Es gibt viele Gründe, warum Menschen anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie wirklich Fleisch essen oder doch eher vegetarisch/vegan leben sollten. Bei Jonathan Safran Foer war die Geburt seines ersten Kindes der Auslöser für diese Überlegungen. Er war schon früher immer wieder mal Vegetarierer bis er sich schließlich doch wieder dem Fleisch zuwandte. Dann hat ihn das Thema aber gepackt und er hat über 3 Jahre lang recherchiert, ist zusammen mit einer Aktivistin in eine Truthahnfarm eingebrochen, hat Farmen, die sich “tierfreundlicher” Haltung verschrieben haben sowie Schlachthöfe besucht. Das Ergebnis seiner Recherchen rundet er mit Erzählungen aus seiner Kindheit bzw. von seiner Großmutter, die von der harten Zeit nach dem Krieg geprägt wurde ab.
“Am schlimmsten war es gegen Kriegsende. Viele Menschen starben noch am Ende (…). Ein Bauer (…) sah, wie es um mich bestellt war, ging in sein Haus und kam mit einem Stück Fleisch für mich zurück.” – “Er hat dir das Leben gerettet.” – “Ich habe es nicht gegessen.” – (…) – “Warum nicht? (…) Doch nicht, weil es nicht koscher war?” – “Natürlich.” – “Auch nicht, um dein Leben zu retten?” – “Wenn nichts mehr wichtig ist, gibt es nichts zu retten.”
Eins gleich mal vorneweg: “Tiere essen” ist kein schönes Buch. Ich bin selbst zwar eine große Tierfreundin, allerdings (noch?) keine Vegetarierin. Fleisch war für mich – aus Selbstschutz, wie ich zugeben muss – lange Zeit etwas abstraktes, dass eben aus dem Supermarkt oder vom Metzger kommt. Aber eben schon in “Fleischform”, dass ich ein vormals lebendiges Tier auf dem Teller hatte habe ich so gut wie es nur ging verdrängt. Das schlechte Gefühl, dass Tiere wegen meinen Ernährungsgewohnheiten leiden müssen hat sich allerdings nicht so gut verdrängen lassen. Mittlerweile versuche ich – auch weil mich eine neu entwickelte Laktoseintoleranz dazu zwingt -, mich mehr mit dem Thema Ernährung und eben auch, woher unsere Nahrungsmittel überhaupt kommen auseinander zu setzen.
Anfangs hatte ich noch das Gefühl, Foer versucht, die Moralkeule weitgehend verpackt zu lassen. Er möchte es respektieren, dass Menschen unterschiedliche Lebensentwürfe und Moralvorstellungen haben und versucht, einen Weg aufzuzeigen, wie der Konsum von Fleisch nicht ganz so verheerende Auswirkungen auf das Wohl der Tiere haben könnte. Allerdings: so ganz gelingt es ihm nicht. Er kreidet es den Fleischessern zwar nie an und hüllt sich in einen Mantel der (vordergründigen) Toleranz, aber unterschwellig kommt eben immer wieder das “Aaaaber…” heraus. Ich habe mich an keiner Stelle wirklich angegriffen gefühlt, Foer möchte mit seinen Buch -angeblich- ja auch niemanden zum Vegetarismus bekehren, aber die Botschaft kommt trotzdem klar rüber.
Wenn man uns anbietet, uns einen Film darüber zu zeigen, woher unser Fleisch kommt, wissen wir, dass es ein Horrorfilm sein wird. Wir wissen vielleicht mehr, als wir zugeben, und schieben das in den hintersten Winkel unseres Bewusstseins – wir wollen damit nichts zu tun haben. Wenn wir Fleisch aus Massentierhaltung essen, leben wir buchstäblich von gefoltertem Fleisch.
“Tiere essen” hat mir mehr als einmal den Appetit so gründlich verdorben. Zu wissen, dass der Großteil des Fleisches, dass wir als Verbraucher konsumieren aus der Massentierhaltung stammt ist das eine. Dann aber ziemlich deutlich und ungeschönt über die Zustände in den Käfigen oder im Schlachthof zu lesen ist etwas anderes. Foer berichtet über die Zustände in den USA, aber machen wir uns mal nichts vor: auch hierzulande sieht es nicht besser aus. Im Anhang befindet sich übrigens noch eine Übersicht zur Sachlage in Deutschland. Normalerweise plädiere ich ja dafür, Bücher – falls möglich – in der Originalversion zu lesen, aber die Ergänzung war dieses mal ausschlaggebend für mich, dass ich die deutsche Version gekauft habe.
Es gäbe noch sehr viel mehr über dieses Buch zu erzählen, unterm Strich bleibt zu sagen: es ist verstörend, entsetzlich und – was mit Abstand am schlimmsten ist: wahr. Ich fühle mich zwar stellenweise manipuliert und ich habe mehr als einmal überlegt, “Tiere essen” abzubrechen. Ich habe es bis zur letzten Seite gelesen, weil ich das Gefühl habe, nicht mehr länger wegschauen zu können.
Heute zu essen wie alle anderen, heißt, ein Tropfen zu sein, der das Fass irgendwann zum Überlaufen bringt. Unter Tropfen ist vielleicht nicht der entscheidende, aber der Akt wird wiederholt – jeden Tag in unserem Leben.
English version: coming soon!