Tola – oder Tefillat Ha‘Derech Le‘Internet

Von Qohelet17

Viele Geschichten, die sich im Leben abspielen sind scheinbar irgendwann zuende. Manchmal ist das gut, manchmal ist das weniger gut, meistens jedoch unerwartet. Für mich gleicht das Leben einer Wanderung, bei der man nicht weiß, welche Gipfel man besteigen wird. Das Ziehen der Wolken oder des Weges kann vieles verändern. Ebenso der oder die Partner, mit dem man Abschnitte dieses Weges – oder des Lebens geht. Manche sind schneller, manche sind langsamer, manchen bringt man etwas bei und von vielen wird man etwas lernen.

Ein Bekannter von mir, der im Stadttempel Wien das Gemeindeleben bereichert hat mir vor Jahren einmal gesagt, dass er uns Tiroler irgendwie bewundert. Wir hätten oft einen anderen Blick auf bestimmte Dinge. Woher das käme, weiß er nicht, aber vielleicht hat man oben auf den Bergen, auf denen wir oft sind einfach eine bessere Sicht.

Es gibt aber noch ein anderes Volk, das wie wir Tiroler in den Bergen lebt: Die Kurden.

Von zwei meiner Freunden aus diesem Volk wird diese für meinen Blog doch etwas atypische Geschichte handeln.

Und von einem Weg, den ich vor sehr langer Zeit einmal eingeschlagen habe – und der jetzt um eine neue Route erweitert wurde. Anders als im Fernsehen weiß man im echten Leben nie, wann und ob eine Fortsetzung folgt.

Ich möchte diese Geschichte drei Personen widmen:

Erev Schabbat mit Malka

Malka, meiner lieben Freundin und Stammleserin in Jerusalem. Der ich -obwohl sie nicht einmal präsent war- den jüngsten Teil des Pfades zu verdanken habe.

Mit Ferhat vorm Matterhorn

Ferhat, einem Kurden aus der Schweiz, der dieses Wochenende wieder einmal mein Gastgeber war und dem ich sehr dankbar dafür bin, dass er mir so viele Einblicke in die kurdische Kultur gegeben hat. Im Übrigen wäre diese Welt ein besserer Ort, wenn man sich nur mit 1% der Menschen über so vieles so reden könnte wie mit ihm.

Tola, der in diesem Artikel eine Art Hauptrolle einnimmt… Ich bin gespannt, wie es weitergeht…

Die Geschichte beginng hier…

Zurück in Yeruschalaim

September 2010. Wieder einmal geht ein Tag in Jerusalem zuende. Man merkt, dass langsam der Herbst kommt, da die Luft feuchter wird. Während die Tage mir mittlerweile aufgrund der Hitze und der Feuchte zusetzen kühlt es in der Nacht so stark ab, dass ich das Fenster schließen muss.

Meine Zukunft in Israel ist ungewiss – ebenso, wo ich künftige Nächte verbringen werde. Doch auch, wenn mich diese Mischung an Grenzen bringt, die ich zuvor noch nie erreicht habe, gibt es eine Zeit in der Woche, die mich all dies vergessen lässt.

Erev Schabbat – oder der Freitagabend

Etwas ausgelaugt komme ich bei Malka an, wir gehen in die Reformsynagoge und danach gibt es mit einigen Gästen das traditionelle Kiddusch-Essen, bei dem ich mir – und alle anderen – auch, wenn nur ein paar Leute Religion, Herkunft oder Sprache verbindet, wie in einer Familie vorkomme. Wenn ich heute zurückdenke wüsste ich nicht, ob und wie ich die Zeit in Israel ohne diese Momente überstanden habe…

Als ich wieder in Europa bin, erhole ich mich langsam, denke oft zurück und irgendwann bemerke ich auf Facebook eine Freundschaftsanfrage: ein gewisser Tola – geschrieben in Hebräischen Buchstaben. Irgendwie lässt mich mein Gedächtnis im Stich, warum ich sie angenommen habe (auch würde ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, ob nicht ich ihm eine Anfrage geschickt habe). Den Herrn kannte ich nicht, ein kurzer Mailwechsel war weniger fruchtbar, aber er war mit Malka befreundet. Womöglich war das der Grund, warum ich die Anfrage angenommen habe, normalerweise mache ich so etwas bei Unbekannten nicht….

Es ist einiges an Zeit verstrichen, bis wir hin und wieder die Statusmeldungen des jeweils Anderen kommentiert haben…

Newroz

Vor ein paar Tagen begann das traditionelle persisch-kurdische Fest Newroz. Das Neujahrsfest. Irgendwann in meinem Leben möchte ich in Persien (sofern er frei ist) oder Kurdistan (natürlich nur mit dem obligatorischen Von-Der-Polizei-Dafür-Niedergeknüppelt-werden) mitmachen.

