Titel: Tigermilch
Autor: Stefanie de Velasco
Format: Taschenbuch
Preis: 9,99 €
Seitenzahl: 280 Seiten
Verlag: KiWi
ISBN: 978-3-462-04753-0
Bewertung:
Inhalt
Nini und Jameelah sind beste Freundinnen. Sie machen alles zusammen und fühlen sich mit ihren vierzehn Jahren schon sehr erwachsen. Deshalb kaufen sie sich Ringelstrümpfe, trinken Tigermilch und üben auf der Kurfürsten für ihr erstes Mal. Dieser Sommer soll ihr großer Sommer werden, doch dann überschatten zwei Ereignisse ihre Unbeschwertheit und alles verändert sich..
Durch mein Lehramtsstudium im Fach Deutsch ist dieses Buch in meinem Regal gelandet. Wir haben in einem Seminar das Thema Gegenwartsliteratur lesen und werten und sollten zwei Werke lesen, um sie anschließend begründet zu bewerten. Ich habe es tatsächlich versucht eine halbwegs „professionelle“ Rezension zu schreiben, die sich eben an mehr als nur meiner persönlichen Emotionalität entlanghangelt. Es hat aber nicht so richtig geklappt. Ich habe Rezensionen aus der FAZ zu diesem Buch gelesen und finde, dass beide viel zu viel vorwegnehmen. Das Buch muss dann wirklich nicht mehr gelesen werden und das möchte ich hier auf meinem Blog nicht haben. Deshalb schreibe ich eine neue Rezension, die keine Spoiler enthält.
Ich muss sagen, dass ich keine allzu hohen Erwartungen an die Geschichte hatte. Ich wusste nicht genau um was es geht und bin unvoreingenommen an das Buch herangegangen. Der Einstieg gestaltet sich etwas schwierig, denn die Autorin lässt die handelnden Personen zwar sprechen aber es gibt keine Interpunktion was die wörtliche Rede angeht. Man muss sehr genau aufpassen, wenn man mitbekommen möchte, wer was sagt und das war zu Beginn etwas anstrengend, hat sich aber recht schnell wieder verlaufen.
„Wieso hat uns nie jemand gesagt, dass das hier passieren kann, frage ich mich, wieso hat uns nie jemand gesagt, dass das hier passieren kann.“ (S.118)
Nini ist die Erzählstimme des Buches und ein junges Mädchen, das versucht ihren Platz in der Welt zu finden. Ihre Mutter und ihr Stiefvater sind Alkoholiker, ihre kleine Schwester bedient sich ebenfalls schon an dem Eierlikör der Mutter und niemand kümmert sich darum, was die 14jährige eigentlich den ganzen Tag tut.
Ähnlich geht es Jameelah, die aus dem Irak stammt und gemeinsam mit ihrer Mutter in Deutschland lebt. Sie ist ebenfalls sehr oft auf sich allein gestellt, denn ihre Mutter arbeitet viel und ist kaum zu Hause.
Die Mädchen kennen sich schon sehr lange, da sie im selben Problemviertel in Berlin leben und gemeinsam zur Schule gehen. Der kommende Sommer soll für sie beide alles verändern, denn sie möchten ihr erstes Mal erleben. Um dabei nichts zu vermasseln stellen sie sich neben die Nutten am Kurfürsten und wollen dafür „üben“.
Es gibt zwei Szenen in diesem Buch, die sich mit der Situation am Kurfürsten auseinandersetzen. Wie die Mädchen sich mit ihren Ringelstrümpfen dorthin stellen und tatsächlich zwei Mal mitgenommen werden. Wie das alles genau abläuft möchte ich nicht näher beschreiben aber ich bin sehr schockiert gewesen. Niemand beschützt die beiden, niemand kümmert sich um sie und keiner bemerkt, was sie da eigentlich tun. Sie selbst denken sie sind erwachsen genug, um das alles selbst regeln zu können doch dem ist nicht so. Sie sind erst 14 und deshalb noch Kinder. Stefanie de Velasco stellt das alles so realistisch dar, dass ich es direkt vor Augen hatte, wie diese beiden Mädchen möglicherweise einen Schritt zu weit gehen ohne sich dessen bewusst zu sein.
