Im Freistaat Thüringen haben sich nach längerem Kampf um Marktanteile einige der kostenlosen, durch Werbung finanzierten, Wochenblätter etabliert. Ihr Anliegen ist es eigentlich, durch ein winziges reaktionelles Umfeld, Werbung gezielt an den Mann oder die Frau zu bringen, diese zum Kauf zu animieren. Eigentlich, weil dies nicht für alle diese Blätter zutrifft. Die Produkte aus dem Hause eines Erfurter Verlages tun sich dagegen in erster Linie als Wahlkampfpostillen für eine Partei hervor, die sich in ihrem Namen als religiös definiert.
Den Vogel aber schießt das jüngste Produkt dieses Hauses ab, genannt „Deutschland today”, das bei den letzten Wahlen in Thüringen sich eindeutig als Werbepostille voll im Dienste der C-Partei zu erkennen gab.
Heuer aber setzte diese Postille mit dem denglischen Namen (warum gilt denn hier plötzlich die „deutsche Leitkultur” nicht mehr?), für das ein Martin Schiffner als „Inhaltlich Verantwortlicher, Jugendschutz- und Frauenbeauftragter” zeichnet, noch eins drauf. So heißt es in der jüngsten Ausgabe:
“AEK Thüringen mahnt: Bild einer weltoffenen Landeshauptstadt verunglimpft
Linken-Demo gegen Papstbesuch ist intolerante Provokation
Erfurt (AEK Mitteldeutschland) – Die Ankündigung linksextremer Gruppierungen, am Rande des Papstbesuches Ende September 2011 in Erfurt zu demonstrieren, stößt beim Sprecher des Arbeitskreises Engagierter Katholiken der CDU in Thüringen, (AEK) Christian Sitter, auf Unverständnis.
Lassen wir es bei diesem Originalton bewenden, denn bei den weiteren im wahrsten Sinne des Wortes unsittlichen Auslassungen des Herrn Christian vom AEK kann einem nur schlecht werden. Hier erlebt der „Kalte Krieg” seine Wiederauferstehung, wobei sein neues Gewand nicht im Stil der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschneidert ist, sondern die Roben der mittelalterlichen Heiligen Inquisition trägt.
Linksextremismus, verfassungsfeindliche Linke (resp. Zugespitzt „Linksextremisten”) das ist für die C-Menschen dieser Couleur und zugleich devoten Papstjünglinge das neue Zauberwort anstelle von Hexen und Satan.
Wenn man sich das partei- und organisationsunabhängige „Erfurter Bündnis gegen den Papstbesuch” anschaut, so wird es von Vereinen aus der Schwulen- und Lesbenszene, von Feministinnen und von Studenten dominiert. Organisationen der säkularen Szene sind nicht vertreten, obwohl sie das Anliegen unterstützen. Nicht dabei ist auch die inkriminierte Partei DIE LINKE. Dabei ist aber mit den „Die Falken”, eine unabhängige sozialistische Jugendorganisation, die wenn schon einer Partei, dann der SPD nahesteht.
„Deutschland today” (eigentlich besser „Deutschland von vorvorvorgestern”) ist selbstverständlich journalistisch freiheitlich und objektiv und ganz frank und frei in seiner Einseitigkeit und läßt daher das Erfurter Bündnis und die diesem angehörigen Gruppen und Einzelpersonen nicht zu Wort kommen.
Naja, wo kommen wir denn dahin, wenn der gemeine Plebs seine eigene Meinung als bewußter Staatsbürger dreist nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern medial formulieren will. Da haben doch die achsochristlichen Altvorderen, egal ob nun lutherisch oder katolisch, richtig gehandelt, als sie vor fast 500 Jahren das aufsässige Bauernpack samt des abtrünnigen Predigers Müntzers und seines Traumes von einer urchristlichen Gemeinschaft niedermachten. Aber das waren ja natürlich auch alles nur Linkextremisten. Und Schuld am großen deutschen Bauernaufstand war nicht die unmenschliche Ausbeutung durch das Bündnis von Thron und Altar, sondern es können nur zeitgereiste Stasi-Verbrecher gewesen sein…
Aber lassen dann wenigstens wir mal die von Herrn Christian Sitter denunzierten Protestieren kurz zu Wort kommen; die da sagen:
Im Speziellen richtet sich unser Protest gegen die Positionen von Herrn Ratzinger. Seine innerkirchliche Politik geht klar in die Richtung, wieder allgemeinverbindliche Normen auch für den weltlichen Bereich aufzustellen. Das trifft zuallererst Schwule und Lesben, Frauen und andere Religionen. Er nennt die Homoehe „die Legalisierung des Bösen”, besteht darauf, das Frauen unter Männern stehen und hat mit Bischoff Williamson einen Antisemiten zurück in die Arme der Kirche geholt. Damit betreibt er einen Annäherungskurs an die rechtsextreme Piusbruderschaft, was man auch damit belegen kann kann, daß er im März 2008 die gegen das Judentum gewandte Karfreitagsfürbitte wieder in den katholischen Ritus eingeführt hat. Der Papst steht damit für Homophobie, Sexismus und Antisemitismus. (…)
Im Vorfeld des Papstbesuchs sind mehrere Veranstaltungen in verschiedenen Thüringer Städten geplant, um unsere Kritik inhaltlich darzustellen. Das Veranstaltungsprogramm ist unter papst.abschaffen.com zu finden. Parallel zum Papstbesuch wird am 23.9. ab 18 Uhr eine Demonstration unter dem Motto „Heidenspass statt Höllenangst” vom Bahnhofsvorplatz durch die Erfurter Innenstadt laufen. Am Samstag, dem 24.9. wird während der Messe auf dem Domplatz eine religionsfreie Zone auf dem Anger eingerichtet.”
Ach wie gut, das kann man nach unfreiwilliger Lektüre dieses inquisitorischen Artikels sagen, daß doch hierzulande die meisten Menschen, solche Werbepostillen ungelesen der Blauen Tonne zuführen oder nur zielgerichtet sich im Anzeigenteil umschauen…
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]
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