Tocotronic
„Das rote Album“
(Vertigo/Universal)
Die Zeichen der Zeiten stehen auf Sturm, an allen Ecken der Welt, die bekanntlich eher ein globalisiertes Dorf ist, kracht und brennt es lichterloh und Tocotronic machen ein Album über die Liebe. Die Hamburger geben ja seit jeher gern die Antipoden – wenn alles in selbstzufriedenem Halbschlaf dahindämmert, hauen sie grimmig in die Saiten, ist es draußen laut und ungemütlich, proklamieren sie die Verinnerlichung, die Zärtlichkeit – und eben: die Liebe. So nah wie jetzt sind sie dabei dem Hörer allerdings selten gekommen. Und so entspannt. Auflehnung – und darum ging es ja irgendwie immer – war bei Tocotronic auch stets eine dunkle, schmerzvolle Angelegenheit, Kapitulation, Schall und Wahn, der Weg zur Erlösung führte regelmäßig durch verschattetes, dorniges Gestrüpp. Spätestens mit der aktuellen Platte hat sich das geändert, jetzt kommt die Erkenntnis, dass man seinen Hass auch tanzen kann, befreit von allen Selbstzwängen.
Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache (das waren Tocotronic ohnehin nie), aber es gibt auf diesem Album, dem die vier bereitwillig ein „Konzept-“ voranstellen und das, wie schon oft vermerkt, erstmals ohne die gewohnten Slogans auskommt, eine Reihe wunderbarer Lieder und viele Gründe dazu, warum das so ist. So ist der Sound wieder ein sehr warmer, keineswegs überkomplexer geworden, Moses Schneider hat hier zusammen mit der Band erneut einen Wohlklang gezimmert, der Harmonien nicht scheut und Sperriges und Experimentelles auf ein Mindestmaß reduziert. Mal eine kernige Gitarre zum „Prolog“, ein bisschen Blues auf der „Jungfernfahrt“, sonst viel Akkustik, Streicher, Chöre, Bläser. Nicht selten muss man an The Smiths denken, auch wenn Dirk von Lowtzow von Morrisseys bissigem Zynismus weiter entfernt denn je ist. Es sind die Melodien und ein wenig auch die Leidenschaft bei Stücken wie „Rebel Boy“, „Chaos“ und „Sie irren“, die einen zurückdenken lassen, hinzu kommt, dass des Sängers Stimme mehr und mehr ausgeformt erscheint und zuweilen mit einer erstaunlichen Tiefe überrascht.
Auch den Umgang mit dem textlichen Überbau haben Tocotronic vereinfacht, vieles wirkt klarer, weniger verkopft und, wenn man das so platt sagen darf, etwas lebensnaher. Schon klar, an mancher Stelle klingt von Lowtzow wie ein sanftmütiger Bachblütentherapeut im Eisvogelfederkleid (der ein Date mit sich selbst hat), aber meistenteils wirken die Worte sehr fürsorglich, etwa wenn er über „Die Erwachsenen“ und deren schütteren Haare wie Hosen erzählt, die den Anschluss an die Welt verloren zu haben scheinen. Er wird wissen, dass er zu ihnen zählt, auch deshalb ist diese Zwischenperspektive amüsant und frei von jeder Peinlichkeit. Ein Kunststück, dass der Band auch bei ihrem Lob der „Solidarität“ gelingt. Wie sie jene, die sich im unverzagten (Stellvertreter-)Kampf mit der tumben Meute abarbeiten und verschleißen, die zwischen „Spießbürgern Spießruten“ laufen, ihrer Zuneigung versichern, das hat schon beachtliche Größe.
Auflehnung geht also auch mal ohne verkniffenes Gesicht, ja darf sogar Spaß machen. Man muss es halt können und hier treten Tocotronic dann gern auch mal einen Schritt beiseite und applaudieren: „Du bist zänkisch und suspekt, du bist ein toxisches Subjekt … doch du bist wenigstens nicht so wie die, dein süßer Ärger ist Energie. Du bist aus Zucker, du bist zart, du schmilzt dahin, du wirst nicht hart.“ Klingt ein wenig wie der Wunsch nach einer Metamorphose, nach mehr Gelassenheit. Andererseits ist dieses Album das beste Indiz dafür, dass Tocotronic diesen Weg schon lange eingeschlagen haben – vielleicht haben sie es nur noch nicht bemerkt: „Und während ich noch spreche, hat sich der Kopf davon gemacht … und während ich noch singe, hat sich ein Lied davon gemacht.“ http://www.tocotronic.de/
01.05. Berlin, SO36
05.06. Rock am Ring / Rock im Park
11.06. Luzern, B-Sides-Festival
04.07. Freiburg, ZMF
05.07. Konstanz, Zeltfestival
16.07. Cuxhaven, Deichbrand-Festival
17.07. Gräfenhainichen, Melt-Festival
... weitere Termine
„Das rote Album“
(Vertigo/Universal)
Die Zeichen der Zeiten stehen auf Sturm, an allen Ecken der Welt, die bekanntlich eher ein globalisiertes Dorf ist, kracht und brennt es lichterloh und Tocotronic machen ein Album über die Liebe. Die Hamburger geben ja seit jeher gern die Antipoden – wenn alles in selbstzufriedenem Halbschlaf dahindämmert, hauen sie grimmig in die Saiten, ist es draußen laut und ungemütlich, proklamieren sie die Verinnerlichung, die Zärtlichkeit – und eben: die Liebe. So nah wie jetzt sind sie dabei dem Hörer allerdings selten gekommen. Und so entspannt. Auflehnung – und darum ging es ja irgendwie immer – war bei Tocotronic auch stets eine dunkle, schmerzvolle Angelegenheit, Kapitulation, Schall und Wahn, der Weg zur Erlösung führte regelmäßig durch verschattetes, dorniges Gestrüpp. Spätestens mit der aktuellen Platte hat sich das geändert, jetzt kommt die Erkenntnis, dass man seinen Hass auch tanzen kann, befreit von allen Selbstzwängen.
Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache (das waren Tocotronic ohnehin nie), aber es gibt auf diesem Album, dem die vier bereitwillig ein „Konzept-“ voranstellen und das, wie schon oft vermerkt, erstmals ohne die gewohnten Slogans auskommt, eine Reihe wunderbarer Lieder und viele Gründe dazu, warum das so ist. So ist der Sound wieder ein sehr warmer, keineswegs überkomplexer geworden, Moses Schneider hat hier zusammen mit der Band erneut einen Wohlklang gezimmert, der Harmonien nicht scheut und Sperriges und Experimentelles auf ein Mindestmaß reduziert. Mal eine kernige Gitarre zum „Prolog“, ein bisschen Blues auf der „Jungfernfahrt“, sonst viel Akkustik, Streicher, Chöre, Bläser. Nicht selten muss man an The Smiths denken, auch wenn Dirk von Lowtzow von Morrisseys bissigem Zynismus weiter entfernt denn je ist. Es sind die Melodien und ein wenig auch die Leidenschaft bei Stücken wie „Rebel Boy“, „Chaos“ und „Sie irren“, die einen zurückdenken lassen, hinzu kommt, dass des Sängers Stimme mehr und mehr ausgeformt erscheint und zuweilen mit einer erstaunlichen Tiefe überrascht.
Auch den Umgang mit dem textlichen Überbau haben Tocotronic vereinfacht, vieles wirkt klarer, weniger verkopft und, wenn man das so platt sagen darf, etwas lebensnaher. Schon klar, an mancher Stelle klingt von Lowtzow wie ein sanftmütiger Bachblütentherapeut im Eisvogelfederkleid (der ein Date mit sich selbst hat), aber meistenteils wirken die Worte sehr fürsorglich, etwa wenn er über „Die Erwachsenen“ und deren schütteren Haare wie Hosen erzählt, die den Anschluss an die Welt verloren zu haben scheinen. Er wird wissen, dass er zu ihnen zählt, auch deshalb ist diese Zwischenperspektive amüsant und frei von jeder Peinlichkeit. Ein Kunststück, dass der Band auch bei ihrem Lob der „Solidarität“ gelingt. Wie sie jene, die sich im unverzagten (Stellvertreter-)Kampf mit der tumben Meute abarbeiten und verschleißen, die zwischen „Spießbürgern Spießruten“ laufen, ihrer Zuneigung versichern, das hat schon beachtliche Größe.
Auflehnung geht also auch mal ohne verkniffenes Gesicht, ja darf sogar Spaß machen. Man muss es halt können und hier treten Tocotronic dann gern auch mal einen Schritt beiseite und applaudieren: „Du bist zänkisch und suspekt, du bist ein toxisches Subjekt … doch du bist wenigstens nicht so wie die, dein süßer Ärger ist Energie. Du bist aus Zucker, du bist zart, du schmilzt dahin, du wirst nicht hart.“ Klingt ein wenig wie der Wunsch nach einer Metamorphose, nach mehr Gelassenheit. Andererseits ist dieses Album das beste Indiz dafür, dass Tocotronic diesen Weg schon lange eingeschlagen haben – vielleicht haben sie es nur noch nicht bemerkt: „Und während ich noch spreche, hat sich der Kopf davon gemacht … und während ich noch singe, hat sich ein Lied davon gemacht.“ http://www.tocotronic.de/
01.05. Berlin, SO36
05.06. Rock am Ring / Rock im Park
11.06. Luzern, B-Sides-Festival
04.07. Freiburg, ZMF
05.07. Konstanz, Zeltfestival
16.07. Cuxhaven, Deichbrand-Festival
17.07. Gräfenhainichen, Melt-Festival
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