Thüringen: Hysterie und Realität

Sogar Sigmar Gabriel findet die Hysterie über die Tatsache, dass im Ost-Bundesland Thüringen nun ein Ministerpräsident gewählt wurde, der einer Partei angehört, die als einzige in Deutschland die Interessen von Ostdeutschen vertritt, “abenteuerlich”. Und er hat recht, er in der FAZ daran erinnert, dass die Linke zum ganz normalen demokratischen Spektrum der Bundesrepublik gehört – wobei mir durchaus aufgefallen ist, dass gerade unsere “seriösen Qualitätsmedien” in den vergangenen Tagen auffällig häufig statt “Die Linke” “SED-Nachfolgepartei” gesagt haben, um auch den letzten Doofi daran zu erinnern, dass einige Mitglieder der Linken auch schon zu DDR-Zeiten dabei waren, also damit ja praktisch zur Regierung eines Unrechtsstaates gehörten. Und auch unter den jüngeren könnten noch einige “echte” Linke zu finden sein: So wird Sarah Wagenknecht gern als “orthodoxe Marxistin” bezeichnet, was lächerlich ist – sie steht Ludwig Erhard inzwischen deutlich näher als Karl Marx. Und ausgerechnet der frischgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow stellt sich auch noch hin und entschuldigt sich als erste Amtshandlung bei den Opfern des SED-Unrechts.

Das wäre nun echt nicht nötig gewesen. Erstens – wenn einer dafür eben nicht verantwortlich ist, dann der Wessi Ramelow. Aber andererseits hat der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär seine Rolle als Dienstleister am Kapital so gut begriffen, dass er das gleich als Dienstleister in Sachen DDR-Unrecht fortsetzt: Man sagt halt, was die Leute hören wollen und versucht, irgendwas dabei heraus zu holen, das man seinen eigenen Leuten als Erfolg darstellen kann. Es wird sich schnell herausstellen, dass ein linker Ministerpräsident ungefähr soviel linke Politik machen kann wie ein grüner Ministerpräsident grüne Politik. Oder ein schwarzer US-Präsident antirassistische Politik. Baden-Württemberg ist seit 2011 unter Winfried Kretschmann keine große Öko-WG geworden, und Schwarze sind in den USA auch unter Barack Obama noch Freiwild. Es ist nicht zu erwarten, dass Thüringen nun ein Arbeiter-Paradies würde, nur weil dort jetzt ein Linker regiert. Obwohl das natürlich schön wäre. Thüringen hat nun einen lupenreinen Sozialdemokraten an der Spitze. Und Karl Liebknecht wusste schon, was das heißt.
(“Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!”)

Und deshalb hier ein Artikel, der beschreibt, wo die “echte” SPD inzwischen steht:
Steinmeiers Großmachtrede vor der deutschen Wirtschaft

Frank-Walter Steinmeier appellierte auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel im Adlon an die Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft, der Bundesregierung zu helfen, die neue imperialistische Außenpolitik gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen – denn die Leute im Lande sind nicht unbedingt begeistert davon, Europa anzuführen, um die Welt anzuführen und eine aggressive Außenpolitik mit Militäreinsätzen zu unterstützen. Die deutschen Eliten sehen das anders – in einer Welt, in der die Krise der neue Normalfall sei, müsse sich Deutschland stärker engagieren. Und dazu braucht es ein Bündnis aus Politik und großem Geld, denn irgendwer muss die Truppen ja ausrüsten, die losgeschickt werden sollen, um deutsche Interessen wahrzunehmen. So geht Demokratie. Sollen die Leute doch wählen, was sie wollen.



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