Sarrazin wurde damals Nähe zur NPD unterstellt. Eine Unterstellung, die mehr Feststellung war - Weichenstellung vielleicht auch. Weniger für ihn selbst als für den politischen Diskurs in diesem Lande. Hand in Hand mit den einschlägigen Presseorganen fixierte er eine Diskussionskultur, die sich gütlich an der Zurschaustellung niederträchtiger Impulse und Reflexe frottiert, die sich aufgeilt an solchen Biedermännern, die angeblich "mutige Wahrheiten" verkünden, die genauer betrachtet aber nicht mehr als feiges Stammtischgeschwafel sind, der Sud geselliger Sangesabende in schwüler, pappiger Hitze.
Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben
Eine dieser stammaufgetischten Realitäten ist die Geschichte des Euro. Der blute Deutschland aus. Griechenland sei nur die Krone dieses Skandals. Die Strafe für die Niederlage im Zweiten Weltkrieg sei das - das ist die verschwörerische Erkenntnis von reaktionären Stammtischen, aus rechten Zirkeln und von NPD- oder Republikaner-Kundgebungen - und freilich von Sarrazin, der neulich in der Jauchegrube in eben diese Kerbe eindrosch und den Euro als Folge für den Holocaust einstufte. Strafe für den verlorenen Weltkrieg - das klingt auch wie: Ach, hätten wir nur gewonnen! "Rechtskonservatives Geschäftsmodell" nennt Erdmann das. Mit diesen braunen Devisen zu kokettieren: Das nennen wir heute Mut oder Zivilcourage - es ist aber nicht weniger als die Trivialisierung deutscher Geschichte, die Banalisierung politischer oder gesellschaftlicher Erscheinungen; und es ist überdies kein Mut, denn die Forderung, der Euro möge verschwinden, ist so alt wie der Euro selbst und somit Allgemeinplatz. Es ist flaches, phrasenhaftes Gestammel, wie seinerzeit, als der Herr eugenische Maßstäbe auspackte und reanimierte, was schon zu Zeiten Hindenburgs als wissenschaftlich überholt galt.
Dass Europa auch ganz gut ohne den Euro leben könnte, ist eine Einsicht, die man ja gar nicht verneinen kann. Das ist Tatsache. Alles ist ohne alles vorstellbar - alles kann sein, ohne dass es so ist, wie es gerade ist. Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben - er ist aber nun mal da und man muß ihn ertragen. Man muß aber doch fragen dürfen, warum man ihn hofiert, warum man ihn pusht, seine Stammtischiaden mit Zuneigung und Verleihung eines öffentlichen Forums adelt. Das wird man doch fragen dürfen, so wie die Sarrazinösen stets rhetorisch fragen, dass man dies oder das doch mal sagen dürfe.
Feigheit, die er anderen vorwirft
Europa kann ohne den Euro leben - hat es ja die meiste Zeit getan. Wie könnte man nur dagegenhalten! Diese Aussage, die ja auch die Aussage seines gesamten neuen Buches, seines "Mein Kampf II" - (mein Kampf gegen die Aufrichtigkeit, mein Kampf gegen Seriosität, mein Kampf gegen solidarisches und aufgeklärtes Denken etc.!) - ist, ist so gestrickt, wie es am Stammtisch gerne vernommen wird. Einfache Slogans, einfältige Weltsicht. Sicher könnte Europa ohne Euro - jetzt ist er aber mal da, in der Welt... in Europa, besser gesagt... und existent. Europa hat sich vor Jahren darauf verständigt und die deutsche Wirtschaft war begeistert davon, vereinfachte es doch einiges. Aber das Elend, womit das griechische, das spanische, das italienische und manches andere Volk zu ringen hat, verschwindet nicht, wenn man den Euro verschwinden läßt. Sarrazin wirft der politischen Zunft Feigheit vor - auch so eine Erkenntnis, der man zustimmen kann, wenn auch aus anderen Gründen. Mit solchen Phrasen dockt Sarrazin immer wieder in der bürgerlichen Mitte an.
Politische Feigheit also. Und er fordert das Ende des Euro, wovon die Not der krisengeschüttelten EU-Mitgliedsstaaten nicht schwindet, sondern lediglich aus unserem Blickfeld verlagert wird. Das ist die Logik, mit der jene politischen Feiglinge Arbeitsmarktstatistiken schönen oder Kinderarmut neu verrechnen. Aus den Augen aus den Sinn - dieselbe Feigheit, die er Politikern vorwirft, postuliert er hier als seine mutige Wahrheit. Es ist die Feigheit eines Mannes, der von der Lebenswirklichkeit muslimischer Mitbürger nichts weiß, der aber rege darüber schreibt - es ist die Feigheit eines "Schreibtischtäters", der wieder einmal mehr vom Stamm- als von Schreibtisch aus theoretisiert und den politischen Diskurs mit Tiraden vergiftet, die abermals zur Entsolidarisierung beitragen sollen. Diesmal nicht alleine in Deutschland - diesmal in Europa.
Entsolidarisierung und Hass sind der Kitt seines Weltbildes
Das "Prinzip Sarrazin" ist das "Prinzip entsolidarisierte, zerrissene Gesellschaft". Sein "Markenkern: Fremdenhass, Revisionismus, Nationalismus, Geiz, Missgunst" schreibt Erdmann. All das trägt zur Entsolidarisierung bei. Und zum Hass. Auch das ist eines seiner Prinzipien. Er beschreibt eine Welt, in der es keinen Zusammenhalt geben soll. Kein Zufall, dass er genetische Kaffeesatzleserei und Zuchtwahl mit seriösen Wissenschaftsfeldern verwechselt. Sozialdarwinismus passt ins Konzept - oder es ist vielmehr die Basis einer solchen Auffassung. Sarrazins Provokationen sind einfache Kopfgeburten eines Mannes, der Solidarität für etwas unnatürlich Künstliches hält, für einen zivilisatorischen Schnickschnack, der uns mehr schadet als hilft. Wer sich mit dem "multikulturellen Gedanken" solidarisiert, ist demnach schädlich, wie jene, die den Erhalt des Euro solidarisch begleiten. Sarrazin arbeitet mit Entsolidarisierung, mit Zerrüttung, mit "Krieg aller gegen alle" - das ist der Kitt, der sein brüchiges Gebäude zusammenklebt. Ein Kleber, der in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten viele Verbraucher findet - zukunftsweisend ist ein solcher Klebstoffverkäufer allerdings nicht. Manchmal sehen windige Vertreter wie Visionäre aus - aber irgendwann merkt man dann auch, dass er einem etwas angedreht hat, was man so nie kaufen wollte - hoffentlich...
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