Tierärztekongress für eine Wende in der Hundezucht

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in persönlicher, parteiergreifender Bericht von Christoph Jung
Der Leipziger Tierärztekongress gilt inzwischen als der größte seiner Art in Europa. Da ist es schon bemerkenswert, wenn das Thema der Auftaktveranstaltung lautet:
"Macht die Rassezucht unsere Hunde und Katzen krank?"
Vor etwa 1000 Zuhörern sprachen wissenschaftliche Schwergewichte auf dem Gebiet der Kleintiermedizin und Genetik wie Prof.Dr. Oechtering und Prof.Dr. Distl und der VDH-Präsident Prof.Dr. Friedrich.
Prof.Oechtering zeigte eindringlich, in welche mießliche Lage der Mensch - und alleine der Mensch - gerade die Plattnasen, die brachyzephalen Hunde- und Katzenrassen gebracht hat. Besonders Mops und Französische Bulldogge leiden an chronischer Atemnot. Da aber die Nase des Hundes das wesentliche Organ der Thermoregulation ist, leiden brachyzephale Hunde besonders bei warmer Umgebung zudem an Überhitzung. Bei Möpsen kollabiert darüber hinaus nicht selten die Luftröhre. Untersuchungen haben ergeben, dass 29% dieser Hunde im Sitzen schlafen, weil sie im Liegen keine ausreichende Luft mehr bekommen, um nur ein Beispiel dieses vom Menschen ohne Not und unter der nicht selten verlogenen Flagge des "Tierschutzes" oder der "Liebe zum Hund" wissentlich erzeugten Elends zu nennen. Wir haben hierzu im Petwatch-Blog schon häufig berichtet.
Tierärztekongress für eine Wende in der Hundezucht
Hunde Shows küren Qualzucht-Champions
Trotzdem werden insbesondere im Ausstellungswesen evident Qualzucht-relevante Hunde zu Champions gekürt, wie der Jahrhundertsieger beim Mops. Der VDH-Präsident versuchte dies in der nachfolgenden Podiumsdiskussion als eine Fehlentscheidung eines einzelnen Richters darzustellen, was ihm weder das Podium noch das Publikum so recht glauben wollte.
Immer wieder: Grundübel Inzucht
Auch die Ausführungen Prof. Distls belegen, dass es nicht um einzelne Fehlentwicklungen, vielmehr um einen grundlegend falschen Weg in der Rassezucht geht. Er mahnte insbesondere die genetische Verarmung durch Inzucht und zu häufige Verwendung einzelner Deckrüden an. Inzwischen sei kaum eine Hunderasse frei von durch solche Fehlleistungen der Zucht verbreiteten Erbkrankheiten. Er sprach von mindestens 5 verschiedenen züchterisch verbreiteten Erbkrankheiten bei jeder einzelnen Hunderassen, beim Cavalier King Charles Spaniel seien es gar 20. Aber er zeigt auch begründetes Vertrauen in das - noch - vorhandene genetische Potenzial des Rassehundes. In den Rassehunde-Populationen zusammengenommen, sei auch heute noch der fast vollständige genetische Reichtum des Stammvaters Wolf erhalten. Er zeigte sich auch zuversichtlich, dass selbst bei so krank gezüchteten Hunderassen wie den Plattnasen genug genetisches Material für eine Gesundung vorhanden sei.

Tierärztekongress für eine Wende in der Hundezucht

Mops - Champion Zuchthündin von 1915


"Der genetische Reichtum des Wolfes ist in den Hunderassen in toto noch heute erhalten."
(Prof. Dr. Ottmar Distl, Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung TierärztlicheHochschule Hannover, Hannover)
Überhaupt gaben Referate und nachfolgende Podiumsdiskussion einem zuweilen genervten und fast schon resignierenden Mahner der Hundezucht etwas Hoffnung und gar Zuversicht. Immerhin wurde ganz offiziell und weder vom VDH-Präsidenten noch von der Vertreterin des Bundesministeriums bestritten oder relativiert, dass es ein relevantes Qualzuchtproblem in der Hundezucht gibt und dass es des Handelns dringend bedarf.
Wirksames Tierschutzgesetz vor der Tür?
Dr. Katharina Kluge vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stellte den Gesetz-Entwurf der Bundesregierung vor, der die Qualzuchtbestimmungen des Tierschutzgesetzes (§11) ausdrücklich praxisrelevanter machen soll. Es soll in Zukunft viel leichter sein, etwa Qualzucht verdächtige Hunde und Katzen von Ausstellungen auszuschließen. Ob das eher halbherzig geänderte Gesetz wirklich den Zweck erfüllen wird, muss abgewartet werden; der Autor hat hieran so seine Zweifel (auch wenn man an die mächtige Lobby der Agrar- und Nahrungsindustrie denkt). Aber immerhin, der Handlungsbedarf ist anerkannt.
Ohne wirksame Kontrolle der Hundezucht geht es nicht!
In der Podiumsdiskussion nahm der Ruf nach einer wirksamen und zwar unabhängigen Kontrolle der Rassezucht einen hervorragenden Platz ein. Es bedarf einer wirksamen Kontrolle über die Hundezucht als Ganzes und gerade auch gegenüber den so genannten Hobby-Züchtern. Die Verweise des VDH-Präsidenten auf die eingeschränkten Möglichkeiten des VDH als Dachverband konnten nicht überzeugen. Der Vorschlag einer "Ampel" für Hunderassen und Züchter fand viel Zustimmung, ebenso der Vorschlag eines Screenings wie einer Berichtspflicht durch die Tierärzteschaft. Der Autor dieser Zeilen forderte zudem gesetzliche Mindeststandards für eine Zulassung zur Zucht und die Zucht selber. Gegen Entgelt dürften nur zugelassene Züchter Welpen veräußern sowie Tierheime. Jede Salatgurke beim Discounter hat mehr Kontrolle, staatliche Fürsorge und Aufsicht als die "Produktion" des angeblich besten Freund des Menschen.

