Toller Erfolg!

Wie nähert man sich einem Künstler, dessen Werk – nicht nur in Wien – bestens bekannt ist? Gibt es sinnvolle Möglichkeiten, biografische Umstände so zu vermitteln, dass diese über eine voyeuristische Komponente hinausgehen?
Das Leopold Museum in Wien stellte sich der Herausforderung im Hinblick auf die derzeitige Präsentation mit dem Titel „Kokoschka – Das Ich im Brennpunkt“ und zeigt zugleich die erste Monographie des Künstlers in diesem Hause. Gerade in die Verlängerungsrunde gegangen, ist die Schau noch bis 3.3.2014 zu sehen und hält für die Besucherinnen eine große Anzahl von Fotos und Originalen bereit, die von einer Reihe nationaler und internationaler Leihgebern stammen.

Diese Mischung garantiert tatsächlich einige Aha-Erlebnisse und stellt das Werk und das Leben des Künstlers zugleich ins Scheinwerferlicht. In Zusammenarbeit mit dem Oskar Kokoschka-Zentrum der Universität für angewandte Kunst Wien, in dem tausende Kokoschka-Fotos verwahrt werden, aber auch einer Reihe privater und institutioneller Leihgeber fokussiert die Ausstellung hauptsächlich auf fotografische Portraits des Künstlers und stellt diesen ausgewählte Arbeiten aus der jeweils korrespondierenden Werkphase zur Seite. Auf diese Weise ist es möglich, den Lebens- und Schaffensweg von Oskar Kokoschka chronologisch nachzuverfolgen. Dabei bilden die Portraitfotos eine eigene Ausstellung in der Ausstellung, kann man doch nicht nur die unterschiedlichen Genres wie Schnappschüsse oder inszenierte Atelierportraits betrachten, sondern erhält auch einen Einblick über die Selbstinszenierung des Künstlers, sowie die ästhetische Entwicklung des Mediums über einen Zeitraum von ungefähr 80 Jahren.

Gleich zu Beginn erlebt man Kokoschka „hautnah“. In einer Abfolge von Fotografien aber auch in einem Filmpuzzle kommt der Meister persönlich mit einigen Statements zu Wort, welche in die angrenzenden Räumlichkeiten nachhallen. Einer seiner Kernsätze dabei „Das Geistige ist doch der Mensch!“ sollte zeitlebens zum Movens seiner vielen Portraits werden, mit denen er sicherlich nicht nur seines Könnens wegen, sondern auch seiner resistenten Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus beauftragt wurde. In einem der Räume findet sich ein trotziges Zitat des Nazi-Verfemten, dessen Bilder sich in der berüchtigten Wanderausstellung „Entartete Kunst“ fanden. „Toller Erfolg!“ schrieb Kokoschka voll Ironie. „ Die Ausstellung „Entartete Kunst“ hatte zwei Millionen Besucher. Noch nie waren zwei Millionen vor meinen Bildern gestanden“. Dass ihm diese Diffamierung jedoch extrem nahe ging, zeigt sich auch in der Sammlung der Pressemeldungen zu diesem Thema, die Kokoschka mit seiner Frau im Londoner Exil sammelte. Sein „Selbstbildnis als entarteter Künstler“ aus dem Jahr 1937 lässt keinen Zweifel daran, dass Kokoschka sich künstlerisch unbeugsam gab. Mit kräftigen Pinselstrichen ganz an die Bildvorderkante gerückt, blickt er ernst, mit verschränkten Armen aus dem Bild. Eine mit Tier und Mensch belebte Waldlandschaft im Hintergrund verortet den Künstler nicht innerhalb eines bestimmten Ateliers, sondern setzt ihn ganz im Gegenteil in eine unbeschädigte Naturlandschaft, die Inspiration und Schutz für den Künstler zugleich bedeuten.

Oskar Kokoschka - Selbsbildnis

Selbstbildnis an der Staffelei, 1922, Sammlung Leopold II, © Fondation Oskar Kokoschka/VBK, Wien / Vienna 2013