In den genauen Einzelheiten ist mir das Fest leider nicht bekannt, aber mit Gottes Hilfe werde ich irgendwann mitfeieren und euch alles berichten…

Wichtig dabei ist, dass man über ein Feuer springt. Ich denke, dass diese Tradition auf die Bedeutung des Feuers im Zoroastrismus, der ältesten monotheistischen Religion (die mich im übrigen auch sehr fasziniert) zurückgeht. Das Feuer besitzt lt. diesem Glauben einen besonders reinigenden Charakter, weswegen es eine besondere Stellung einnimmt (verächtlich werden die Parsen, wie sie früher genannt wurden von manchen Muslimen als „Feueranbeter“ bezeichnet, was allerdings Nonsens ist).

Tola war, wie ich inzwischen erfahren hatte Kurde und hatte mich auf einem Bild von Newroz verlinkt. Es hat mich natürlich gefreut, nur wurde ich etwas missmutig, da schon wieder ein Jahr vergangen ist, in dem ich wahrscheinlich über kein Feuer springen sollte… Es sah zumindest nicht so aus.

Frankreich oder Schweiz?

Bevor es allerdings soweit kam ist etwas Anderes passiert, was die Geschichte erst möglich machte. Mir wurde ein Projektauftrag in Vesoul, Frankreich zugeteilt. Nachdem das sicher war und ich die Entfernung von Vesoul-Bern mit etwa drei Stunden beziffert habe, war mir klar, dass ich das Wochenende nicht in Frankreich verbringen würde, obwohl mich Dijon gereizt hätte. Mein Weg sollte zu Ferhat gehen, den ich schon seit etwa drei Jahren nicht mehr persönlich getroffen habe.

Die Entscheidung kam einfach aus dem Bauch heraus, einfach, weil ich der Meinung war, ich solle die Reise machen.

Ferhat ist ein Gastgeber, wie ich selbst gerne einer wäre. Er weiß von meiner Abenteuerlust und hatte schon bei meinem ersten Besuch ein Programm parat, dass sich sehen lassen konnte. Da auch er das Matterhorn noch nie in echt gesehen hatte fuhren wir nach Zermatt im Kanton Wallis (wo übrigens der älteste alemannisch-deutsche Dialekt gesprochen wird) und waren überwältigt von den Touristen und der Schönheit der Schweizer Berge.

Das Matterhorn ist zwar weder klettertechnisch, noch von der Höhe überinteressant, jedoch bietet die isolierte Lage nicht nur einen einzigartigen Ausblick von oben, sondern auch von unten.

Newroz für Europäer

Das "Newroz-Feuer"

Auf dem Rückweg durch die Stadt bemerkten Ferhat und ich, dass eines der vielen Hotels Fackeln aufgestellt hatte. Die Temperaturen fallen speziell in Wallis doch noch recht tief , wenns finster wird und wir wärmten uns kurz, wobei mir eine Idee kam: Die Fackel sei mein Newroz-Feuer.

Ferhat fand das dann weniger lustig. Erstens waren überall Leute, zweitens könnte was passieren und drittens überhaupt!

Aber es sollte ja nicht er springen… Fotografieren wär aber trotzdem total lieb.

Er hat wohl bemerkt, dass er mich weder mit Argumenten, noch mit etwas Anderem von meinem Vorhaben abbringen konnte und war gnädig genug ein Foto von mir bei meinem Sprung zu machen. Es hatte mich selbst etwas verwundert, dass ich ihn überzeugen konnte.

Ich beäugte die Fackel, bemerkte, dass ich vorsichtig sein musste, da drei nach oben zeigende Metallspitzen eventuell gefährlich werden konnten, rechnete mir aber aus, dass alles gut gehen würde, nahm Anlauf…

Nicht zögern, sonst verliere ich den notwendigen Schwung. Schneller laufen.

Absprung.

Meinen linken Fuß hob ich noch etwas an, segelte über die Flamme, Ferhat knipste und ich landete wieder. Einige Leute schauten noch komisch, ich rief es sei doch Newroz und alles ging gut.

Wie einfach man doch glücklich sein kann….

Am Abend stellte ich das Foto auf Facebook online, bedankte mich nochmals bei Tola für die Verlinkung, jetzt hätte auch ich mein Newroz gefeiert und meine noch, dass das Foto in der Schweiz aufgenommen wurde – ich wusste von ihm nur, dass er zumindest Schweizer Verbindungen hatte, nicht aber welche.

Er war derzeit in der Schweiz – in Zürich. Und würde sich freuen, mich einmal kennenzulernen.

Der Flug

Nun muss ich wieder ein kleines Hüpferl zurück machen. Am Donnerstag hatte ich meinen Kollegen von der Arbeit zum Flughafen gebracht und wusste, dass er am Montag wiederkommen würde.

Die Uhrzeit war nur so in etwa bekannt, aber der Flughafen müsste Basel-Muhlhouse sein.

Am Sonntag, als Ferhat und ich auf dem Rückweg vom Matterhorn waren rief ich den Kollegen an, wann er jetzt abgeholt werden wollte. 8:30, aber Zürich. Ob das ein großes Problem wäre?

Nein, nein, ich bin eh in Bern.

Zürich: Oder zwei Stunden für ein Wunder

Ich musste nach Zürich, Tola war in Zürich und ich habe noch nie im Leben eine interessante Begegnung ausgelassen. Ob er Lust auf ein kleines Frühstück hätte fragte ich ihn – nur zu gerne. Die Fahrt von Bern nach Zürich bezifferte er mit einer Stunde.

