Tonfilm-Seitensprung: Die erste Loser-Komödie

I SOLITI IGNOTI
(dt.: Diebe haben’s schwer)
Italien 1958
Mit Vittorio Gassman, Memmo Carotenuto, Matrcello Mastroianni, Claudia Cardinale u.a.
Regie: Mario Monicelli
Dauer: 106 min

Tonfilm-Seitensprung: Die erste Loser-Komödie

Im Jahre 1958 drehte der italienische Regisseur Mario Monicelli einen Film, der ein Kassenhit werden sollte und der noch 50 Jahre später vielen Gaunerkomödien als Vorbild diente. Viele Anhänger der von George Clooney mitproduzierten, äusserst erfolgreichen US-Komödie Welcome to Collinwood (dt.: Safecrackers oder: Diebe haben’s schwer) von 2002 wissen gar nicht, dass sich die Produzenten und die Drehbuchautoren bis in kleinste Details bei I soliti ignoti bedienten. Welcome to Collinwood ist ein Eins-zu-eins-Remake des letzteren – freilich, ohne dessen Qualitäten auch nur entfernt zu erreichen.

Monicellis Film versteht sich als Parodie auf den damals beliebten film noir und auf Heist-Filme wie Jules Dassins Rififi (1954), auf den er direkt Bezug nimmt, oder John Hustons Aspahlt Jungle (1950). Doch anders als bei den genannten Vorbildern, wo aufeinander eingespielte Teams einen minuziös geplanten Einbruch verüben, geht bei Monicelli erstmals eine völlig dilettantische, vom Zufall  zusammengewürfelte Bande ans Diebes-Werk. Dieses Setting war derart erfolgreich, dass weitere ähnliche Filme folgten (u.a. Louis Malles Crackers, Peter Yates’ The Hot Rock oder William Friedkins The Brink’s Job).

Zudem bettet Monicelli seine von permanent sanftem Witz umspielte Geschichte in den Neorealismo des damaligen italienischen Kinos ein, ohne jedoch in dessen Verzweiflung einzustimmen; die Armut ist zwar das Hauptthema, sie wird aber kaum angesprochen. Im Bild ist sie aber derart präsent, dass sie – neben der Diebesbande – zum zweiten Hauptdarsteller wird.  Sie bildet zudem eine realistische Szenerie, vor deren Hintergrund die hanebüchene Geschichte glaubhaft wird.

Der Film weckt auf den ersten Blick den Eindruck eines Museumsstücks; er ist in der Tat ein Fenster ins Italien der späten Fünfzigerjahre. Trotzdem wirkt er in seinem Erzählduktus und durch seine universellen Charaktere noch heute frisch und lebendig und man kann ihn mit beträchtlichem Gewinn geniessen.

Einerseits dank seinem musealen Charakter; bis hin zur Musik ist hier (natürlich!) alles Fünfzigerjahre pur. Dann dank der gewitzt aufgebauten Erzählung, deren Fortgang stets neue Überraschungen bringt und deren einzelne Sequenzen wie eine Kette von glänzenden und funkelnden Dialogperlen oder erzählerischer Diamanten wirken.

Und es gibt auch Selbstbezüge zum Kino und seiner Geschichte, einerseits durch die Verwendung von in der Stummfilmzeit üblichen Zwischentiteln, andererseits durch die Figur des Tresorspezialisten Dante Cruciani (Totò), der sich bei der Arbeit wie ein Filmkritiker gebärdet.

Die Geschichte dreht sich um den geplanten Raub bei einem Juwelier, dessen Tresore praktisch auf dem Präsentierteller in einem Mietshaus liegen, direkt neben einem leerstehenden Appartement mit dünner Zwischenwand. Dummerweise wird der Kopf der Bande wegen eines dilettantisch durchgeführten Autodiebstahls eingebuchtet. Der Gelegenheitsdieb und Möchtegern-Boxer Peppe entlockt ihm den Plan durch eine Finte und will nun „das grosse Ding“ selbst durchführen – mit einer zusammengewürfelten „Gang“ von höchst eigenwilligen Individuen. Es geht alles schief, was nur schiefgehen kann; am Schluss beginnt Peppe ein ehrliches, wahrscheinlich bürgerliches Leben.

I soliti ignoti ist in erster Linie ein Unterhaltungsfilm, allerdings einer, der mit seinen deutlich sozialkritischen Untertönen eine gewisse Tiefe erreicht. Die Figurenzeichnung verrät zudem soviel Menschenliebe, dass man auch auf dieser Ebene von Tiefgründigkeit sprechen kann. Der arbeitslose Fotograf Tiberio etwa, der ständig sein Baby mitschleppt, weil seine Frau hinter Gittern sitzt, ist eine in seiner fürsorglichen Überstrapaziertheit anrührende Figur, ebenso Peppe, der grossprecherische, stotternde Vorstadt-Macho, ganz zu schweigen von Dante Cruciani, dem „König der Safeknacker“ mit seiner lächerlichen Grandezza.

Für Claudia Cardinale und Marcello Mastroianni war dieser Film ein bedeutender Stein zum Aufbau ihrer grossen internationalen Karrieren. Und der bis dahin ausschliesslich in ernsten Rollen aufgefallene Vittorio Gassmann konnte mit I soliti ignoti sein Repertoire ins komische Fach erweitern.

Regisseur und Drehbuchautor Monicelli durfte sich später rühmen, mit diesem Film die film noir-Welle beendet und den Weg für die pfiffige Loser-Komödie geebnet zu haben.
Zwei Jahre später drehte Nanny Loy mit der selben Schauspielertruppe eine Fortsetzung, L’ audace colpo dei soliti ignoti (dt.: Diebe sind auch Menschen) und fast dreissig Jahre danach, 1985, kam eine weitere Fortsetzung, I soliti ignoti vent’anni dopo (dt.: Diebe haben’s schwer – zwanzig Jahre danach) von Amanzio Todini in die Kinos.
9/10

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Auf DVD gibt’s diesen Film natürlich in Italien – in Deutschland ist er leider nicht erschienen. Meine DVD-Ausgabe stammt aus den USA, von Criterion Collection.


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