"Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" [USA, GB 2017]


Da hat einer einen blutig geprügelt. Der Werbungsverkäufer Red Welby (Caleb Landry Jones) wurde aus dem Fenster geschmissen. Sam Rockwell spielt den Übeltäter, einen tumben, schwerfälligen Cop: Comichefte, Kopfhörer, grenzenlose Aggression. Aber die Vergebung – sie wärmt in Ebbing die kleinen Leute und kleinen Dinge auf ihre Weise, eine Wärme, einem Kaminflimmern gleich. Als beide zur gleichen Zeit im gleichen Krankenhauszimmer Nachbarn werden, stellt der eine, der Verprügelte, dem anderen, dem Prügelnden, ein Glas Orangensaft auf ein Tischchen und dreht den Strohhalm in die entsprechende Richtung. Das ist eine der feinfühligsten Szenen, wie sie "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" aus dem Gedächtnis eines Landes schöpft, das im Sperrgebiet zur Welt kam. Ohne Technik, Technologie, Firlefanz eben. Nur das Wesentliche, die pure Seinsausschüttung. Denn – und dies sollte festgehalten werden – sind die Dinge an sich wichtig, immer noch und immer wieder. Hierin liegt die Nähe zu den Coens – auch Martin McDonagh lässt die Dinge fließen. Manche bedeuten etwas, andere nicht. Bewundernswert, dass ihm dabei ein Film gelingt, der gewalttätig, aber nie zu ausufernd am Zweifel verzweifelt. 
Zweifeln tut Mildred Hayes (Frances McDormand). Besser gesagt: hoffen. Sie verlor ihre Tochter Angela (Kathryn Newton) an ein Gewaltverbrechen, das tödlich endete. Mit Hilfe dreier Billboards, großflächigen Werbetafeln, versucht sie, das Verbrechen gegen das Vergessen wachzuhalten. Vielleicht kann es noch einmal aufgerollt werden. Aber dazu braucht es die Provokation – sarkastische Schriftzüge, eine Ein-Frau-Armee. Frances McDormand spielt sie wie Frances McDormand, diese Armee. Die Spuren des "Sich-Abarbeitens" sind tiefe Furchen in der Erfahrung tiefen Schmerzes. Auch wenn sie ihren Sohn vor unliebsamen Klassenkameraden (mehr als nötig) schützt, einen Geistlichen demütigt und eine Polizeiwache abfackelt – diese Mildred Hayes wartet nichtsdestotrotz auf ein Zeichen, das nicht eintrifft. Selbst Opfer häuslicher Gewalt (John Hawkes erfüllt alle Anforderungen an beschissene Ehemänner), harrt sie den Dingen. Couragiert, ja. Mit allen Wassern gewaschen, unbedingt. Aber auch ein Gesicht, das die Tränen längst zum Fettpolster werden ließ. Das Gefühl will nicht vergehen, dass Mildred Hayes eine Figur darstellt, wie sie die Coens gern umarmen, eine Figur, deren existenzialistisches Überleben geradezu antiquarisch wirkt.  
In ihre Heimat jedenfalls ist der Geist des schnippischen Witzes gefahren. Mögen die Coens auch einen geschliffeneren, durch die Ventile der Filmgeschichte geschlüpften Witz präferieren, so staksen durch dieses erschlaffte Provinznest Ebbing allerhand Coen-Typen und Coen-Trottel und Coen-Tölpel im Gleichschritt zur Macht, die stets ein bisschen schneller ist. Nun scheint es leicht, McDonagh vorzuwerfen, dass er seine Typen und Trottel und Tölpel anhand ihrer markanten Auffälligkeiten auslacht, zum Beispiel den für Leitergags prädestinierten Zwerg (Peter Dinklage), die quietschige Pferdeliebhaberin (Samara Weaving), den derben Akademiebullen (Clarke Peters) oder den an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankten und schief grinsende Abschiedsbriefe schreibenden Sheriff (Woody Harrelson). Wenngleich McDonagh nicht verhehlt, viele Konflikte wegzulächeln (nicht zu belächeln!), inszeniert er nie an jener menschlichen Melancholie vorbei, die einem Wunsch eingeschrieben ist – wartend auf die Wendung, die Erleichterung, den Sinn der Dinge unweit der Dinge. Der Film schmiegt sich zärtlich diesen seltsamen Gemeindebewohnern an, aber der Hintergrund ihres Handelns ist zutiefst fatalistisch, ist eine Aufklärung, die längst aufgeklärt wurde. 
Diesen Gedanken aufnehmend, kann "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" als apokalyptischer Kriminalfilm gelesen werden, der sich jedoch nicht in Wohlgefallen auflöst. In dem Gesicht Mildred Hayes ist die Versteinerung der Zeit sichtbar – und die Zerrissenheit und Nachdenklichkeit und Schonungslosigkeit darin orchestriert eine Geschichte über das Geschichtenerzählen und die Erwartung als Qual. Weder der Fall, für den die Aufmerksamkeit flackernd schwindet, noch der Täter stecken im Schraubstock der Erkenntnis. Kurzzeitig packt sich der Zufall einen potenziellen Täter – der Zufall, es kann nur der Zufall sein, wie im Film mit eingezogenen Schultern verlautbart wird. Mildred ist sich sicher, der Zuschauer ist sich sicher, während ein Stück triviale Polizeiarbeit ihr Ende findet. Scheinbar. Dass McDonagh an keinem heilenden Zufall interessiert ist, weil ihn die Figuren förmlich brauchen, dass er nicht dem Genre-Code verfällt, weil er diesen lieber knackt – "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" verwischt staubtrocken das Beiläufige zwischen Rache und Erlösung, Gerechtigkeit und der Chance, doch noch umkehren zu können in den Staub der Erinnerung, wo das Souvenir einen festen Platz hat.
7.5 | 10

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