Tierärztekongress für eine Wende in der Hundezucht

Charakter, Leistung und Schönheit

Der Vorsitzende einer Tierärzteorganisation fragte nach dem Sinn von Verboten bzw. Kastrationen bei "Qualzuchtrassen". Das Verbot von Hunderassen schafft keine einzige Lösung. Die Hunderassen sind nicht von selber so krank geworden, das hat alleine der Mensch zu verantworten (der heutige Mensch in Deutschland, der so selbstgerecht sein vermeintlich hohes Tierschutzverständnis in alle Welt exportiert und vierbeinig importiert). Wenn sich im Denken und Handeln der Menschen nichts ändert, wird sich auch in der Zucht nichts zum Guten wenden, gleich ob man einzelne Rassen verbietet oder nicht. Und wo fängt man an, wo hört man auf, was sind die Kriterien? Eine positive Lösung ist mit Rasseverboten allemal nicht zu erreichen. Der Autor wies darauf hin, dass schon einiges gewonnen wäre, wenn Tierärzte ihre Dienste etwa für terminierte Kaiserschnitte oder instrumentelle Besamung bei selbst zur Fortpflanzung unfähigen Hunden verweigerten, ein Appell, den Prof. Friedrich ausdrücklich unterstützte.
Der Rassehund ist zeitgemäß.
Schließlich wurde gefragt, ob der Rassehund als solches noch zeitgemäß sei. Dies wurde einhellig bejaht. Auch Tierethiker Prof.Dr. Grimm pflichtete dem bei unter Verweis auf die so wesentlich bessere Chance, dass passende Hund-Mensch-Paare zusammenfinden. Man stimmte überein, es gelte die Vielfalt und unterschiedlichen rassetypischen Charaktere zu erhalten. Nicht der Rassehund sei das Problem, vielmehr bedürfe es einer grundlegenden Neuorientierung in der Zucht und auch eines anderen Verantwortungsbewusstseins der Halter. Ohne Halter, die bei windigen Hobby-Züchtern, Vermehrern und Hundehändlern kaufen, würde schon viel Elend vermieden. Schließlich wurde immer wieder an die große Verantwortung der Tierärzteschaft appelliert. Der Moderator der Diskussion, Thomas Bille vom Mitteldeutschen Rundfunk, konnte dem VDH Präsidenten Prof. Peter Friedrich schließlich ein Bekenntnis zum Dortmunder Appell für eine Wende in der Hundezucht entlocken, den dieser in vielen Punkten unterstütze.

Tierärztekongress für eine Wende in der Hundezucht

Charakter, Leistung und Schönheit (Foto Elisabeth Naumann)


"Das Konzept der Hundeschauen muss grundlegend überdacht werden. Das Konzept der vergangenen hundert Jahre hat offensichtlich nicht funktioniert und folgenschwere Fehlentwicklungen ermöglicht. Viele der (Schönheits-) Richter und diejenigen, die diese Richter auswählen, haben in der Vergangenheit keine gute Arbeit geleistet. Völlig widersinnige Überbetonung äußerer Merkmale wurde und wird noch immer von vielen Richtern belohnt und so die Ausrichtung der Zucht stark beeinflusst. Beispielsweise hat noch heute ein Mops oder eine Bulldogge "mit sichtbarer Nase" bei einer Schönheitsschau kaum eine Aussicht, zu gewinnen.

Die in Zuchtvereinen organisierten Züchter haben eine Vorreiter- und Vorbild-Funktion, die sogenannte "Private  Zucht" außerhalb organisierter Vereine  –  die bei manchen Rassen über dreiviertel der Population ausmacht  –  muss aber zwingend nach den gleichen Qualitätskriterien beurteilt werden. Möglicherweise müssten Tierzüchter auch nach dem Vorbild anderer Länder länger für erblich bedingte Erkrankungen bei von ihnen verkauften Tieren finanzielle Verantwortung übernehmen.

Die Behörden von Bund und Ländern müssen erkennen, dass die aktuelle Gesetzgebung bisher nicht ausreicht, um durch eine klare Interpretation vor Gericht züchterische Eitelkeiten zu stoppen.

Man wird sogar überlegen müssen, ob es nach den Erfahrungen der Vergangenheit noch zeitgemäß ist, dass Hunde ohne den Nachweis einer Befähigung gezüchtet und veräußert werden dürfen."
Professor Dr. Gerhard Oechtering, Direktor der Klinik für Kleintiere, Universität Leipzig, "Leipziger Blaue Hefte" 2012, Bd1 (Hervorhebungen CJ)

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