In der TTA gibt es drei Kategorien: 1) das System der Vokale – Yangchar (tib., dbyang ‘char) 2) die Berechungsweise mit den Elementen, im Tibetischen „Jungtsi“ (tib., byung rtsis; sprich: Dschungtsi) genannt; und 3) die Berechnung der Sterne, als „Kartsi“ (tib., dkar rtsis) bezeichnet und auf dem Kalachakra-System (tib. dus ‘khor) beruht. Diese Berechnungsweisen verbinden die verschiedenen astrologischen Berechnungen und Elementberechnungen der Kulturen der Nachbarländer Tibets und verleihen dem tibetischen System eine einzigartige Form.
Die Elementarberechnung weist chinesische Einflüsse auf, die ungefähr 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung unter dem tibetischen König Nyatri Tsenpo begann. Eine Weiterentwicklung erfuhr dieses System dann später im 7. Jhdt., als König Songtsen Gampo eine Prinzessin der Tang-Dynastie heiratete. König Songtsen Gampos chinesische Frau Wen Cheng kannte sich in den chinesischen Traditionen natürlich sehr gut aus und brachte einige Bücher über chinesische Astrologie und Medizin nach Tibet mit. So gelangte diese Prinzipien nach Tibet und verschmolzen mit dem dort heimischen System der Bön. Nach tibetischer Überlieferung wurde im Jahre 837 v. Chr. vom Bodhisattva Manjushri am Wutai Shan gelehrt.
Elementarberechnung
Die Praktizierenden der alten Bön-Religion hatten die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum zwar schon viele Jahr zu ihrem System gemacht und daraus ein System der Vorhersage und Befragung gemacht.
Lange Zeit war dies alles ein mündlich überliefertes Wissen. Mit der Einführung einer Schrift in Tibet durch Thönmi Sambhota und durch das Aufkommen des Buddhismus, erfuhr diese Elementarberechnung eine große Verbreitung.
Die tibetischen Astrologen[1] beobachteten den Zustand und die Veränderung der fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum, sowie die chinesisches Variante davon als Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser. Weiters verwendeten sie die zwölf Tierkreiszeichen aus der chinesischen Tradition und die Mewa – das magische Quadrat der neun Felder. Später kamen noch die acht Trigramme „Parkha“ (chin., ba gua) hinzu, die um die neun Felder des magischen Quadrats angeordnet wurden. Mit der Kenntnis des astrologischen Charts konnte so die Befragung vorgenommen und eine komplexe Aussage getroffen werden.
Als später das Kalachakra-Tantra im Jahre 1027 nach Tibet gelangte, wurde das System der Befragung und Vorhersage um den Aspekt der indischen Kalachakra-Astrologie erweitert, die in manchen Aspekten ähnlich der westlichen Astrologie ist, jedoch einige wesentliche und entscheidende Unterschiede aufweist.
Magisches Quadrat
Darüber hinaus gab es noch weitere Geisterklassen wie die Nagas (Wassergeister), die Gyalpos (Königsgeister), die Tsen (Felsgeister), die Nyen (fluidale Geister in Wiesen, Wäldern, in der Luft), die Gyü (dämonische Geister), die Mamos (Erdmütter), die Za (Planetengeister), die Nöjin (Erdgeister) und die Lha (weiße Götter) uvm.[2]
Acht Trigramme
Bezogen auf die Stellung des Individuums in einem Gebäude (oder auch in einer Landschaft) sind diese günstigen Richtungen mit Himmelsmedizin, Lebensstütze, Wohlstand und Glücksbotschaft verbunden. Diese haben mit Gesundheit und Heilung, mit Wohlbefinden und Regeneration, mit Reichtum und Vermögen sowie mit Reisen zu tun.
In den ungünstigen Richtungen sind Schaden, Fünf Dämonen, Lebensabschneidende Dämonen und Körperbedrängnis. Diese haben mit Unfallgefahr, mit negativen Einflüssen auf den Besitz, mit negativen Einflüssen auf die Vitalität und mit der Gefahr, dass es bei Beeinträchtigung einer bestimmten Körperpartie Komplikationen in der Heilung etc. gibt, zu tun.