Doch nicht nur diese beiden Szenen sind für mich sehr problematisch und gleichzeitig sehr gut umgesetzt gewesen. Es geht auch um den immensen Alkoholmissbrauch, den die Kinder ohne mit der Wimper zu zucken betreiben. Schließlich tut jeder in ihrem Umfeld dasselbe. Es spielt keine Rolle ob sie nüchtern oder besoffen sind und deshalb mischen sie sich Tigermilch: eine Mischung aus Milch, Maracujasaft und Mariacron. Täglich trinken die beiden ihre Tigermilch und es kommt ihnen völlig richtig vor, schließlich sind sie jetzt erwachsen und können selbst entscheiden, was sie trinken oder nicht.
„Das ist das Leben. Wenn was zu schön ist, muss was kommen, das es zerstört, sonst ist es nicht das Leben, weißt du.“ (S. 249)
Doch nicht nur diese offensichtlichen Probleme sind Thema in dem Buch, sondern auch zwei weitere Geschehnisse, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Es sind viel größere Probleme und die Mädchen können damit nicht umgehen, versuchen es aber irgendwie trotzdem. Ohne irgendwelche Hilfe wollen sie versuchen das alles zu verdrängen, obwohl der einzig richtige Weg längst vor ihnen liegt. Dass sie am Ende der Geschichte zu einer Entscheidung gezwungen werden hat mir gefallen, denn es zeigt eben auch, dass nichts ohne irgendwelche Konsequenzen geschieht und dass zu guter Letzt der Gerechtigkeit genüge getan wird. Auf die eine oder andere Art.
Das Buch hat aber nicht nur ihre problematischen Seiten, sondern auch eine ganz andere. Es wird über das Leben reflektiert, was es bedeutet, was man vom Leben erwarten kann und es spricht davon was es wirklich heißt langsam erwachsen zu werden. Ich habe mit den Mädchen gelitten, ich habe mit ihnen geweint und mich mit ihnen gefreut. Ich habe nicht alles verstanden, was sie getan haben und in seltenen Fällen hätte ich mich genauso verhalten wie sie und doch konnte ich nachvollziehen, warum sie so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben. Sie sind ganz allein mit ihren Problemen, haben niemanden, der sich wirklich um sie kümmert und deshalb nehmen sie alles selbst in die Hand. Dass das vielleicht nicht die richtige Entscheidung war scheint ihnen bis zum Ende der Geschichte hin noch nicht wirklich klar zu sein.. Trotzdem bringt es die Autorin auf den Punkt und das hat mir besonders an der Geschichte gefallen. Es gibt keine geschönten Szenen, es wird alles, so dreckig und zwielichtig wie es ist, dargestellt. Nichts wird aufgehübscht, damit es ein Happy End geben kann, sondern alles bleibt so wie es ist. Denn es gibt diese Problemviertel in Berlin und überall in Städten innerhalb Deutschlands. Es gibt diese Ninis und Jameelahs, die ihren Platz in der Welt suchen und irgendwie versuchen erwachsen zu werden. Das alles könnte wahr sein und genau das hat mich so berührt, fasziniert und auch traurig gemacht.
Fazit
Das Buch stellt auf ungeschönte und authentische Weise dar, wie zwei junge Mädchen mehr oder weniger freiwillig erwachsen werden müssen. Die Geschichte von Nini und Jameelah hat mich von Anfang bis Ende berührt. Ich habe mit den beiden gelitten, geweint aber auch gelacht. Das Buch hat mich geschockt und am Ende sogar ein wenig zum weinen gebracht, weil es eben darstellt, wie das Leben spielen kann. Und das meine ich nicht auf positive Art und Weise. Ich weiß nicht ob das Buch für junge Menschen tatsächlich geeignet ist, wenn nicht über den Inhalt gesprochen wird. Für erwachsene Leser kann ich es jedoch sehr empfehlen.