Was er nicht sagte, war Zugfahrt.

Was ich nicht sagte, war, dass ich mit dem Auto kommen würde.

Der Treffpunkt war um 7:30 am Bahnhof. Für ihn, weil er wahrscheinlich dachte, ich käme mit dem Zug – ich hielt den Ort für gut, da er dann zur Arbeit fahren konnte.

Um 6:30 verließen Ferhat und ich die Wohnung in Bern. Er zur Arbeit, ich nach Zürich.

Das Auto hatte es über Nacht etwas zu kalt und mein Navigationssystem trat deswegen einfach einmal in den Streik. Es wollte einfach nicht mehr. Die Karte funktionierte zwar, aber die Strecke war mir unbekannt.

Gegen 6:40 ratterte ich die Autobahn hinunter und bekam meinen ersten Schock. Zürich – 127km!

Mit einem Mal begann ich zu zweifeln. Geht das gut?

Ich musste sowieso nach Zürich, also dachte ich nicht daran umzukehren – und ob der neu entdeckten Distanz auch nicht daran, langsamer zu fahren. Nur, ob ich Tola treffen würde, war fraglich.

Er war dafür; ließ er mich wissen und ich schloss mich an. Die Autobahn mutierte zur Rennstrecke. 120km lassen sich in unter einer Stunde schaffen, wenn man nur will. (Und es keine Radarkontrollen gibt).

Ahja – Stau ist für so etwas ganz kontraproduktiv.

Genau den hatte ich jetzt. Tola schrieb mir, er werde bis 8:10 warten. Ein gewisser Buffer. Im Stau konnte ich es auch wagen, den Wagen abzustellen und das Navi neu zu starten. Ersteres funktionierte, Zweiteres nicht.

Glücklicherweise sind die Schweizer Straßen gut beschildert und der Flughafen nicht nur von der Infrastruktur, sondern auch von der Wegbeschreibung ein Traum. Nur der Stau rieb mich mehr und mehr auf.

Von Minute zu Minute wechselte meine Stimmung von optimistisch (Stau löst sich) zu leicht nervös (es werden mehr Autos) bis zu verzweifelt (Es macht nichts, das Vehikel einfach auf der Mittelspur abzustellen und einen Morgenspaziergang zu unternehmen).

Um 8:00 hatte ich noch 14km vor mir, 20km Schrittgeschwindigkeit fürchtete ich.

8:10

Und dann… es war 8:10. Noch etwa 15km zu fahren.

Ich war am Boden zerstört. Vor mir setzte sich wieder einmal alles in Bewegung, die Stimmung ging in den Optimismus zurück, wurde aber aufgrund zeitlicher Umstände entsprechend verzerrt. Eine seltsame Mischung. Was jetzt?

Was jetzt, Tola? Er blieb eben bis 8:40.

Mit einem Mal hatte ich wieder den Willen durchzubeißen. Der Verkehr lichtete sich, ich fand die richtige Einfahrt und erreichte den Flughafen. 8:23.

Er weiß, dass ich jemanden abholen muss ging mir durch den Kopf, also wird er im Ankunftsbereich sein. Es war gerade ein Parkplatz frei geworden, den ich sofort nahm. Für 15 Minuten wollte man mich um 3 Franken erleichtern! Na egal, es war ein guter Platz und nach der ganzen Geschichte war Geiz der falsche Weg (zudem sind Parkuhren unnachgiebig, was das Feilschen betrifft).

Ich lief zur Ankunftshalle, nahm schnell mein Mobiltelefon, um ihn anzurufen. Ich habe es geschafft! Ich bin da! Sei du noch da! Noch bevor es wirklich leutete, sah ich jemanden auf mich zukommen, der mich herzlich anlächelte.

„Mario?“

„Tola?!“

Das Gespräch hatte die Dauer eines Tees und eines Orangensaftes, seine Würze von der Qualität, wie sie oftmals ganze Abende nicht hatten und es war dieser seltsame Moment, wenn man sich Erwartung um Erwartung aufbaut – ich sich das Konstrukt erfüllt, ohne, das man wirklich gewusst hätte, was man sich jetzt tatsächlich erwartet hat.

Eine erlesene Würze zeichnet sich jedoch auch dadurch aus, dass sie im Nachgeschmack Facetten eröffnet, mit denen man nicht gerechnet hat, so ging auch mir danach noch einiges auf, was mir (wieder) klar wurde.

Schon vorher bewusst war mir allerdings die Tatsache, dass es Kapitel im Leben gibt die einfach irgendwann weitergeschrieben werden, ohne, dass man damit rechnen würde. Manchmal vergeht ein Jahr zwischen dem Punkt des einen und dem ersten Buchstaben des anderen Satzes. Für den Leser wird es immer nur die Distanz sein, die sich zwischen Kolon und Letter befindet. Wie sie der Akteur füllt sei jedoch ihm überlassen… Solange er nur handelt und sich nicht davon abbringen lässt, die Feder seines Lebens wieder in die Hand zu nehmen.


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