Wenn man die Lage Tibets und seiner Gesellschaft mit Rechtsunsicherheit, geringer medizinischer Versorgung, Gefahren durch Räuber und Banditen sowie Wetterkapriolen bedenkt, dann macht eine Befragung durchaus Sinn.
Fünf Kräfte
Die wichtigste Kategorie der Befragung bestand aber im Ermitteln der fünf Kräfte – Geisteskraft (tib., bla; La; „Seele“), manchmal auch als „Seelenkraft“ übersetzt; Vitalität (tib., srog; Sog), körperliche Verfassung (tib., lus; Lü), Vermögen und Macht (tib., dbang thang; Wangthang) und Erfolg – das Windpferd (tib., rlung rta; Lungta).
Die Berechnung der „weißen und schwarzen Kiesel“, das Ermitteln der Einflüsse des jeweiligen Jahres auf die Geburtskonstellation gab Auskunft über mögliche widrige oder vorteilhafte Umstände, denen die Person begegnet. Ferner wurde die Kiesel-Berechnung auch vor der Eheschließung verwendet. Da konnte man feststellen, ob die beiden Personen zueinander passen, man konnte Aussagen über die Beziehungsdauer treffen, ob die Kinder von Krankheiten heimgesucht werden oder gesund und kräftig sind, wie es um das Vermögen in der Ehe bestellt ist und wie die gesellschaftliche Anerkennung und Stellung der Eheleute sein wird.
Schicksalsberechnung und Gesellschaft
Die Gegenmittel, die der Astrologe empfahl, konnten sehr verschieden sein und von Person zu Person stark variieren. Der einen Person wurde ev. empfohlen, eine Puja durchzuführen oder für sich durchführen zu lassen, einer anderen sagte man Almosen zu geben, einer weiteren vielleicht, dass sie Tiere freisetzen solle usw. Bei besonders ernsten Schwierigkeiten wurden bestimmte Rituale wie ein Dogpa (tib., gtog pa;) in Auftrag gegeben, um die negativen Einflüsse auszutreiben und zu beseitigen. Dabei wurden die negativen Energien in ein Abbild aus Teig projiziert. Das materielle Abbild wurde dann vom Ngakpa oder Lama rituell zerstört und die gereinigten Energien zur kranken Person zurückgebracht. Man muss aber anmerken, dass diese Form des Rituals in äußerst schwierigen und lebensbedrohlichen Situationen angewendet wurde.
Neben dem Berechnen der Geburtskonstellation, dem Erstellen eines Heiratsdiagramms, einer Voraussage für das Jahr und medizinischen Berechnungen, wurden auch Berechnungen für die Toten vorgenommen. Dabei wurde über die Mewa ermittelt, welche Statue, welches Thangka oder ähnliches für eine günstige Wiedergeburt des Toten anzufertigen ist und auch welcher Tag für die Verabschiedungszeremonien vorteilhaft ist. Nachdem das Mewa aber nur neun Felder aufweist, ist die Auswahl natürlich etwas begrenzt. Allerdings stellt dieses Verfahren eine sehr gute Form der Trauerarbeit dar.
Funktioniert’s auch?
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[1] Der Begriff „Astrologe“ ist im Grunde dem westlichen Zugang zu diesem Thema geschuldet. Da es sich bei der TTA nicht wirklich um eine Astrologie allein und schon gar nicht um eine Astro-Wissenschaft oder Astronomie im Sinne westlicher Naturwissenschaft handelt, ist der Begriff „Astrologe“ einfach ein Sammelbegriff für jemanden, der sich mit Schicksalsberechnung und Divination beschäftigt und diese für andere ausübt.
[2] Weitere Details finden sich auf rangdrol’s Blog im Beitrag „Die Ngakpas und die Geister“.