Tobias G. Natter, Ausstellungskurator und Künstlerischer Direktor des Leopold Museums gelang neben der fotografischen Performance Kokoschkas auch eine überaus gelungene Platzierung eines der Werke, welches sich in der Sammlung Leopold II befindet. „Selbstbildnis an der Staffelei“ von 1922 zeigt ihn – umgeben von Fotos mit der Auftragspuppe, die er nach der Beziehung mit Alma Mahler anfertigen ließ – als jungen Künstler, hin- und hergerissen zwischen Eros und Malerei. Die Finger seiner rechten Hand zwicken in den Oberschenkel der stehenden, nackten Puppe, seine linke ist dabei, Pinselstriche auf einer Leinwand anzubringen. Sein Konterfei dazwischen blickt kerzengerade die Betrachtenden des Bildes an. Mehr Aufforderung als Fragestellung, mehr Zustandsbericht als Lösungsvorschlag – so präsentiert sich der junge Künstler in diesem herausragenden Werk, das viele andere in den Schatten stellt. Obwohl im Katalog der Blick aus dem Atelierfenster in die dahinter liegende Elblandschaft gerühmt wird, ist es doch vielmehr das aktive Geschehen im Atelier selbst, das fesselt. Wenngleich in diesem Werk Kokoschkas spätere Leidenschaft für Städtepanoramen bereits zart anklingt. Immer wieder ist es die Zwiesprache zwischen Gemälden und Fotos, welche die Begegnung mit Kokoschkas Bildern in einen neuen oder besser gesagt, erweiterten Zusammenhang stellen. Die Aufnahmen von seiner Afrikareise und die dazugehörigen Werke wie der „Markt in Tunis“ von 1928/29 oder „Exodus“, ebenfalls von 1928, in welchem der lange Zug einer Karawane vor einer beeindruckenden Wüstenlandschaft sichtbar wird, beleben sich gegenseitig und lassen Kokoschkas Empfindungen und Eindrücke auf dieser Reise in seiner Malerei nachvollziehbar werden. Neben seinen berühmten Werken die in seinen Exilzeiten in Prag oder London entstanden sind, oder den schon angesprochenen späteren Städteportraits, sind es vor allem jene fotografischen Aufnahmen, die anerkannte Fotokünstler von ihm fertigten, die bei dieser Schau beeindrucken. Und die deutlich aufzeigen, dass sich Kokoschka der Wirkung dieser Bilder voll und ganz bewusst war. Stets als denkender Künstler dargestellt, war er sich dennoch nicht zu schade, in einigen dieser Bilder auch eine gehörige Portion Humor durchblitzen zu lassen. So in den herausragenden Portraits von Madame d`Ora (Paris 1930) in welchen er in kurzen weißen Hosen, die Hände in die Taschen des weißen Sakkos gesteckt, lausbubenhaft vor einer weißen Wand steht. Oder in jener Aufnahme von George Platt Lynes aus dem Jahr 1949 in New York, in welcher er mahnend einen Finger erhebt, durch die starke Beleuchtung seines Gesichtes von unten und die Stütze der Hand auf einen riesigen Ventilator zugleich diese Belehrungsgeste aber ad absurdum führt. Nicht zuletzt in den zwei Fotos von Sven Simon (eigentlich Axel Springer Jr.), in welchen er mit Kostüm und Attributen ausgestattet, Kokoschka einmal als „Brandstifter“ und einmal als „Zauberer“ präsentiert.

Oskar Kokoschka mit kahlrasiertem Kopf

Oskar Kokoschka mit kahlrasiertem Kopf, 1909, Mattalbuminabzug, ÖNB / Wien, Pf 2783: D

Welch großer Unterschied im Gegensatz dazu eines der frühen Portraits von Wenzel Weis, das den Künstler 1909 mit kahlrasiertem Kopf zeigt. Ausdruck seiner persönlichen Manifestation als „Oberwildling“, wie er von Ludwig Hevesi anlässlich der Wiener Kunstschau von 1908 tituliert wurde, steht es pars pro toto für all jene späteren Fotos, die Kokoschka zwar als immens präsenten Charakter, dennoch aber durchgeistigt präsentieren. Eigenartigerweise ist es ist nicht das letzte Bild von Kokoschka, in welchem er mit seiner Frau in seinem Haus zu sehen ist, das den stärksten Nachhall hervorruft, wenngleich doch emotional hoch besetzt, sondern ein Bild von Derry Moore, auf welchem der weißhaarige Künstler mit einer weißen Muschel in der Hand geradeaus in die Kamera blickt. Obwohl Dezennien zwischen der Pose als glattrasierter junger Mann und jener Abbildung aus dem Jahr 1974 vergangen sind, atmen beide Portraits doch denselben Geist. Ein Künstler, der sich seiner selbst und vor allem seiner Kunst bewusst war – in jungen Jahren genauso wie in seinen letzten.

Die Ausstellung „Kokoschka – Das Ich im Brennpunkt“ schaukelt gekonnt die Aufmerksamkeit des Publikums zwischen Werk und fotografischer Dokumentation hin und her. Das eine verbindet sich mit dem anderen, ergänzt teilweise, oder unterstreicht, drängt sich hier und da wechselseitig in den Vordergrund, bleibt aber ständig in einer ausgewogenen Balance. Dass das Museum eine Eintrittskarte anbietet, mit der man öfter als einmal diese Inszenierung besuchen kann, ist logisch.
Erwähnenswert ist der Katalog, in welchem nicht nur in einigen kunsthistorischen Betrachtungen auf Kokoschkas Beziehung zur Fotografie eingegangen wird, sondern in welchem sich vor allem auch die Biografien jener Fotografinnen und Fotografen finden, die in der Ausstellung vertreten sind. Alleine deswegen schon beachtenswert.


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