielt – zumindest für diesen Film keine Rolle, da er durch seine herrlichen Dialoge, die exakt getimte Komödiendramaturgie und durch ein durchs Band grandioses Schauspielerteam glänzt, sosehr, dass die eigentliche Aussage aus zeitlicher Distanz zur Nebensache wird. Der Film macht Spass, weil jede Minute durchscheint, was für einen Heidenspass die Beteiligten dabei hatten. Und der reaktionäre Part hält sich dabei so dezent im Hintergrund, dass er weniger aufmerksamen Kinogängern glatt entgehen kann.

Charles Laughton hebt an zentraler Stelle zu einer Amerika-Hymne an und liefert damit die oben erwähnte kurze Sequenz pentranten Patriotismus’. Laughton rezitiert Abraham Lincolns  ”Gettysburg Adress”, eine Grussbotschaft, welche Lincoln anlässlich der Errichtung eines Soldatenfriehofs in Gettysburg im Jahre 1863, mitten im Getöse des amerikanischen Bürgerkriegs an die vom Krieg gebeutelte Bevölkerung richtete. Die Sequenz stört nicht allzusehr, das sie, wie eigentlich fast alles in diesem Film, ironisch gebrochen wird: Keiner der im Saloon anwesenden Amerikaner kann sich an den Inhalt von Lincolns Rede erinnern; der englische Butler jedoch weiss sie auswendig.
Bezeichnenderweise liebten die Amis Laughton dafür, und er musste Lincolns Rede Zeit seines Lebens immer wieder zum besten geben, im Fernsehen, im Radio und auf Schallplatte. Im Film sieht das folgendermassen aus (Übersetzung siehe unten):

Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese oder jede andere so gezeugte und solchen Grundsätzen geweihte Nation dauerhaft bestehen kann. Wir haben uns auf einem großen Schlachtfeld dieses Krieges versammelt. Wir sind gekommen, einen Teil dieses Feldes jenen als letzte Ruhestätte zu weihen, die hier ihr Leben gaben, damit diese Nation leben möge. Es ist nur recht und billig, dass wir dies tun. Doch in einem höheren Sinne können wir diesen Boden nicht weihen – können wir ihn nicht segnen – können wir ihn nicht heiligen. Die tapferen Männer, Lebende wie Tote, die hier kämpften, haben ihn weit mehr geweiht, als dass unsere schwachen Kräfte dem etwas hinzufügen oder etwas davon wegnehmen könnten. Die Welt wird wenig Notiz davon nehmen, noch sich lange an das erinnern, was wir hier sagen, aber sie kann niemals vergessen, was jene hier taten. Es ist vielmehr an uns, den Lebenden, dem großen Werk geweiht zu werden, das diejenigen, die hier kämpften, so weit und so edelmütig vorangebracht haben. Es ist vielmehr an uns, geweiht zu werden der großen Aufgabe, die noch vor uns liegt – auf dass uns die edlen Toten mit wachsender Hingabe erfüllen für die Sache, der sie das höchste Maß an Hingabe erwiesen haben – auf dass wir hier einen heiligen Eid schwören, dass diese Toten nicht vergebens gefallen sein mögen – auf dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben – und auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge.

Also: Wer je auf diesen Film stösst – unbedingt ansehen! Der grandiose Charles Laughton ist ein Grund, sich irgendeinen einen mittelmässigen Film anzuschauen. Hier wird er von einer Truppe nahezu gleichwertiger Akteure sekundiert und von einem Regisseur in Szene gesetzt, der die Komödie von der Pike auf gelernt hat. Ruggles of Red Gap ist in erster Linie eine herrliche Komödie und als solche sollte er genossen werden. Über den “Sinn” dahinter kann man heute getrost hinwegsehen. Darüber zu brüten führt jedenfalls nicht allzu weit.

Tonfilm-Seitensprung: Ein Butler wird Mensch

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